Die Situation ist alltäglich. Es gilt ein Problem zu lösen. Der Chef fragt in die Runde, wer eine Idee hat. In der Regel sind es stets dieselben, die sofort antworten und ihre Vorschläge in die Runde posaunen. Und meist ist es der gleiche Kreis, der die ersten Ideen dann weiterspinnt und neue hinzufügt.
In solch einem "Brainstorming" kommen manche anderen Kollegen möglicherweise gar nicht zu Wort, weil es nicht ihrem Wesen entspricht, schnell und laut jeden halbgaren Gedanken auszusprechen. Zurückhaltende, schüchterne, introvertierte Menschen sind oft nachdenklicher, gründlicher und klüger als die vorlauten. Im schnellen Geschäftsleben ist das manchmal ein Nachteil. Während die einen ewig zweifeln, abwägen und ihre Worte wägen, verkünden die Lauten ihre möglicherweise unausgegorenen Ansichten als erste und stellen damit die Weichen.
"Es ist wie in einem Orchester: Nicht der feine Geigenstrich gibt den Takt vor, sondern das hämmernde Schlagzeug", schreibt der Karriereberater und Coach Martin Wehrle im Magazin "Unicum". "Nicht die Grübler und Denker, nicht die besten Argumente setzen sich durch, sondern die Meinungstrommler. Sie nehmen blitzschnell einen Standpunkt ein, den sie mit felsenfester Sicherheit vertreten. Die leisen Geigenstriche der Grübler übertönen sie mit ihrer Überzeugung. Und wenn ihre sicheren Pläne dann gescheitert, ihre Projekte abgeschmiert und ihre Liefertermine geplatzt sind? Dann posaunen sie auch hierfür eine Erklärung hinaus - aber nie die, dass sie nicht auf die Nachdenklichen gehört haben."
Wie es sich für einen Coach gehört, hat Wehrle aber natürlich Gegenstrategien im Angebot für "Menschen, die vor dem Sprechen denken", um sich gegen "Menschen, die vor dem Denken sprechen", durchzusetzen:
Die Stunde der stillen Mahner schlägt oft erst, wenn die lauten Parolen sich als falsch erwiesen und die Schreihälse gescheitert sind. Selbst wenn die Einwände der klugen Stillen dann nicht mehr umgesetzt werden können, haben ihre leisen Stimmen beim nächsten Meinungskonzert dann vielleicht mehr Gewicht.
(Quelle: Wirtschaftswoche)