Im besten Fall ist Softwareentwicklung eine kreative Angelegenheit. Um qualitativ hochwertige Arbeit leisten zu können, brauchen Entwicklerinnen und Entwickler ein gewisses Maß an Komfort. Erfahrungsgemäß beeinträchtigen langweilige Aufgaben, laute Büros und zu viele Besprechungen die Produktivität. Obwohl viel zu selten diskutiert, ist in diesem Zusammenhang die Gesundheit fundamental.
Dabei geht es nicht nur um das physische Wohlergehen, sondern auch um die mentale Verfassung. Entwickler brauchen ihren Verstand - und diesen in einem möglichst klaren Zustand, um ihre Arbeit leisten zu können. So heißt es beispielsweise, dass Programmierinnen und Programmierer den mentalen Zustand ihrer Kolleginnen und Kollegen bereits am Code der jeweiligen Person ablesen können, bevor diese Probleme überhaupt nach außen kommuniziert haben.
Kommunikation ist deshalb das A und O. Die Tech-Welt erschwert diese allerdings dadurch, dass Teams sehr oft dezentral arbeiten. Aus der Ferne, hybrid oder remote fehlt vielen - oft ohne sich dessen bewusst zu sein - die Existenz eines Firmenbüros. Der Grund: Offices sind nicht nur Arbeitsorte, sie helfen auch das Wohlbefinden des Teams zu fördern. Damit sind keine Startup-Klischees wie kostenloses Obst, Kaffee und Sitzsäcke gemeint, sondern das Zusammensein. Durch die räumliche Distanz ist es jedoch noch komplizierter zu erkennen, wenn ein Kollege Probleme hat.
Da Teams seltener gemeinsam physisch an einem Ort zusammenkommen, ist kaum zu bemerken, wer zu spät kommt, früher aufhört oder ausgelaugt wirkt. Gerade aber durch Kaffeegespräche erkennen Mitarbeiter untereinander, ob es jemandem gutgeht oder auch nicht. In virtuell arbeitenden Teams muss die Kommunikation daher neu gedacht und auch über die psychische Gesundheit gesprochen werden. Dabei lautet die Devise: Lieber etwas öfter nachfragen, ob es jemandem gutgeht, statt ein Teammitglied an den Rand seiner Kräfte zu kommen zu lassen. Im besten Fall hat man sich umsonst Sorgen gemacht.
Entwickler-Burnout verhindern: 5 Maßnahmen
Was viele Menschen am Remote-Modell schätzen, ist die Flexibilität und Autonomie des eigenen Alltags. Beispielsweise kann man als Entwickler früher mit seinem Arbeitstag beginnen, um elf Uhr ins Fitnessstudio gehen und dann das Abendessen vor dem letzten Termin des Tages in den Ofen schieben. Die Möglichkeit, neben der Arbeit ein bisschen mehr vom Leben zu haben, kann sich auf diese Weise durchaus positiv auf das eigene Wohlbefinden auswirken.
So beschreibt Daniel Pink in seinem Buch "Drive", dass Autonomie, Beherrschung und Zielsetzung die wichtigsten Triebfedern der Motivation sind. Motivation, Anerkennung und Vertrauen sind wiederum der Schlüssel für eine erfolgreichen Softwareentwicklung. Mit seinen Fähigkeiten und seiner Arbeit zu einem größeren Ziel beizutragen, ist ein befriedigendes Erlebnis. Gerade Startups, wo es oft mehr Freiheit bei der Auswahl und Priorisierung der Arbeit gibt, können für Developer unter diesem Gesichtspunkt sehr ergiebig sein.
Laut einer Studie von Haystack Analytics, einem auf die Analyse von Software-Teams spezialisierten Anbieter, berichten dennoch 83 Prozent der Entwickler von Burnouts. Die Kehrseite der Pandemie: Es fällt schwerer, die Arbeit zu beenden, wenn man statt im Firmenbüro im Home-Office arbeitet. Umso wichtiger ist es, dass die Erwartungen der Unternehmen realisierbarer Natur sind und sorgfältig festgelegt werden; umso mehr, wenn es flexible Arbeitszeiten und Home-Office gibt und die Gefahr droht, sich von großen Projekten vereinnahmen zu lassen. Auf folgende Punkte sollten Unternehmen achten:
1. In Weiterbildung investieren
In der Softwareentwicklung Tätige lernen ihr Leben lang hinzu. Das müssen sie, weil die Branche schnelllebig ist. Das bedeutet, ständig in sich selbst sowie das eigene Wissen und die persönlichen Fähigkeiten zu investieren, ebenso wie Arbeitgeber in ihre Beschäftigten. Einige Unternehmen bieten dafür großzügige Budgets oder Freistellungen für die Weiterbildung an.
2. Freiraum schaffen
Entwickler ausschließlich mit Geld zu motivieren, funktioniert nicht sehr gut. Besser ist es, ihnen Zeit zu geben und darauf zu vertrauen, dass sie diese für etwas anderes als die direkte Produktentwicklung nutzen. So ist Google bekannt für den Ansatz, dass Mitarbeitende 20 Prozent ihrer Zeit für alles verwenden können, was für sie interessant ist. Daraus sind einige nützliche Produkte hervorgegangen. Der wichtigste Aspekt dabei: Durch diesen Ansatz fühlen sich Programmierer in ihrer Arbeit wertgeschätzt. Auch bei Atlassian können alle Mitarbeiter 24 Stunden an Projekten ihrer Wahl arbeiten und bringen dabei überraschende Innovationen und Verbesserungen hervor, die andernfalls vermutlich nie auf den Markt gekommen wären.
3. Open-Source-Projekte
In der Programmierung Arbeitende identifizieren sich stark mit dieser Open-Source-Welt. 91 Prozent geben an, Open Source sei ihre Zukunft. Die Möglichkeit, an Open-Source-Projekten mitzuwirken, ist für viele deshalb nicht nur sinnstiftend, sondern auch wertgeschätzt. Open-Source-Communities können daher ein wichtiger Bestandteil der Mitarbeitermotivation sein.
Der moderne Arbeitsplatz kann viel von Open Source lernen. Etwa wenn es darum geht, an Vorhaben mitzuwirken. Open-Source-Projekte sind vernünftige Modelle für einen dezentralen Arbeitsablauf. Auf diese Weise haben Personen, die sich nur über Mailing-Listen oder IRC-Kanäle kannten, einige der grundlegenden Elemente unserer Softwarewelt entwickelt. Und damit nicht genug: Sie haben auch enge Beziehungen untereinander gepflegt.
Heutzutage haben Software-Teams, die freiwillig oder aus anderen Gründen an entfernten Standorten arbeiten, viel mehr Werkzeuge zur Verfügung: Tools für die Quellcode-Kontrolle und Zusammenarbeit sind längst nicht mehr eine einfache Mailing-Liste. Menschen können durch Text-Chat, Audio- oder Videoanruf im permanenten Austausch miteinander stehen. Programme lassen sich per Bildschirmfreigabe oder mit Tools wie VSCode Live Share aus der Ferne miteinander koppeln.
Eine durchaus positive Vernetzung, die allerdings zu zusätzlichem Stress und Erschöpfung führen kann. Der Arbeitsstil eines Softwareentwickler ist individuell und kann nicht exakt dem eines anderen Kollegen entsprechen. Diese Problematik lösen Open-Source-Ansätze, indem sie die Zeit aller Beteiligten respektieren und nicht erwartet wird, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt anwesend ist. Wichtiger ist, innerhalb eines erwarteten Zeitfensters vereinbarte Aufgaben zu erledigen. Für remote agierende Teams kann es für ein ruhiges Arbeitsumfeld sehr hilfreich sein, so wenig Meetings wie möglich anzusetzen und nicht zu erwarten, dass umgehend auf Slack-Nachrichten geantwortet wird. Dadurch haben die Teammitglieder mehr Zeit zur Lösung ihrer Projektaufgaben.
4. Work-Life-Balance
Als die Pandemie den Arbeitsalltag grundlegend veränderte, hatten viele Menschen keine ideale Arbeitsumgebung im Home-Office. Auf dem Sofa oder am Küchentisch zu arbeiten, möglicherweise noch mit anderen Familienmitgliedern in der Nähe, war für viele überraschend schwierig. Burnouts nahmen zu. Selbst wenn in der Softwareentwicklung Arbeitende inzwischen häufig zu Hause ihrem Beruf nachgehen, ist es wichtig, dass der Arbeitgeber sich erkundigt, ob sie einen neuen Monitor, ein Ersatznetzteil oder auch eine neue Tastatur benötigen. Viele Arbeitgeber bieten inzwischen Budgets für das Home-Office an.
Allerdings gilt auch im Home-Office und der hybriden Arbeitswelt, dass für Unternehmen gemeinsame Aktivitäten essentiell bleiben. Hiermit sind jedoch keine unerträglichen Teambuilding-Maßnahmen gemeint, die hoffentlich der Vergangenheit angehören. Viel besser eignen sich ungezwungene Online-Spiele, um die Stimmung aufzulockern.
5. Employee-Assistance-Programme
Unternehmen, die ein Employee-Assistance-Programm anbieten, sollten sicherstellen, dass die Mitarbeitenden darüber auch informiert sind und wissen, wer diese wie in Anspruch nehmen kann. Es kann auch nicht schaden, Führungskräfte daran zu erinnern, diese Programme ebenso zu nutzen.
Für die psychische Gesundheit kann ein Startup ein schwieriges Pflaster sein. Startups sind schnelllebig, unterliegen häufigen Veränderungen und die Mitarbeiter haben viel zu tun. Umso wichtiger ist es, aufeinander aufzupassen. Das gilt nicht nur für die Führungskräfte, sondern auch die Teammitglieder. Jeder Mitarbeitende kann seinen Teil dazu beitragen, auf andere zu achten. Denn vor dem Burnout gibt es Warnzeichen. Um diese rechtzeitig zu erkennen, müssen wir Arbeit allerdings anders betrachten, die Relevanz eines gesunden Lebens muss uns bewusst werden. Das ist leichter gesagt als getan. Dennoch sind dafür auch vielbeschäftigte Startups und Tech-Unternehmen in der Verantwortung. (pg)