Industrial Data Space

Wie thyssenkrupp die Datenhoheit behält

02.10.2017 von Christoph Lixenfeld
Im Industrial Data Space tauschen Unternehmen Daten sicher aus, ohne die Souveränität zu verlieren. Wie gut das schon funktioniert, beweist thyssenkrupp Steel Europe.
  • Entwickelt hat den geschützten Datenraum die Fraunhofer Gesellschaft.
  • Ziel ist die Schaffung eines internationalen Softwarestandards für sicheren Datenaustausch zwischen Unternehmen.
  • Genutzt werden könnte die Technologie in so ziemlich allen Wirtschaftsbereichen.

Nichts charakterisiert unseren Umgang mit Daten so treffend wie das berühmte Lenin-Zitat "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser": (Fast) niemand gibt seine Daten einfach so heraus und hofft anschließend, es werde schon niemand Schindluder damit treiben.

Die (Stahl-) Lager von thyssenkrupp werden von 20.000 Lkw pro Monat versorgt.
Foto: thyssenkrupp AG

Sogar die größte Datenschleuder des Universums, Facebook, warnt seine Nutzer mittlerweile in einer breit angelegten Kampagne, doch bitte beim Posten nicht mehr ganz so sorglos und naiv zu sein wie bisher.

Unternehmen waren beim Datenaustauch schon immer vorsichtiger als Privatleute, konnten deshalb aber zum Teil von diesem Austausch auch nicht wie gewünscht profitieren.

Wolken machen misstrauisch

Beispielsweise entstanden um die Jahrtausendwende überall elektronische Marktplätze, die den Einkauf von Verbrauchsteilen bündeln und transparenter machen sollten. Das funktionierte meist nur bis zu dem Punkt, an dem Lieferanten auch kundenspezifische Preise hinterlegen sollten.

Viele zögerten, weil sie nicht wissen konnten, wer diese Informationen alles sehen kann. Was ihnen fehlte, war die gewünschte Kontrolle, man könnte auch sagen die Datensouveränität.

Ab in die Wolken: Das ungesteuerte Austauschen von Daten über Marktplätze weckt bei vielen Unternehmen zurecht Ängste.
Foto: Tom Wang - Fotolia.com

Denn die beschriebenen Marktplätze funktionieren nach den Regeln des Cloud-Computing. Was bedeutet, dass Daten - im übertragenen Sinne - in eine große Halle gepumpt werden und alle, die sich in dieser Halle aufhalten (weil sie Eintritt bezahlt haben) sie nutzen dürfen.

Es geht um Datensouveränität

Ganz anders läuft es im IDS, dem Industrial Data Space. Hier können Unternehmen genau festlegen, wer welche Daten sehen darf. Sie nutzen dazu - um im Bild zu bleiben - abgeteilte Räume, in denen sie spezifische Daten exklusiv für eine genau definierte Gruppe von Usern bereitstellen - und das wenn nötig nur für einen begrenzten Zeitraum.

"Wenn es um Datenaustausch geht, ist immer sehr viel von Sicherheit die Rede. Die ist natürlich wichtig, aber ebenso wichtig ist Datensouveränität", sagt Mona Wappler, Projektmanagerin Industrial Data Space in der Zentralen Entwicklungsabteilung von thyssenkrupp in Essen.

Mona Wappler ist Projektmanagerin Industrial Data Space in der Zentralen Entwicklungsabteilung von thyssenkrupp in Essen.
Foto: thyssenkrupp

Der diversifizierte Industriekonzern - Schwerpunkt Stahlherstellung und -verarbeitung - mit seinen ca. 155.000 Mitarbeitern fertigt pro Monat 20.000 Lkw ab. Für das Be- und Entladen jedes Fahrzeugs stehen 30 Minuten zur Verfügung. Verzögert sich die Ankunft eines Lastwagens, kann schnell die gesamte Planung durcheinandergeraten, was nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld kostet.

Über 70 Partner sind schon an Bord

Mithilfe der IDS-Technologie will thyssenkrupp diesen Prozess nachhaltig optimieren. Anrollende LKW melden nach definierten Regeln kontinuierlich ihren Standort, zum Beispiel über eine App, die sich der Fahrer auf sein Smartphone lädt. Anhand der Positions- und Verkehrsdaten sowie der Routen, die der Fahrer wahrscheinlich wählt, erkennt ein Algorithmus, wann sich eine Ankunft verzögert. Verspäteten Lastern schlägt das Computersystem dann ganz ohne menschliches Zutun ein neues Beladefenster vor.

Für das Be- und Entladen jedes Lastwagens stehen 30 Minuten zur Verfügung. Verzögert sich die Ankunft eines LKW, kann schnell die gesamte Planung durcheinandergeraten.
Foto: thyssenkrupp

Beide Partner - der Lkw-Fahrer bzw. seine Spedition und thyssenkrupp - wissen bei diesem Vorgang jederzeit genau, was mit ihren Daten passiert und wer genau die ausgetauschten Informationen nutzt.

Fraunhofer federführend

Den Industrial Data Space entwickelte die Fraunhofer Gesellschaft mit finanzieller Unterstützung des Bundesforschungsministeriums. Die mittlerweile über 85 Anwenderunternehmen und Dienstleister im Anwenderverein Industrial Data Space Association organisiert, arbeiten gemeinsam daran, IDS als internationalen Standard für den sicheren Datenaustausch zwischen Unternehmen zu etablieren und laufend weiterzuentwickeln.

Als einer der ersten Anwender - wobei es mittlerweile weitere IDS-Projekte in der Industrie gibt - spielt thyssenkrupp dabei eine Vorreiterrolle. Projektmanagerin Mona Wappler: "Die Software-Architektur entwickelt sich weiter und wir entwickeln mit. Der Logistik-Usecase ist in der Pilotierungsphase, wir lernen so kontinuierlich hinzu und spiegeln diese Erkenntnisse der IDS Initiative."

Connectoren mit dem Backend verbinden

Technische Basis der Anwendung ist der sogenannte IDS-Connector. Dabei handelt es sich um eine Kombination unterschiedlicher Software-Artefakte. Wer Mitglied im Anwenderverein ist, kann sich die Prototypen dieser Artefakte herunterladen und daraus einen Use Case entwickeln. Zur Use-Case-Umsetzung bedarf es darüber hinaus der Integration in das eigene Backend.

Hinter dem Begriff Industrie 4.0 steckt auch der Gedanke, Prozesse mit möglichst wenig menschlicher Beteiligung steuern und ausführen zu können.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

"Die Umsetzung von Industrie 4.0 erfordert den Datentransfer zwischen Unternehmen", sagt Mona Wappler von thyssenkrupp. "Im IDS sind eine Vielzahl möglicher Anwendungen denkbar, wie zum Beispiel die Nutzung von Produkt- und Prozessdaten für Predictive Maintanance, oder auch die Optimierung der Supply Chain durch einen digitalen Austausch von Daten zwischen Kunden und Lieferanten."

Der Mensch überwacht nur noch

Zu Ende gedacht bedeutet das IDS-Konzept nicht nur, dass Unternehmen die Souveränität über ihre Daten und deren Verwendung behalten. Es beinhaltet auch die Möglichkeit, dass Maschinen mit anderen Maschinen kommunizieren, ohne dass Menschen daran beteiligt sind - wie es ja im Fall von thyssenkrupp bereits der Fall ist.

Irgendwann in Zukunft könnte also ein automatisches Lager die Bestellung einer Charge (von was auch immer) auslösen und an den Lieferanten übersenden. Der kommissioniert - ebenfalls vollautomatisch - das Gewünschte, lädt es auf einen Lkw, der sich fahrerlos auf den Weg macht, seine Ankunft per Funk ankündigt und dann ohne menschliches Zutun entladen wird.

Das Bestellte gelangt vom Lager in die angeschlossene Fabrik, wird von Robotern nach Vorgaben, die der Kunde elektronisch übersandt hat, weiterverarbeitet, bevor nur wenige Minuten nach Fertigstellung wieder ein Lkw anrollt, um es abzuholen.

Und der Mensch? Der überwacht nur noch, frei nach dem Leninschen Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser".