Die Krise, ja sicher, die Krise. Auch Hasso Plattner, einer der reichsten Deutschen, leidet darunter, sogar ganz gewaltig. "Innerhalb von sechs Wochen habe ich rund 40 Prozent meines funny money verloren", sagt er. Doch da ist kein Wehklagen in seiner Stimme zu hören. Der SAP-Mitgründer und heutige Aufsichtsratschef ist kein Typ, der zum Jammern neigt. Im Januar ist er 65 geworden, er hat jetzt ein Alter erreicht, in dem andere gern ein bisschen kürzertreten. Plattner nicht. Der Ferrari-Fahrer gibt jetzt noch einmal richtig Gas, hat eine Menge Ideen und ehrgeizige Pläne.
Derzeit lässt er einen Neubau seines Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam hochziehen - Platz für neue Professoren, ein Forschungskolleg und Computerlabors. Rund 25 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Plattner zahlt 16 Millionen, aus EU-Fördermitteln kommen neun Millionen. Hat er vielleicht kurz gezuckt beim Blick ins Portfolio? "Nee, das wird jetzt durchgezogen", sagt er.
Plattner ist noch immer ein durch und durch von Pioniergeist geprägter Macher, ein Förderer junger Talente und vielversprechender Geschäftsideen.
So hat er auf der Computermesse Cebit der ganzen Welt das Innovationskonzept des Design Thinking vorgestellt - des erfinderischen Entwickelns in interdisziplinär zusammengesetzten Teams. Plattner hat zudem mit zwei Koautoren ein Buch über Innovationskultur geschrieben.
Der Technologieveteran will IT-Ingenieure umfassender ausbilden. Das war schon sein Ziel, als der gebürtige Berliner vor elf Jahren das Institut für Software-Systemtechnik gründete. Rund 450 Ingenieure werden dort nach dem Prinzip Plattner unterrichtet: praxisnah und mit modernsten Methoden. Gleich neben dem HPI residiert seine Wagniskapitalfirma, die Start-ups in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Israel mit weiteren Millionen fördert. Eine europaweit einzigartige Bündelung von Geld und Geist.
Querdenker fördern
Die Studenten sollen in multidisziplinären Teams benutzerfreundliche Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Plattner will Querdenker fördern, die nicht wie der typische Techniker fragen: Wie lösen wir das Problem? Sondern: Was ist eigentlich das Problem?
Die Aufgaben erscheinen auf den ersten Blick trivial. So hatten auf der Cebit beispielsweise die Studenten des HPI zusammen mit Kommilitonen der US-Universität Stanford täglich innerhalb von 24 Stunden eine Aufgabe zu bewältigen, etwa: Wie lassen sich Schülerhausaufgaben ebenso faszinierend aufbereiten wie Videospiele? Wie kann aus dem Frustanruf im Callcenter ein befriedigendes Dienstleistungserlebnis für den Kunden werden? Gearbeitet wird rund um die Uhr. Wenn in Hannover der Messetag zu Ende geht, übernehmen die US-Kollegen.
Klingt ein wenig nach Klein-Klein? "Als ich dieses Konzept neulich bei einer öffentlichen Präsentation am HPI vorgestellt habe, stand einer auf und sagte: Das erinnert mich doch sehr an die Herangehensweise meiner Kinder im Kindergarten", erzählt er. Plattner ficht solche Kritik nicht an.
Belächelt zu werden stört ihn schon gar nicht. Vor 37 Jahren stampfte er mit einer vergleichbaren Herangehensweise und vier Mitgründern die SAP mit einer revolutionären Geschäftsidee aus dem Boden. "Wir haben die SAP-Betriebssoftware in ständiger Interaktion mit den Kunden entwickelt", so Plattner. "Das ist ein entscheidender Teil des Design-Thinking-Ansatzes, wobei ich den Begriff damals noch nicht kannte."
Den Kunden ernst nehmen und als vollwertiges Mitglied des Produktentwicklungsteams zu betrachten, für den ehemaligen SAP-Cheftechniker ist dies das Erfolgsgeheimnis der Walldorfer. "Hätten wir uns nur am Schreibtisch einen tollen Algorithmus ausgedacht, wären wir nie so weit gekommen", sagt er.
Design Thinking - das entspricht auch Plattners persönlicher Erfahrung, wonach interdisziplinär zusammengesetzte Teams bessere Ideen entwickeln. Im Gegensatz zur konventionellen Produktentwicklung, bei der sich die Ingenieure oft nur darauf konzentrieren, was technisch möglich ist, steht beim Design Thinking das Verstehen des zu lösenden Problems im Vordergrund.
Ideale Innovationsprozesse
Wie diese Arbeitsweise funktioniert, illustriert etwa ein Studentenprojekt, das zum Ziel hatte, die Bildungschancen in der Dritten Welt zu verbessern. Durch Beobachten und Befragen fanden die jungen Akademiker heraus, dass die Menschen abends nicht lesen können, einfach weil sie keinen Stromanschluss haben. So entschied sich das Team, eine Leselampe für genau diesen Zweck zu entwickeln.
Die Fachleute großer Elektrotechnikkonzerne meinten, dass so eine Lampe minimal 120 Dollar kosten würde. Die Aufgabe für die Studenten lautete, eine 20 Dollar teure Lampe zu entwickeln und sie im Feldversuch zu testen.
Nach dieser Maßgabe ermittelte der Mediziner im Team die für das menschliche Auge nötige Lichtleistung. Der Elektrotechniker besorgte die passenden Akkus und ein Solarpanel, der Softwarespezialist programmierte dazu stromsparende Aufladeprozeduren. Der Maschinenbauer besorgte in Indien einen günstigen Hersteller für das Gehäuse, die Soziologin organisierte in Mexiko und Südafrika die Feldversuche. Und der Betriebswirt flog nach New York, um dort mit der Weltbank über das nötige Geld für den Großversuch zu verhandeln.
So stellt sich Plattner idealerweise den Innovationsprozess vor.
Die Idee, mit diesem Ansatz eine Erfinderschule zu gründen, stammt von Stanford-Professor David Kelley. Der hatte mit seiner Innovationsberatung Ideo in den USA schon großen Erfolg: Für Apple entwickelte Ideo die erste industriell hergestellte Computermaus, für den Pharmakonzern Eli Lilly den ersten Insulinstift; der von Ideo entworfene CD-Spieler Muji ist Teil der ständigen Sammlung des Museum of Modern Art in New York.
Plattner erkannte in Kelley, wie der SAP-Gründer ein Elektrotechniker, einen Erfinderbruder im Geiste, spendierte 35 Millionen Dollar und gründete mit dem Ideo-Chef das "d.school" genannte Hasso Plattner Institute of Design an der Universität Stanford.
Gemeinsam arbeiten sie nun zwischen Kalifornien und Brandenburg daran, die Ausbildung von IT-Studenten praxistauglicher zu gestalten, wobei es Plattner zuvörderst darum geht, den deutschen Studenten das amerikanische Verständnis von Design zu vermitteln. "Das ist eben nicht nur die Formgestaltung eines Produkts, sondern die ganzheitliche Betrachtung eines Prozesses aus der Perspektive des Nutzers", erklärt Plattner.
Der Lokalpatriot
Dieser Geist des Erfindens, des Wunsches, Neues zu erschaffen, zeichne das Silicon Valley seit jeher aus, und darum sei die Atmosphäre an den Hochschulen der Bay Area auch befruchtender als an den Universitäten in Berlin, München und Hamburg - ungeachtet all der aktuellen Probleme in den USA.
Was treibt den Milliardär an, diesen Gedanken nach Deutschland zu importieren, mit Millionen aus dem eigenen Vermögen und dem persönlichen Einsatz mit regelmäßigen Vorlesungen an seinem Potsdamer Institut? Die Absicht, einer zweiten SAP zum Start zu verhelfen? Oder gar die patriotische Pflicht des gebürtigen Berliners?
"Patriot ist mir zu hoch gegriffen", sagt Plattner. Doch bei der Entscheidung, das HPI in Potsdam zu platzieren, habe schon ein Stück Lokalpatriotismus mitgespielt. Er verspüre eine moralische Verpflichtung, etwas zurückzugeben von dem Geld, das er mit SAP verdient habe, und dem Glück, zur rechten Zeit mit der richtigen Geschäftsidee auf den Markt gekommen zu sein. "Ich bewundere jene Unternehmer in der Geschichte, die ihrer sozialen Verantwortung gerecht wurden und zum Beispiel ganze Stadtteile gebaut haben", sagt er.
Die Exzesse mancher Topmanager wie des Ex-Merrill-Lynch-Chefs John Thain, der sich inmitten der Krise für 1,2 Millionen Dollar das Büro renovieren ließ, geißelt Plattner denn auch mit beißender Schärfe: "Das ist einfach geschmacklos, solchen Leuten fehlt jedes Gespür für das angemessene Verhalten an der Spitze eines Unternehmens. Wer gegen die Gesellschaft handelt, wird aber auch irgendwann bestraft."
Plattner steht weiter felsenfest zu seinen selbst auferlegten Verpflichtungen als Förderer des besonderen Erfindergeistes, obwohl die Krise ja auch für ihn ein mächtiger Schlag ins Kontor ist. HPI-Institutsdirektor Christoph Meinel (54), Mitautor des Design-Thinking-Buchs, macht sich keine Sorgen, dass Plattners Elan womöglich parallel zum Wert seines SAP-Aktienpakets schrumpfen wird. Meinels Möglichkeiten, den Gedanken des erfinderischen Denkens in die Ingenieurausbildung hineinzutragen, waren dank der generösen Haltung des Big Spenders bislang kaum limitiert. "Anders als bei meinen vorherigen Jobs im öffentlich geförderten Universitätsbetrieb gibt es bei Plattner keine Hindernisse mehr. Die Grenze ist allein unsere Leistungskraft", sagt er.
Hasso Plattner - das "Genie"
Geradezu begeistert spricht sein Kollege Eran Davidson (49), Chef des gegenüberliegenden Start-up-Finanzierers Hasso Plattner Ventures, über "Hasso". Ein "Genie" sei der Mäzen, der zwei Fonds von zusammen 150 Millionen Euro startete. "Viele Gründer, die eine Stunde mit ihm zusammen diskutierten, haben danach 15 neue Ideen und sagen, das sei der beste Tag ihres Lebens gewesen." Wer aber nur die Einfälle anderer kopieren will, wie etwa das deutsche Facebook-Pendant StudiVZ, hat bei Plattners Venture-Unternehmen keine Chance.
Ideen mit globalem Anspruch
Großinspirator Plattner fördert nur Projekte mit wirklich neuen Ideen und globalem Anspruch. Hofft er eigentlich, auf diese Weise eine neue SAP zu entdecken? "Nein", sagt Plattner, "aber 20 bis 30 kleine SAPs sollen es schon werden."
Unter den 13 bislang geförderten Jungunternehmen gibt es einige vielversprechende Firmen. So berät etwa das 30-Mitarbeiter-Unternehmen d-labs auch namhafte Dax-Konzerne bei der Verbesserung ihrer Produkte und Services. Und das Software- und Beratungsunternehmen Facton mit Standorten in den USA und Spanien half dem Luxusautohersteller Bentley, die Produktionskosten zu senken.
Zusammen mit dem einstigen SAP-Topmanager Shai Agassi hat Plattner vor einem Jahr einen weiteren, 100 Millionen Euro umfassenden Finanzierungsfonds geschlossen. Dieser unterstützt europäische Start-ups, die sich mit IT und Umwelttechnik beschäftigen.
Plattners Dynamik reißt manche Studenten derart mit, dass sie gar ihr ganzes Leben neu ausrichten. So strebte die Politologin Christine Noweski (26) eigentlich eine Diplomatenlaufbahn an. Bis sie aus reiner Neugier den Kurs Design Thinking am HPI absolvierte und von Plattners Motivationspower in eine ganz neue Richtung gelenkt wurde.
In einem sechsköpfigen Team entwickelte sie für den Handelskonzern Metro ein virtuelles Einkaufsregal. Vielbeschäftigte Stadtmenschen, so ihre Idee, sollen per Fingertipp, etwa auf einem Computerbildschirm, ihre Waren bestellen und dann rund um die Uhr an Stationen abholen, die wie Litfasssäulen aussehen. Plattner sah dieses Konzept, war begeistert und sagte einfach: Okay, let's do it.
Nun will die Metro diese Idee in einem Pilotprojekt in die Praxis umsetzen. "Der Mann verbreitet eine unglaublich positive Aufbruchstimmung", schwärmt Noweski von Plattner, der ihr dann auch noch eine ganz andere Idee für ihren Karriereweg präsentierte, neben der die Laufbahn im höheren Beamtendienst plötzlich ziemlich langweilig wirkte.
Erfindens mit der Methode des Design Thinking
Noweski untersucht nun im Rahmen ihrer Promotion an der US-Universität Stanford - in einem von Plattner finanziertem Forschungsprogramm - die Erfolgsfaktoren des Erfindens mit der Methode des Design Thinking. Danach will sie nicht mehr ins Auswärtige Amt, sondern als Innovationsexpertin Unternehmen beraten - damit deren Techniker keine Produkte mehr entwickeln, die hinterher kein Mensch bedienen kann.