KI als Klotz am Bein

Wie Sie sich mit KI mehr Arbeit aufhalsen

08.01.2025 von Maria Korolov
KI wird oft als Effizienz-Booster hochgehalten. Aber es häufen sich Fälle, in denen KI mehr Arbeit verursacht als sie einspart.
Wenn KI helfen kann, eine gut geschriebene E-Mail zehnmal schneller zu verfassen, werden vielleicht zehnmal so viele E-Mails wie zuvor verfasst - E-Mails, die nun jemand anderes lesen, sich Gedanken machen und vielleicht auch beantworten muss.
Foto: Martin Lauge Villadsen - shutterstock.com

Auf der Barclays Global Financial Services-Konferenz im September 2024 war der Tenor, dass KI Prozesse verbessern und Effizienz steigern wird. Laut Daniel Pinto, Präsident von JP Morgan Chase, rechnet die Bank mit einem Wertzuwachs von bis zu zwei Milliarden Dollar aus ihren KI-Use-Cases - ein Drittel mehr als in der Prognose vom Mai zuvor. Der Konzern habe bereits einen KI-Assistenten auf den Markt gebracht und wolle mit seiner Hilfe jeden Prozess optimieren, berichtete Pinto.

Operative Effizienz im Fokus

Auch viele andere Manager stehen der KI zuversichtlich gegenüber. Einem neuen IDC-Bericht zufolge betrachten 98 Prozent der Führungskräfte KI als Priorität für ihr Unternehmen. Zudem geht das Analystenhaus davon aus, dass KI der Weltwirtschaft bis 2030 rund 20 Billionen zusätzliche Dollar generieren wird.

Erst im August hatte OpenAI bekannt gegeben, dass sein ChatGPT inzwischen mehr als 200 Millionen wöchentliche Nutzer hat - doppelt so viele wie im November 2023. Die Nutzung der API hat sich ebenfalls verdoppelt, seit ChatGPT-4o mini im Juli veröffentlicht wurde.

Abonnieren Sie unsere CIO-Newsletter für mehr Einblicke, Hintergründe und Deep Dives aus der CIO-Community.

Laut einer aktuellen Studie von Coleman Parkes Research im Auftrag von Riverbed sagen 59 Prozent der Entscheidungsträger in großen Unternehmen, dass KI-Projekte ihre Erwartungen erfüllt haben, bei 18 Prozent wurden sie übertroffen. "KI hat den IT-Bereich verlassen und sich in der Organisation etabliert", berichtet Ian Beston, Direktor bei Coleman Parkes Research. Allerdings gibt knapp ein Viertel der Befragten an, dass KI die Erwartungen nicht erfüllt hat - trotz der gepriesenen Vorteile für die Effizienz reduziert die KI also nicht automatisch die Arbeitslast.

Mehr gesparte Zeit, mehr verschwendete Zeit

Wenn KI den Mitarbeitern hilft, ihre Arbeit schneller zu erledigen, gehen Unternehmen davon aus, dass die gewonnene Zeit für höherwertige Tätigkeiten genutzt wird. Das ist aber nicht unbedingt der Fall, sagt Christina Janzer, SVP of Research and Analytics bei Slack. Laut der jüngsten Umfrage des Unternehmens verbringen Knowledge Worker 37 Prozent mehr Zeit mit administrativen Routineaufgaben.

"Es gibt jedoch eine Menge Potenzial", berichtet Janzer. "Auch wenn wir noch in den Kinderschuhen stecken, sehen wir unglaubliche Ergebnisse in Bezug auf die Produktivität und die Verbesserung der Work-Life-Balance sowie der Begeisterung für den Job."

Das Problem: Menschen seien darauf programmiert, ihre Zeit mit bestimmten Aufgaben zu füllen. Wenn die KI dann Zeit freisetze, würde diese durch mehr Verwaltungsarbeit belegt. "Es gibt eine nicht enden wollende Liste von Aufgaben, die erledigt werden müssen", so Janzer.

Die Lösung bestehe darin, die Anreizsysteme zu überdenken. "Manager tendieren dazu, Anreize auf der Grundlage von Aktivitäts-Metriken zu schaffen und Input statt Output zu messen." Statt auf den Wert zu schauen, den der Mitarbeiter dem Unternehmen bringt, würden sie die Anzahl der verschickten E-Mails oder die im Büro verbrachten Stunden zählen.

Posteingänge außer Kontrolle

Die Entwicklung schafft auch mehr Arbeit für andere Mitarbeitende, argumentiert Janzer. Wenn KI helfen kann, eine gut geschriebene E-Mail zehnmal schneller zu verfassen, werden vielleicht zehnmal so viele E-Mails wie zuvor verfasst - E-Mails, die nun jemand anderes lesen, sich Gedanken machen und vielleicht auch beantworten muss. Statt einen Artikel für die Wissensdatenbank des Unternehmens zu einem wirklich relevanten Thema zu schreiben, könnten Mitarbeiter mit KI ein Dutzend Artikel zu weniger interessanten Themen einreichen. Mitarbeiter, die ihren Vorgesetzten Berichte vorlegen müssen, könnten diese schneller fertig stellen und ihre Anzahl sowie die Länge erhöhen.

"Diese Technologien können mehr Inhalte produzieren, die jemand konsumieren und zur Kenntnis nehmen muss", so Anita Woolley, Professorin an der Carnegie Mellon University. Schon jetzt würden die Suchergebnisse mit immer mehr minderwertigen KI-Inhalten überflutet, was für Mitarbeiter, die im öffentlichen Web und in Wissensdatenbanken nach Informationen suchen, von Nachteil sei. Ein tatsächlich nützliches Ergebnis zu finden, gleiche der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. "Das Informationsvolumen ist definitiv einer der Bereiche, in denen die Produktivität sinken könnte", sagt Woolley.

Fragmentierte Aufmerksamkeit

Eine weitere potenziell negative Auswirkung von KI ist die Fragmentierung der Aufmerksamkeit, ergänzt die CMU-Mitarbeiterin: "Die KI kann für Sie zu Meetings gehen und Notizen machen, so dass Sie an vier Orten gleichzeitig sein können", berichtet Woolley und gibt zu bedenken: "Es gibt jedoch nur eine bestimmte Anzahl von Projekten, zu denen wir sinnvoll beitragen können, und von Gesprächen, an denen wir teilnehmen können."

Der KI-Einsatz trage nur dazu bei, dass wir das Gefühl hätten, es gäbe noch mehr für uns zu tun: "So laufen wir Gefahr, auszubrennen." Wenn unsere Aufmerksamkeit zu sehr fragmentiert sei, könnten die Menschen anfangen, schlechte Entscheidungen zu treffen.

Aufmerksamkeit teilen?

Einige Unternehmen setzen Grenzen für die Anzahl der Projekte, mit denen sich Mitarbeiter gleichzeitig beschäftigen können. "Jeder ist um seine Karriere besorgt, und niemand ist sich wirklich sicher, was für seine Leistungsbewertung ausschlaggebend sein wird. Daher versuchen die Leute, mehr Aufgaben zu übernehmen."

Die Lösung bestehe nach Meinung von Woolley darin, dass Unternehmen klare Ziele und Leistungskriterien festlegen. Sie wollen eine explosionsartige Zunahme von Projekten, Initiativen und Teams unterbinden, die keinen Mehrwert schaffen, sondern nur Arbeit verursachen. "Vor allem in einer verteilten Umgebung ist es wichtiger denn je, von Besprechungen wegzukommen, die nur dazu da sind, zu zeigen, dass man arbeitet."

Tools beschränken

Hinzu kommt: Jedes der vielen neuen KI-Tools erfordert eine gewisse Zeit, bis es tatsächlich einen Nutzen bringt. Woolley empfiehlt Unternehmen, sich auf eine Anzahl von Tools zu beschränken, die sie benötigen, um ihre Aufgaben zu erledigen. Zudem sollten sie einen Prozess zum Testen und Bewerten neuer KI-Systeme einrichten, um Mitarbeiter nicht von der eigentlichen Arbeit abzuhalten.

Auch sei es empfehlenswert, wenn die Mitarbeitenden über ein gewisses Maß an persönlicher Autonomie verfügen. "Gibt es geprüfte Tools, mit denen ich nach eigenem Ermessen probieren und dadurch meine Arbeit besser erledigen kann - großartig!"

Halluzinationen und Ungenauigkeiten

Laut der oben erwähnten Slack-Umfrage sagen nur sieben Prozent der Büroarbeiter, dass KI-Ergebnisse für ihre Aufgaben völlig vertrauenswürdig sind. Mehr als ein Drittel gibt an, dass KI-Ergebnisse nur wenig oder gar nicht vertrauenswürdig sind.

In einer aktuellen Studie von Forschern der Cornell University und weiterer Institute wurde festgestellt, dass selbst die leistungsstärksten KI-Modelle nur in einem Drittel der Fälle völlig korrekte Antworten geben konnten.

Das bedeutet, dass der KI-Output zusätzlich beaufsichtigt, überprüft, bearbeitet, korrigiert oder überarbeitet werden muss. Das alles kostet Zeit und reduziert die Produktivität.

Zu viel Datenwissenschaft, zu wenig Gewinn

Viele Kunden wollen einfach nur KI einsetzen und haben die Use Cases nicht sorgfältig durchdacht. So kann die KI einen enormen Arbeitsaufwand für Data Scientists und Data Engineers verursachen. Sie müssen die Trainingsdaten sammeln und vorbereiten, die Modelle erstellen und testen, sie in den Unternehmens-Workflow integrieren und dann die Leistung überwachen, um sicherzustellen, dass die KI weiterhin gut funktioniert.

Laut dem Jobportal ZipRecruiter lag das durchschnittliche Einstiegsgehalt für einen US-amerikanischen Datenexperten im Oktober 2024 bei 165.000 Dollar pro Jahr. "Machen Sie langsam", empfiehlt Steve Ross, Director of Cybersecurity bei S-RM Intelligence and Risk Consulting. "Stellen Sie keine Datenwissenschaftler ein, nur um ein paar E-Mails zu schreiben."

Ohne einen eindeutigen Use Case sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass das KI-Projekt nicht einmal über das Proof-of-Concept-Stadium hinauskommt, ergänzt Gartner. Das Marktforschungsunternehmen prognostiziert, dass bis Ende 2025 mindestens 30 Prozent der KI-Projekte aufgrund eines unklaren Geschäftsnutzens sowie schlechter Datenqualität, unzureichender Risikokontrollen und eskalierender Kosten aufgegeben werden.

Verlagerung statt Ersparnis

Das Hochschul-Marketing-Unternehmen Education Dynamics setzt KI zur Unterstützung von Kampagnen ein. Bei einigen Aufgaben gibt es nicht wirklich einen großen Produktivitätsschub, berichtet Marketing-Managerin Sarah Russell. "Vom Standpunkt der kreativen Bearbeitung und Überarbeitung aus gesehen, haben wir wirklich jede Zeitersparnis bei der ursprünglichen Erstellung ersetzt und in die Bearbeitung und Überarbeitung verlagert", sagt sie.

"Wir wollen vermeiden, dass unsere Texte KI-generiert klingen, keine Persönlichkeit haben oder überdreht sind. Für uns ist es weniger eine Zeitersparnis als vielmehr eine Verlagerung des Zeitaufwands." Aber die Einführung der Technologie helfe dem Unternehmen immerhin, sich weiterzuentwickeln. (ajf/jd)