Aktuell suchen Unternehmen nach der perfekten Balance von Home-Office und Büroanwesenheit in post-pandemischen Zeiten. Derzeit arbeitet etwa jeder zweite deutsche Erwerbstätige dem Branchenverband Bitkom zufolge zumindest teilweise von zu Hause aus. Auch deutsche Großkonzerne wie Siemens oder die Deutsche Telekom geben laut Business Insider an, dass hybrides Arbeiten in ihrem Unternehmen nach der Pandemie weiterhin möglich ist.
Hybride Arbeitsmodelle: Es gibt nicht die eine Lösung
Harvard Business Review hat dazu im Juni 2021 eine Liste mit fünf verschiedenen Arbeitsmodellen veröffentlicht, die den Arbeitsalltag nach der Pandemie bestimmen könnten - vom früheren Status quo mit 100 Prozent Anwesenheit im Büro bis hin zum vollständig virtuellen Modell. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich weder das eine noch das andere Modell gleichermaßen für jedes Unternehmen eignet. Führungskräfte müssen sich daher stets die Frage stellen, welche Arbeitsprozesse priorisiert werden sollen.
Erfahrungsgemäß lassen sich vor allem Tätigkeiten, die ein hohes Maß an Konzentration erfordern, besser von zu Hause aus erledigen, da hier der Ablenkungsgrad signifikant niedriger ist als im Büro. Dahingegen sind Aufgaben, die mit hoher Kollaboration zwischen den Teammitgliedern verbunden sind, wie beispielsweise Brainstorming Workshops, leichter auszuüben, wenn man sich ohne Bildschirm gegenübersitzt.
Das sogenannte Clubhouse-Modell trägt genau diesen variierenden Bedürfnissen Rechnung und sieht Bürotage für kollaborative Arbeit und Home-Office-Tage für fokussierte Aufgaben vor. Während die Belegschaft in diesem hybriden Modell noch verhältnismäßig oft in einem zentralen Büro und am Arbeitsplatz erwartet wird, gehen die hybriden Modelle Activity-based und Hub-and-Spoke einen beziehungsweise zwei Schritte weiter.
Beim Activity-based-Modell verlagern Unternehmen die Verantwortung, ihre Bürotage zu organisieren, auf ihre Angestellten: Beschäftigte werden im Büro erwartet, es gibt jedoch keine fest zugewiesenen Arbeitsplätze mehr. Stattdessen rotieren sie ihre Plätze je nach der Tätigkeit, an der sie momentan arbeiten. Im Gegensatz dazu dezentralisiert das Hub-and-Spoke-Modell sogar die Institution Büro. Die Teammitglieder können theoretisch über den ganzen Globus verteilt sein und arbeiten von kleinen und lokalen Büros in der Nähe ihrer jeweiligen Wohnorte aus.
Führungskräfte, die vor der Frage stehen, welches Arbeitsmodell sie für ihr Unternehmen wählen möchten, sollten vor einer finalen Entscheidung ausgiebig abwägen, welche Vor- und Nachteile das präferierte Modell hat und ob sie diese Gewichtung langfristig vertreten möchten. Besonders in Betrieben, die schon vor der Pandemie davon getrieben waren, Prozesse zu überwachen, geht die Tendenz wieder dazu, das Personal möglichst häufig im Büro und somit unter der eigenen Kontrolle zu wissen. Oftmals waren es auch diese Unternehmen, die während der Pandemie versuchten, die Home-Office-Pflicht damit zu umgehen, dass laut eigener Aussage die Arbeit nur vor Ort erledigt werden könne.
Zu Beginn der Pandemie war ein häufig vernommenes Argument gegen Home-Office, dass Führungskräfte gar keinen Einblick haben, was ihre Angestellten tatsächlich von zu Hause aus leisten - die Produktivität sei deutlich geringer als im Büro. Diese These ist seither mehrfach von Studien widerlegt worden. Der Schlüssel liegt hierbei vor allem darin, dass sich Unternehmen und ihre jeweiligen Führungskräfte einem Change-Management-Prozess aussetzen. Manager:innen müssen den Fokus verlagern - weg von den Prozessen, hin zum Output. So geben sie ihren Mitarbeiter:innen das Gefühl der Eigenverantwortung, ohne dabei an Kontaktpunkten hinsichtlich der Arbeit einbüßen zu müssen.
Die größte Herausforderung ist jedoch, den eigenen Angestellten einerseits die Freiheit des Home-Office zu gewähren, andererseits aber die Bedeutung der persönlichen Zusammenarbeit hervorzuheben. Vollständige Remote Work führt nämlich langfristig dazu, dass die Bindung zwischen Kolleg:innen untereinander oder zu Vorgesetzten und dem Unternehmen verloren geht - der klassische Smalltalk an der Kaffeemaschine oder das gemeinsame Mittagessen finden nicht mehr statt. Die Gefahr hierbei liegt vor allem darin, dass das Team als Konstrukt in die Brüche geht und die Mitarbeiter:innen hauptsächlich als Einzelkämpfer:innen agieren. Auf der anderen Seite haben sich Angestellte zu großen Teilen daran gewöhnt, nicht mehr jeden Tag ins Büro fahren zu müssen. Statt zum Teil bis zu drei Stunden am Tag im Zug zu sitzen, können sie ihren Arbeitstag deutlich effizienter gestalten, ohne dabei zu viel Freizeit einzubüßen.
Hier gilt es für Führungskräfte, in Abstimmung mit ihrem Team, die passende Balance zu finden und persönliche Austauschmöglichkeiten sinnvoll mit der Flexibilität des Home-Office zu verknüpfen. Vor allem digitale Technologieunternehmen sollten an einem vernünftigen Kompromiss interessiert sein. Gerade in dieser Branche wird der Kampf um neue Talente besonders tatkräftig ausgefochten. Wer sich hierbei nicht an den Interessen der Belegschaft und der potenziellen Neu-Angestellten orientiert, wird mittelfristig auf der Strecke bleiben.
Es zeigt sich also, dass die Wahl des passenden Arbeitsmodells nicht einzig zwischen Home-Office und Büroarbeit getroffen werden muss. Die bereits erwähnten hybriden Modelle bieten viele hilfreiche Ansätze und können beliebig individualisiert werden, sodass sie bestens zum eigenen Unternehmen, zu den Bedürfnissen des Führungsteams und denen der Belegschaft passen. Entsprechend sollte auch die Performance-Evaluation mit dem gewählten Arbeitsmodell in Einklang gebracht werden. So sind Beschäftigte versichert, dass ihre Leistung honoriert wird, auch wenn sich ein Unternehmen für ein Modell entscheidet, das zumindest teilweise die Arbeit aus dem Home-Office vorsieht.
Arbeitsmodell finden: Mitarbeiter einbeziehen
Während des Entscheidungsprozesses suchen Führungskräfte oftmals nach Studien und Daten, die ihnen bei der Auswahl eines neuen Arbeitsmodells helfen sollen. Viel zu oft fallen Entscheider:innen dabei dem Trugschluss anheim, aus einer breiten statistischen Mehrheit Heuristiken für alle in ihrem eigenen Unternehmen ableiten zu wollen. Dabei laufen sie jedoch Gefahr, den Frust in der Belegschaft anschwellen zu lassen, wenn sie nicht berücksichtigt werden. Manager:innen sollten daher das direkte Gespräch mit den Angestellten suchen und mit ihnen gemeinsam evaluieren, welches Arbeitsmodell das beste für ihr jeweiliges Unternehmen ist. Manchmal können auch mehrere Modelle passend sein, sodass sich Führungskräfte überlegen müssen, ein hybrides Modell anzubieten.
Um zu verhindern, dass das Nonverbale verloren geht, sollten diese Gespräche möglichst persönlich mit dem Team durchgeführt werden. Besonders emotional-zwischenmenschliche Führungsqualitäten wie Empathie können in persönlichen Gesprächen Ergebnisse zu Tage fördern, die eine nüchtern-unterkühlte virtuelle Atmosphäre im Keim ersticken würde.
Jeder Mensch ist ein Individuum - und jedes Unternehmen kann als individueller Organismus angesehen werden. Eine Universallösung für das perfekte post-pandemische Arbeitsmodell gibt es daher nicht. Manchmal agiert ein Team besser vom Home-Office aus, manchmal hat sich nach der langen Zeit auch schon eine gewisse Abneigung gegen digitale Meetings breitgemacht, und das Team begrüßt einen Wechsel zurück ins Büro. Ein Wandel im Arbeitsmodell kann auch einmal bedeuten, nach langer Zeit im Home-Office ein Team-Event, wie zum Beispiel ein Grillfest oder ein Hüttenwochenende zu organisieren, bei dem sich alle Angestellten wieder persönlich sehen können. Der Geist eines solchen Events kann noch lange nachwirken und das Team motivieren.
Die COVID-19-Pandemie zwang Unternehmen von heute auf morgen zum Handeln und Umdenken: Einerseits wurden strikte Regularien vorgegeben, andererseits veränderten die Erfahrungen aus dem Home-Office auch die Präferenzen der Mitarbeiter:innen. Oftmals wird die mangelnde Option auf Heimarbeit mittlerweile als Kündigungsgrund angesehen. Unternehmen haben daher jetzt die Gelegenheit, aus den Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre zu lernen, indem sie ein Arbeitsmodell finden, das am besten zu ihrer Belegschaft passt und sie im umkämpften Arbeitsmarkt als attraktiven Arbeitgeber positioniert. Sonst laufen sie Gefahr, den Wettbewerb um die besten Beschäftigen und vor allem Nachwuchskräfte ein für alle Mal zu verlieren. (pg)