Bei trendigen Themen gibt es die Versuchung, stetigen Fortschritt schlichtweg anzunehmen. Zum Beispiel, dass immer mehr Unternehmen auf immer bessere Weise Social Media nutzen - und dass sich das ständig so fortentwickelt. In diesem Fall ist, wie neue Studien zeigen, nicht ganz so einfach. Dabei gibt es einerseits durchaus die Tendenz, dass Firmen mit einer noch jungen Technologie wie Social Media versierter umzugehen lernen.
Sogar bei deutschen Top-Konzernen wie Siemens oder Allianz waren im vergangenen Jahr signifikante Steigerungen bei Performance und Readiness zu beobachten, wie aus den Studien hervorgeht. Gleichwohl bleibt immer noch eine Menge Potenzial nicht ausgeschöpft. Und in einem speziellen Feld wie HR zeigt sich zumindest in Teilen ein Abflauen.
Telekommunikation ist beste Branche
Das neue, auf deutsche Unternehmen bezogene Material speist sich aus zwei Quellen. So legte der Personaldienstleister ADP kürzlich zum siebten Mal seinen seit Ende 2012 bestehenden ADP Social Media Index vor, erstellt von der Cisar - consulting and solutions GmbH. Dafür wurden 155 Unternehmen telefonisch oder online befragt sowie die Webseiten und Social Media-Aktivitäten von 95 Firmen untersucht.
Ebenfalls seit 2012 existiert das Social Media Maturity-Modell, mit dem die Berater der Digital Transformation Group (DTG) aus München den Social Media-Reifegrad der Unternehmen in Deutschland ermitteln. Die DTG arbeitet daran gemeinsam mit dem Social Media Excellence Kreis (SME), der nach eigenen Angaben aus über 350 Mitgliedern aus den führenden 160 Social-Media-Anwenderunternehmen besteht und in einem offenen und praxisorientierten Austausch Erfahrungen mit Social Media gemeinsam diskutiert.
Validiert wird das Modell auch von der Hochschule Aachen. Entsprechend preist die DTG ihr Modell als das einzige Social Media-Reifegradmodell an, das "wissenschaftlich fundiert ist und mehrjährig in der Praxis getestet wurde" sowie belastbare Aussagen über Social Media-Fähigkeiten und -Wirkung eines Unternehmens treffe. Bisher seien 150 Unternehmen durch das Modell vermessen worden.
Audi vor Sky und Mercedes-Benz
Die Ausgabe des Jahres 2015 liefert als erste Erkenntnis, dass sich die Namen der Top-Unternehmen gegenüber 2014 nicht geändert haben. An der Spitze liegt weiterhin Audi vor Sky Deutschland und Mercedes-Benz. Als Branche schneidet insgesamt am besten Telekommunikation ab, vor Automotive und Medien. Schlusslichter sind hier die öffentlichen Dienstleister und die Hersteller von Konsumgütern des alltäglichen Bedarfs.
Für eine vertiefte Einordnung der Resultate muss man sich an der Architektur des Modells entlang hangeln. Gemessen wird auf zwei unterschiedlichen Ebenen: der Social Media-Readiness, also den Fähigkeiten der Unternehmen in diesem Bereich, und der Social Media-Performance, also der Außenwirkung. Es zeigt sich, dass der Bereich Readiness mittlerweile alles in allem recht weit entwickelt ist, während bei der Performance unverkennbarer Nachholbedarf herrscht.
Gezeigt wird dies jeweils auf einer Punkteskala von 0 bis 10. Die Telekommunikationsbranche erreicht beispielsweise das beste Ergebnis bei der Readiness mit 8,53 Punkten. Der Automobilbranche reichen zum Triumph in der Performance-Wertung bescheidene 3,70 Punkte. Die rote Laterne halten hier die öffentlichen Dienstleister mit mickrigen 0,68 Punkten. In der Readiness-Wertung heimst hingegen selbst das Schlusslicht Konsumgüterbranche 5,73 Punkte ein.
E.ON und Disney partiell sehr gut
Die Readiness besteht aus fünf Kategorien, für die DTG jeweils das beste Unternehmen ermittelt hat. In der Kategorie Strategie & Planung schnitten Siemens und E.ON am besten ab. Execution wird angeführt von Mercedes-Benz, Interaction von GLS, Intelligence von Siemens. Die fünfte Kategorie ohne herausragenden Vertreter ist Organisation. Gegenüber 2014 haben sich die Unternehmen vor allem im Bereich Interaktion verbessert, namentlich gelang dies Allianz, Unitymedia und Siemens.
Für den Performance-Score gewichtet DTG das Engagement mit 50 Prozent besonders schwer. Hierbei geht um Interaktions- und Response-Raten sowie die Views auf Social Media-Seiten wie Facebook, Twitter, G+, YouTube und LinkedIn. Bestes Unternehmen in diesem Bereich ist DPD. Den Bereich Buzz, der sich um User-Generated Content dreht, meistert Sky Deutschland laut Studie besonders gut. Die Kategorie Reach, die sich an Followern und Fans orientiert, hat Disney besonders gut im Griff. Die Kategorie Sentiment misst Empfehlungen und geäußerte Abneigung. In der Gunst der User schneidet Siemens besonders gut ab.
Die Aufsteiger des Jahres tun sich besonders beim Engagement und bei der Reichweite hervor. Es handelt sich laut DTG um HypoVereinsbank UniCredit, Mercedes-Benz und Allianz.
Nutzung von Social Media im HR-Bereich normalisiert sich
Im ganz dem Personalbereich gewidmeten Social Media-Index von ADP finden sich wie erwähnt zum Teil wenig euphorische Klänge. "Das ehemals starke Wachstum bei der Nutzung von sozialen Medien durch die HR-Bereiche hat sich im zweiten Halbjahr normalisiert", heißt es in der Rückschau auf die Zeit seit Juli 2015. "Es wird aber in der nächsten Periode weiterhin in soziale Medien investiert."
Der Ausblick auf dieses Jahr klingt ebenfalls gedämpft: "Auch 2016 nehmen die Investitionen in Social Media zu, allerdings sind die Steigerungsraten nicht mehr so hoch wie in den letzten Jahren." Fast zwei Drittel der Unternehmen wollten aber weiterhin mehr als in der Vergangenheit investieren.
Verlinkung fehlt
Als Rekrutierungsplattform dient weiterhin am häufigsten die eigene Unternehmenswebseite. Dahinter folgen als kommerzielle Plattformen XING und LinkedIn. "Die unternehmensspezifischen Karrierewebseiten werden immer noch zu wenig mit den sozialen Medien verlinkt", moniert Studienautor Professor Walter Gora von der Beratung Cisar. "Zudem ist bei vielen Unternehmen die Qualität der HR-Informationen weiterhin verbesserungswürdig."
Im Branchenvergleich sind Finanz- und Versicherungsunternehmen weiterhin vorne. Behörden und öffentlich-rechtliche Institutionen konnten sich zwar absolut seit 2012 verbessern. Gora stellt aber auch fest, dass sie ihren Rückstand gegenüber anderen Branchen nicht aufholen konnten und auf niedrigem Niveau stagnieren.
39 Prozent der befragten Firmen haben inzwischen eine eigene Social Media-Strategie. 36 Prozent sagen, eine Strategie sei geplant oder in Arbeit. Hier ging es im vergangenen Halbjahr leicht voran, der Aufholbedarf erscheint aber immer noch groß - was alles in allem weiterhin vor allem für kleine Unternehmen gilt.
9 aktuelle Trends bei Social Media
Von DTG und SME gibt es neben der zitierten Studie einen Überblick über die neun aktuell bestimmenden Social Media-Trends:
1. KPIs und Benchmarking
KPIs und Benchmarking sollen dabei helfen, den Erfolg in Social Media sichtbar und vor allem messbar zu machen. Mittels Performance-Metriken lassen sich die unterschiedlichsten Kanäle und Unternehmen miteinander vergleichen. Die Ergebnisse des Benchmarking sind Indikatoren für den Fortschritt und die Erfolge der Social Media-Aktivitäten. Woran es bei vielen Unternehmen allerdings in der Umsetzung noch hapert, ist der Bezug von Social Media-Metriken zum Unternehmenserfolg.
"Nur weil es messbar ist, ist es nicht immer nützlich. Alles kann in einer digitalisieren Welt messbar gemacht werden", sagt Christian Maybaum, Global Social Media Coordinator bei der Deutschen Post DHL Group. Die Hälfte der Metriken sei nützlich und führe zur Optimierung des Resultats. Die Frage sei nur: Welche 50 Prozent sind das?
2. Digitale Transformation
Bereits bestehende Digitalaktivitäten in Marketing, Vertrieb und Service müssen in ein Gesamtbild eingeordnet werden. Social Media kann laut DTG und SME in diesem Kontext ein wichtiger Impulsgeber für die digitale Unternehmensstrategie sein. Hierzu müsse aber die teilweise taktische Sicht auf Social Media entlang von Posts, Plattformen und Kampagnen auf eine strategische Ebene gehoben werden.
"Die digitale Transformation erfordert Mut zur Priorisierung und eine Konzentration auf das Wesentliche", sagt Klaus Rovara, Head of Digital Business to Consumer (CDT-BC) der BSH Hausgeräte GmbH. "Das bedeutet auch zu definieren, was nicht gemacht werden soll - ein anspruchsvolles und teilweise schmerzhaftes Unterfangen in einer sich ständig verändernden digitalen Landschaft, in der immer neue Geschäftsideen entstehen."
3. Blogger Relations und Influencer Marketing
"Sind die Social Media-Kanäle eines Unternehmens etabliert und das eigene Blog mit einer gut funktionierenden Content-Strategie versorgt, kommen im nächsten Schritt die Blogger oder Influencer Relations ins Spiel", so DTG und SME. Andere Blogger oder einflussreiche Personen könnten wichtige und glaubwürdige Markenbotschafter sein, Multiplikatoren und Trendbarometer. Die Schwierigkeit dabei sei jedoch die richtige Ansprache - denn instrumentalisieren lassen sich die sogenannten Influencer nur äußert ungern.
4. Echtzeit Updates
Echtzeit-Updates gewinnen daher als Marketing-Strategie für Unternehmen zunehmend an Bedeutung. So können aktuelle Meldungen beispielsweise dazu genutzt werden, relevanten Content für die eigene Zielgruppe zu posten.
5. Personalisierte Werbung
Die Bedürfnisse und Interessen eines Kunden sind die neue Währung im Marketing. Anstatt also Werbung nach dem Zufalls- oder Gießkannenprinzip über soziale Kanäle zu streuen, hilft personalisierte Werbung Unternehmen dabei, ihre Zielgruppe direkt zu adressieren. Idealerweise können so neue Kunden generiert werden. Was zählt ist die langfristige Kundenbindung, die gerade in Zeiten von Media-Overflow und Überangebot immer entscheidender wird.
6. Social CRM
Social CRM, also soziale Kanäle in den Servicedialog zu integrieren, hat sich mittlerweile in Deutschland etabliert. Der Kunde soll, egal über welchen Weg, in Kontakt mit dem Unternehmen treten und Informationen abrufen können. Damit das reibungslos funktioniert, müssen die Social Media-Kanäle allerdings an die operative Systemlandschaft - etwa an CRM-Systeme - der Unternehmen angebunden sein. Unternehmen können ihre Kunden so besser verstehen und auf ihre Wünsche und Bedürfnisse eingehen. Im Gegenzug können sie das so erlangte Wissen in ihre diversen Marketing- und Vertriebsmaßnahmen einbauen.
"Leider wird in Deutschland zwar viel über Social CRM gesprochen, aber noch wenig dazu gemacht", moniert Selena Gabat, Director Social Media der Sky Deutschland AG. "Der einzige Weg aus meiner Sicht ist, sich langsam über kleinere Use Cases heranzutasten."
7. Eigene Customer Social Networks
Kundenservice über unternehmenseigene Social Media-Kanäle liegt laut DTG und SME definitiv im Trend. Nicht nur, dass Kunden ihn zunehmend erwarten, Kundenservice und Social Media passen auch besonders gut zusammen: Soziale Netzwerke sind geschaffen für den Dialog und die direkte Ansprache, aber auch für den gegenseitigen Austausch von Mitgliedern untereinander.
8. Social Sales
Bei Social Selling wird das Potenzial von Social Media wie LinkedIn, Facebook, Blogs, Foren und Twitter eingesetzt, um vertriebliche Ansatzpunkte zu identifizieren sowie direkt vertrieblich zu nutzen. Social Media ermöglicht es, potenzielle Neukunden zu gewinnen, Erstkontakte herzustellen, Referenzen für das eigene Unternehmen und Produkt zu bekommen sowie Beziehungen zu vertiefen und bestehende Kunden zu loyalisieren. Die Herausforderung besteht hier häufig darin, das interne Gehör bei den Vertriebsverantwortlichen zu bekommen und Social Media strategisch im Unternehmen neu zu verorten.
9. Echter Realtime Content
Der Begriff Realtime Content bezeichnet Inhalte, die in Echtzeit generiert und nachgeladen werden, sobald die E-Mail oder der Social Media-Kanal vom Empfänger geöffnet wird. "Zeitkritische Inhalte sind somit immer aktuell und bieten dadurch einen echten Mehrwert", meinen DTG und SME. Ob nun eingebettete Videos oder Bilder, ein Countdown Timer für zeitlich begrenzte Aktionen oder Feeds aus sozialen Netzwerken - die dynamischen Komponenten eignen sich sehr gut für individuelle Marketing-Aktionen. "Erforderlich dafür ist die Anbindung der Social Media Kanäle an Marketing-Automatisierungsplattformen", so die Experten.