Herr Thiele, nehmen wir an, ich bin Chefeinkäufer eines Automobilkonzerns, Sie Vertriebsleiter eines mittelständischen Schraubenherstellers. Meine Ansage: "Machen Sie Ihre Schrauben zehn Prozent billiger, sonst gehen wir zur Konkurrenz." Ihre Antwort?
Albert Thiele: "Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den Preis so offen ansprechen. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie wir zu einer Regelung kommen, mit der Sie leben können und die für uns machbar ist. Aber bitte haben Sie Verständnis, dass wir kein Angebot unter Selbstkosten machen können."
Ich sage: "Hören Sie auf mit dem Blabla! Senken Sie Ihre Kosten, wenn wir im Geschäft bleiben wollen." Wie reagieren Sie?
Albert Thiele: Mit einer Ich-Botschaft und einer weiteren deeskalierenden Rückfrage: "Ich bin sehr überrascht über die schroffe Reaktion. Was ist der Grund, dass Sie ultimativ diese zehn Prozent fordern?" Blockt mein Gegenüber weiter, argumentiere ich mit Qualitätskriterien und einem Hinweis auf meine schon jetzt enge Preiskalkulation.
"Knapp kalkulieren muss ich selbst ..."
Albert Thiele: Sind die Fronten so verhärtet, hilft nur eine Denkpause, um meine Optionen zu prüfen: veränderte Abnahmemengen, neue Vertragslaufzeiten, Paketlösungen.
Kann man solche Situationen überhaupt vorausplanen?
Albert Thiele: Nur wer perfekt vorbereitet ist, kann in schwierigen Situationen wirkungsvoll kontern. In unserem Beispiel muss vorab mindestens Folgendes geklärt sein: Welche Vorzüge hat mein Unternehmen? Welche Interessen hat der Gesprächspartner? Neigt er zum Manipulieren oder Bluffen? Wo liegen Verhandlungsspielräume?
Auch unter Kollegen kracht es mal. Wie kontere ich eine Attacke des Vorgesetzten, ohne übers Ziel hinauszuschießen?
Albert Thiele: Die Art Ihrer Reaktion hängt vom Verhältnis zum Vorgesetzten ab. In der Regel sind Ich-Botschaften ein geeignetes Mittel, um Angriffe zu deeskalieren. Etwa so: "Ihre letzte Aussage überrascht mich. Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung?"
Gilt das auch für den Verbalangriff eines gleichrangigen Kollegen?
Albert Thiele: Bei statusgleichen Kollegen kann man stärker kontern, speziell wenn es sich um potenzielle Konkurrenten handelt. Bei persönlichen Angriffen einfach mal fragen: "Warum sagen Sie das?"
4 Tipps, wie Sie Verbal-Angriffe erfolgreich kontern
Ignorieren | Überhören Sie den unfairen Aspekt, lenken Sie mit einem Brückensatz auf die Sache. "Ihre Aussage zeigt mir, dass Sie Bedenken haben. Welche Sachargumente haben Sie?" |
Ironisieren | Kontern Sie schlagfertig und humorvoll und lenken dann zur Sache. "Ich merke, Sie sind erregt. Greifen Sie mich persönlich an oder reden Sie zur Sache?" |
Identifizieren | Benennen Sie Unfairness. "Mit unsachlichen Angriffen kommen wir nicht weiter." |
Isolieren | Brechen Sie das Gespräch ab, wenn es nicht weitergeht. "Ihre wiederholt beleidigenden Worte akzeptiere ich nicht. Unter diesen Umständen bin ich nicht bereit, das Gespräch fortzusetzen." |
Wird der Ton insgesamt rauer?
Albert Thiele: Wenn brisante Themen diskutiert werden und wenn die eigene Existenz gefährdet ist, durchaus. In Zeiten von Kostensenkungsprogrammen oder Umstrukturierungen können Beteiligte schon mal emotional werden und die Kontrolle verlieren. Und Kontrollverlust ist das Schlimmste, was passieren kann - egal, ob vor einem Millionenpublikum in einer Talkshow oder in anderen Gesprächssituationen.
Wie kann ich Kontrollverlust verhindern?
Albert Thiele: Indem ich schwierige Situationen vorher gedanklich oder in einer realen Übung durchgespielt habe und mich im verbalen Schlagabtausch konsequent am Sachziel und am Regelwerk des Fairplay orientiere. Unabdingbar sind wirkungsvolle Konterstrategien. Darüber hinaus hilft es, die eigenen Kernbotschaften verfügbar zu haben und die persönlichen Reizthemen zu kennen.
Anders als etwa Briten oder Amerikaner sind Deutsche nicht gerade bekannt für ihre rhetorische Brillanz. Woran liegt’s?
Albert Thiele: Wir müssten die Kunst des Debattierens früher einüben, am besten schon in der Schule. Manager verstehen sich oft auf rationales Argumentieren, verlassen sich auf die Kraft der Fakten und unterschätzen die Wirkung anschaulicher Beispiele. Im Zeitalter der Talkshows sieht der kenntnisreiche Geschäftsführer häufig schlecht aus, wenn er sich gegen erfahrene Dialektiker, etwa aus der Politik, behaupten muss.
Von Gysi lernen heißt reden lernen?
Albert Thiele: Es war schon immer gut, sich bei anderen etwas abzuschauen. Das Präsentieren von Steve Jobs, rhetorische Stilmittel von Barack Obama oder die Scharfzüngigkeit von Peer Steinbrück. Dabei geht es nicht darum, andere zu imitieren, sondern sich herauszusuchen, was zum eigenen Auftritt und Charakter passt.