Besser als Neurekrutierung

Wie Sie verlorene Mitarbeiter zurückgewinnen

23.11.2017 von Anne M. Schüller
In vielen Unternehmen sind fehlende Mitarbeiter längst der limitierende Faktor für Wachstum. Dem Recruiting neuer Talente kommt deshalb eine überlebenswichtige Aufgabe zu. Doch der Pool der Ehemaligen, aus dem man schöpfen kann, wird hierbei sehr oft vergessen.
Man sieht sich immer zweimal. Ein Mitarbeiter kommt aber nur zum Unternehmen zurück, wenn die Trennung professionell ablief.
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Während vorne die Recruiter ihr Möglichstes tun, um Kandidaten anderswo loszueisen, laufen einem hinten die eigenen Leute weg. Doch ein schlecht behandelter Mitarbeiter bewirbt sich kein zweites Mal. Zudem gelingt die Rückgewinnung solcher Mitarbeiter, die man wiederhaben will, auch nur dann, wenn im Vorfeld die Trennung fair verlaufen ist. Dann sind Mitarbeiter nicht verloren, sondern sie arbeiten nur gerade woanders.

Und, ganz gewiss: Die sind nicht immer glücklich dort, wo sie gelandet sind. Also heißt es, in Verbindung zu bleiben. Das Ziel? Eine gute Nachrede. Darüber hinaus: Der Wunsch, bei passender Gelegenheit wiederzukommen. Oft ist es sehr viel einfacher, verlorene Mitarbeiter zurückzuholen als neue zu gewinnen. Wiedereinstellungen kosten etwa halb so viel wie Ersteinstellungen, sie schonen Ressourcen, und sie sind meist vom Start weg mehrfach effizienter.

Mitarbeiterschwund: oft genug hausgemacht

Logischerweise gibt es in jedem Unternehmen eine natürliche Abschmelzquote. Man kann nicht alle Beschäftigten halten - und manchmal ist es auch nicht gewollt. Veränderte Lebensumstände oder neue Interessen auf Seiten des Mitarbeiters spielen oft eine Rolle. Auch eine schlechte fachliche Passung oder zwischenmenschliche Unverträglichkeiten kommen vor.

Doch meist haben Mitarbeiterverluste mit einem problematischen Führungskräfteverhalten zu tun. Und immer dann, wenn es der Wirtschaft besser läuft, also genügend Jobalternativen vorhanden sind, bekommt das Management die Quittung dafür: Alte Rechnungen werden beglichen. Unter den unzufriedenen, frustrierten und enttäuschten Mitarbeitern wandern zuerst die Besten in Scharen ab.

Die größten Loyalitätszerstörer dabei sind folgende:

• emotionale Kälte und Mangel an Menschlichkeit
• Top-down-Gehabe und Vertrauensverlust
• ein schlechtes Trennungsmanagement

Wer schon allein an diesen Punkten ansetzt, kann die Verbundenheit der Beschäftigten zum Unternehmen beträchtlich erhöhen und den Mitarbeiterschwund verringern.

Was man von scheidenden Mitarbeitern lernt

Erst dann, wenn man die tatsächlichen Wechselursachen kennt, kann man zukünftig etwas dagegen tun. Denn hinter den meist rational vorgetragenen sachlichen, fachlichen oder nur vorgegaukelten Austrittsmotiven stecken häufig ganz andere, die wahren Gründe. Viele Mitarbeiter beenden eine Arbeitsbeziehung in Wirklichkeit, weil:

• sich ihr Wohlbefinden im Team in Grenzen hielt,
• man sie mehr oder weniger miserabel geführt hat,
• sie keine Anerkennung für ihre Anstrengungen bekamen,
• man sich um ihre Weiterentwicklung nicht gekümmert hat,
• man ihnen nie gesagt hat, wie wichtig sie als Mitarbeiter sind.

Erfahrene Führungskräfte mit Gespür für die leisen Töne können ein drohendes Abwandern erkennen, bevor es zu spät ist: kurzfristig genommene einzelne Urlaubstage, Nachlässigkeiten, Unkonzentriertheit, geringeres allgemeines Interesse, reduziertes konkretes Engagement. Wer die Anzeichen richtig deutet, kann gefährdete Mitarbeiterbeziehungen durch ein gutes Gespräch womöglich rechtzeitig stabilisieren.

Beobachtungen über abwanderungskritische Ereignisse lassen sich sukzessive verfeinern, um hieraus Kennzahlen zu entwickeln, Prognose-Modelle zu erarbeiten und ein Frühwarnsystem zu installieren, das vor Wechselwilligkeit warnt. Auch Social Listening Tools, die die sozialen Netzwerke durchforsten, können erste Anzeichen finden. Zudem können Exit-Interviews entscheidende Hinweise geben.

Warum Exit-Interviews so wertvoll sind

Jeder, der geht, nimmt etwas mit und lässt etwas zurück: Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen, Emotionen. Bevor ein Mitarbeiter die Tür endgültig hinter sich schließt, hat er vielleicht den Wunsch und tut sich auch leichter, couragiert Klartext zu reden. Ein fundiertes Exit-Interview trägt dazu bei, dass auch unangenehme Dinge zur Sprache kommen. Will heißen: Man kann eine Menge lernen, wenn man kluge Fragen stellt.

Erläutern Sie dem Gehenden, dass ein Austrittsgespräch immer freiwillig ist, und dass es kein Umdrehgespräch wird. Nennen Sie plausible Gründe für den beiderseitigen Nutzen. Zeigen Sie Wertschätzung für die Gesprächsbereitschaft. Rechtfertigen Sie sich nicht und verteidigen Sie niemanden, hören Sie einfach nur interessiert zu. Erfassen und analysieren Sie das Gesagte. Und dann: Ändern Sie was!

Ein Tipp aus der Praxis: Exit-Interviews sollten erst dann geführt werden, wenn der Mitarbeiter keinerlei negative Konsequenzen mehr befürchten muss, so dass er völlig frei seine Beweggründe für den Wechsel nennen kann. Alle Austrittsformalitäten inklusive Arbeitszeugnis müssen also vorher erledigt sein.

Wie man ein gutes Exit-Interview führt

Lange Fragebögen sind nicht sinnvoll. Das ist für den Interviewten zu mühsam. Bereiten Sie stattdessen einen kleinen Fragenkatalog vor. Ein neutraler Dritter führt das Gespräch dann am besten mündlich, formlos und frei. Einige Formulierungsvorschläge:

• Aus welchem Hauptgrund sind Sie ursprünglich gekommen?
• Was lief aus Ihrer Sicht während der Zeit bei uns richtig gut?
• Was würden Sie schleunigst verändern oder verbessern?
• Was wird Ihre positivste, was die negativste Erinnerung sein?
• Welche Vorteile ergeben sich für Sie durch den Wechsel?
• Was hätte passieren müssen, damit Sie hätten bleiben wollen?
• Können Sie sich vorstellen, wieder zu uns zurückzukommen?
• Was sollten wir Ihrem Nachfolger unbedingt mit auf den Weg geben?

Hinweise auf Missstände beim Betriebsklima, den Arbeitsbedingungen und dem Führungsverhalten des jeweiligen Vorgesetzten bringen zwar den ausscheidenden Mitarbeiter nicht mehr zurück. Sie können aber Vieles für die Bleibenden verbessern, einer weiteren Fluktuation entgegenwirken und so eine Menge Kosten reduzieren helfen.

Ferner kann man viel darüber erfahren, wie man wettbewerbsfähig bleibt. Zudem können schlechte Mundpropaganda und negative Bewertungen auf Meinungsportalen durch ein solches Gespräch womöglich abgewendet oder zumindest gemildert werden. Denn Fakt ist: Jeder austretende Mitarbeiter ist ein Botschafter des Unternehmens und kann viele Talente daran hindern oder auch ermutigen, sich bei Ihnen zu bewerben.

Wie ein "Beautiful Exit" gelingt

Was im Zuge einer Trennung absolut tabu sein sollte: angeblich verschlampte Austrittspapiere, schleppend bearbeitete Arbeitszeugnisse, Kommunikationssperren, Mobbing während der letzten Arbeitstage, Beschimpfungen und Beleidigungen, üble Nachrede. Bedanken Sie sich vielmehr aufrichtig für die zurückliegende Arbeitsbeziehung und wünschen Sie dem Mitarbeiter für die Zukunft viel Erfolg.

Und dann? Bleiben Sie in Kontakt! Zum Beispiel über einen Job-Newsletter oder die Mitarbeiterzeitung, über Xing und Linkedin, ein Alumni-Netzwerk, Einladungen zu Fachtagungen und Feiern, Geburtstagsgrüße, Infos über wichtige Ereignisse und Neuerungen, ein Erinnerungsgoodie. So schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe:

1. Der Ex hat allen Grund, positiv über Sie zu sprechen. Vielleicht hatte die Arbeitsbeziehung ja Mängel, doch die Art und Weise des Abschieds hatte Stil.

2. Sie bleiben in guter Erinnerung und halten die Türe ein wenig offen für eine spätere Rückkehr infolge eines geglückten Wiedergewinnungsversuchs.

Eines ist sicher: Nach einem "Beautiful Exit" ist es sehr viel leichter, verlorene Mitarbeiter zurückzuholen. Und diese sind meistens ein Zugewinn. Sie kommen mit zusätzlichen Erfahrungen, neuen Erkenntnissen und einem Höchstmaß an Motivation wieder an Bord. Nun gilt es, diese zweite Chance zu nutzen.