VW.OS Betriebssystem

Wie Volkswagen Softwarekonzern werden will

29.06.2020 von Martin Bayer
Allen Problemen und Schwierigkeiten im Automobilgeschäft zum Trotz will Volkwagen Milliarden in seine Entwicklung investieren. Im Fokus steht die eigene Produktions-IT und der Bereich Softwareentwicklung - Stichwort VW.OS.

Anfang Juli soll der Bereich Car.Software im Konzern seine Arbeit aufnehmen. "Wir wechseln vom Planen ins Machen", sagte Christian Senger, CEO der Car.Software-Organisation, kurz vor dem Start. Das Ziel: Mit eigenem Budget und eigenen Mitarbeitern soll eine digitale Plattform für alle Konzernmarken und Märkte entwickelt werden.

Für die Mobilität der Zukunft braucht es neue Konzepte. Bei Volkswagen spielen dabei Software und Plattformen eine zentrale Rolle.
Foto: VW

Das Vorhaben ist durchaus ambitioniert. Die Gretchenfrage, die die VW-Verantwortlichen im Vorfeld beantworten mussten, lautete: Make or buy? Die Antwort ist eindeutig: Bis 2025 will Senger den Eigenanteil an der Software in den Fahrzeugen aus dem eigenen Haus auf 60 Prozent steigern. Aktuell liegt er bei etwa zehn Prozent. Es gebe durchaus unterschiedliche Ansätze, einen Software-Stack auf die Beine zu stellen, räumt Senger ein. Einige Autohersteller würden enge Entwicklungspartnerschaften mit großen IT-Konzernen schließen, andere konzentrierten sich auf den reinen Fahrzeugbau und kauften Software weiter dazu.

"Wir wollen unsere Software-Plattform selbst entwickeln"

"Für uns kommt das nicht in Frage", bekräftigt der VW-Manager. "Wir können und wir wollen unsere Software-Plattform selbst entwickeln." Das hat verschiedene Gründe. Senger verweist auf die Komplexität eines Automobils. Dafür fehle das Verständnis bei Wettbewerbern außerhalb der eigenen Branchen - und auch im IT-Markt. Es sei wesentlich einfacher, ein Smartphone zu vernetzen als ein Automobil. Außerdem will VW die Kontrolle behalten. Das sei wichtig um, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, betont Senger. "Schon deshalb können wir Dritten keinen kompletten Zugriff auf Daten in unseren Fahrzeugen geben." Künftige digitale Wertschöpfung soll im Unternehmen bleiben. Zudem setzt der VW-Mann auf Skalierungseffekte. "Software entfaltet ihr Potenzial mit der steigenden Zahl der Fahrzeuge. Das gilt für Kostenvorteile, aber auch für das Lernen aus Daten." Senger verweist an dieser Stelle auf rund elf Millionen verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2019.

Mit dem kommenden VW.OS will der Autobauer neue Anwendungen schneller auf den Markt bringen, verspricht Christian Senger, CEO der Car.Software-Organisation bei Volkswagen.
Foto: VW

Für diese Fahrzeuge soll es künftig mit VW.OS ein einheitliches Betriebssystem geben. In der künftigen Plattform würden Hardware, Betriebssystem und Apps voneinander getrennt, beschreibt Senger die Architektur. Das reduziere die Komplexität und erlaube es VW, neue Funktionen schneller an den Start zu bringen. "Die Innovationszyklen werden kürzer. Wir werden neue Anwendungen viel schneller auf den Markt bringen", verspricht der Manager. Über den App-Layer sei es zudem möglich, die Fahrzeuge für verschiedene Märkte und unterschiedliche Klassen, beispielsweise Premium- und Volumensegment, zu differenzieren.

Die wichtigste Währung für die Entwicklung neuer Funktionen sind Daten. Senger spricht von einem Big Loop. Sämtliche Informationen aus der Fahrzeugflotte sollen in einem zentralen Data Lake gesammelt werden. KI im Auto werde die relevanten Informationen herausfiltern und in die Cloud schicken. Dort ließe sich dann im nächsten Schritt durch die Analyse der Daten feststellen, welche neuen Funktionen gefragt seien beziehungsweise wie sich bestehende Apps weiter ausbauen ließen.

Die Top-CIOs der Automobil-Branche
Sven Lorenz
Der langjährige Porsche-CIO Sven Lorenz ist Konzern-CPO bei Volkswagen. Bei der Kür zum CIO des Jahres 2006 schaffte es Sven Lorenz auf den zweiten Platz.
Falko Morlock
Seit 1. September 2023 ist Falko Morlock CIO des schwäbischen Maschinen- und Anlagenbauers Dürr AG.
Alexander Buresch
Alexander Buresch ist seit Januar 2020 CIO des bayerischen Automobilkonzerns. Ein Foto des Managers hat BMW bislang noch nicht veröffentlicht. Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit mehr als 20 Jahren für BMW tätig und war zuletzt Vice President Corporate Strategy and Planning.
Hauke Stars
Seit Februar 2022 ist Hauke Stars IT-Vorständin und Chief Information Officer bei Volkswagen.
Katrin Lehmann
Als CIO der Mercedes-Benz Group AG und der Mercedes-Benz AG verantwortet Katrin Lehmann die globale IT für alle Geschäftsbereiche, Marken und Märkte und berichtet direkt an den CEO.
Jürgen Sturm
Jürgen Sturm ist seit Januar 2015 Informatikleiter beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Sturm ist promovierter Ingenieur und kommt von der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH. Sturm war vor seiner BSH-Zeit zwischen 1999 und 2003 Bereichsleiter Organisation, Prozesse und Informationssysteme bei der Grundig AG.
Volker Schwarz
Der langjährige Rheinmetall-CIO Volker Schwarz ist seit Januar 2024 CIO beim Automobilzulieferer GKN Automotive.
Frank Loydl
CIO der Audi AG und damit Nachfolger des bisherigen CIO Mattias Ulbrich ist seit Februar 2018 Frank Loydl. Seit 2016 verantwortete er im Konzern die Software-Entwicklung. Ab 2009 war er bei T-Systems das Delivery Management für den Kunden Volkswagen AG zuständig. Diese Aufgabe übernahm Loydl 2013 schließlich direkt für den Automobilkonzern.
Martin Hofmann
Martin Hofmann tritt zum 1. Mai 2023 seinen neuen Posten als CTO und CIO bei Volta Trucks an. Zuvor war er drei Jahre als Senior Vice President bei Salesforce und über 19 Jahre bei Volkswagen, dort zuletzt als Group CIO.
Alexander Eisl
Der ehemalige MAN-Manager Alexander Eisl hat am 1. Oktober 2022 die Nachfolge von Skoda-CIO Klaus Blüm angetreten, der zu VW gewechselt ist.
Michael Hilzinger
Michael Hilzinger ist seit Juli 2019 CIO beim Bremsen-Spezialisten Knorr-Bremse in München. Er war zuvor Group CIO beim Stahlhändler Klöckner in Duisburg.
Petra Clemens
Seit Oktober 2024 leitet Petra Clemens die IT von Cariad, der Software-Tochter von Volkswagen. Sie kommt vom Eisenbahnlogistiker VTG.
Markus Bentele
Markus Bentele ist seit Januar 2017 Vice President Information Technology (VP)/Group CIO beim Automobilzulieferer Mahle International GmbH in Stuttgart. Zuvor war Bentele Corporate CIO der Rheinmetall AG.
Christian Ley
Christian Ley leitet seit 2006 den Bereich Informationssysteme Brose Gruppe. In dieser Funktion verantwortet er den Ausbau der IT-Lösungen im Kontext der Unternehmensstrategie. Ley begann 1995 als Diplom Betriebswirt (FH) als Trainee in der Brose Gruppe und wechselte anschließend als DV-Koordinator in die zentrale Anwendungsentwicklung. Dort übernahm er 1999 die Teamleitung für PPS- und QM-Systeme und anschließend die Leitung der Zentralabteilung „logistische Anwendungssysteme“. In dieser Funktion war er bis 2006 weltweit für zahlreiche SAP-Implementierungsprojekte verantwortlich.
André Wehner
Am 1. Juni 2021 hat André Wehner den CIO-Posten bei MAN Truck & Bus übernommen. Als IT-Chef verantwortet Wehner die weltweite IT des Nutzfahrzeugherstellers. Dazu zählen auch Produktionswerke, Logistikzentren und die eigenen Landesvertriebsgesellschaften. Sein Vorgänger Stephan Fingerling geht als Geschäftsführer zur Group IT Services GmbH, der IT-Tochter der Volkswagen Gruppe. Vor seinem Wechsel zum Münchner Nutzfahrzeughersteller war Wehner CDO bei Skoda Auto. In der neu geschaffenen Stelle kümmerte er sich dort seit 2016 um Unternehmensentwicklung und Digitalisierung.
Maik Krüger
Am 1. April trat Maik Krüger die Position des CIO bei Dräxlmaier an. Der studierte Wirtschaftsinformatiker war jahrelang in führenden IT-Positionen bei BMW tätig.
Sebastian Stoll
Seit 1. Juni 2021 ist Sebastian Stoll CIO und Group Vice President IT der FEV Gruppe. Er hat den Posten von Andreas Engels übernommen, der beim Kölner Compliance-Startup Kerberos eingestiegen ist. Stoll berichtet an CFO Jürgen Koopsingraven. Neben der Einführung von SAP S/4 Hana will Stoll die IT in die Cloud verlagern und die Security verbessern.
Saskia Kohlhaas
Saskia Kohlhaas ist seit November 2021 Senior Vice President Information Technology beim Engineering-Dienstleister der Automobilindustrie IAV.
Thomas Külpp
Seit August 2017 ist Thomas Külpp neuer CIO beim Autobauer Opel Automobile GmbH in Rüsselsheim. Zuvor war er bei Opel Director Sales & Marketing. Külpp hat Maschinenbau an der University of Applied Sciences in Wiesbaden studiert und als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Er arbeitet bereits seit 27 Jahren in verschiedenen Positionen bei Opel.
Marcus Claesson
Marcus Claesson ist CIO bei Daimler Truck. Er berichtet an den Vorstand für Finanzen und Controlling, Jochen Goetz. Darüber hinaus verantwortet Marcus Claesson die Connectivity Services innerhalb der Daimler Truck AG. Er ist seit 2017 im Unternehmen. Zuvor war Claesson CIO bei Electrolux AB.
Uwe Kühne
Uwe Kühne ist seit 2017 CIO bei GF Casting Solutions, einer Division des Georg Fischer Konzerns. Er fing 2004 bei der Georg Fischer Automobilguss GmbH als Systemanalytiker an und war zuletzt bis Ende 2016 als Head IT Operational Services bei GF Automotive für die Erbringung zentraler IT Infrastrukturleistungen verantwortlich. Auf seiner Agenda stehen die strategische Neuausrichtung der zentralen IT-Organisation, die Vorbereitung auf SAP S4/HANA, die Verlagerung zentraler IT Dienste in die Cloud sowie die Verbindung zwischen klassischer IT und Automations-Bereichen („i4.0“). GF Casting Solutions ist eine von drei Divisionen der Georg Fischer AG, ein börsennotiertes Unternehmen mit Hauptsitz in Schaffhausen, Schweiz. Das 1802 gegründete Industrieunternehmen betreibt in 33 Ländern 131 Gesellschaften, davon 51 Produktionsstätten.
Felix Willing
Felix Willing ist seit Januar 2018 Leiter des Bereichs Information Management beim Automobilzulieferer Hella GmbH & Co. KGaA im nordrhein-westfälischen Lippstadt. In dieser Position fungiert er zugleich als CIO für den globalen Hella Konzern. Zuletzt war er CIO beim Windturbinenbauer Nordex Acciona Windpower AG in Hamburg.
Bernd Süßmann
Bernd Süßmann ist seit September 2018 Head of Corporate IT bei der SAS Automotive in Karlsruhe, einem Joint Venture zwischen Continental and Faurecia. Er trägt dort die Gesamtverantwortung für die IT, führt dabei 80 Mitarbeiter und berichtet an den CFO des Unternehmens, Ekkehard Klautke.
Bernhard Pluhatsch
Bernhard Pluhatsch ist seit Oktober 2018 neuer Head of IT, Transmission Systems bei Magna Powertrain Transmission Systems (MPT TS) in Untergruppenbach bei Heilbronn. Er kommt von der Nürnberger Leoni AG, wo er von 2002 bis 2018 Vice President IT Infrastruktur war.
Michael Simon
Michael Simon (56) ist seit 1. Juli 2019 der Leiter Zentral IT und CIO der Volkswagen Retail Group. Er berichtet an die Geschäftsführung. Zuvor war der studierte Informatiker seit 2015 Leiter IT bei der Weiss Umwelttechnik GmbH. Insgesamt bringt er Erfahrung aus drei Jahrzehnten als Fach- und Führungskraft in der IT mit, unter anderem bei der Salzgitter AG Group.
Simon Blankenstein
Seit Oktober 2022 verantwortet Blankenstein als CIO die IT der Huf Group. Er berichtet an CFO Rainer Heupel. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört der weltweite Rollout von SAP S/4 HANA.
Tommy Andreasen
Nach der Fusion von MAN Diesel und MAN Turbo wurde Tommy Andreasen, vorher CIO von MAN Diesel, Anfang 2010 CIO der neu geschaffenen MAN Diesel & Turbo Gruppe. In den vergangenen 20 Jahren übernahm Tommy Andreasen innerhalb der MAN Diesel Gruppe verschiedene Management Positionen, schwerpunktmäßig im Bereich Finanzen und Controlling. Im Jahr 2000 wurde er Head of Information Technology bei MAN Diesel in Dänemark und entwickelte und führte eine neue IT-Strategie ein. 2006 wurde er dann CIO des gesamten MAN Diesel Konzerns.

VW.OS - große Aufgabe, die Zeit und Geld braucht

Bis dahin ist der Weg allerdings noch weit. Senger selbst räumt ein, dass es sich bei dem Vorhaben um eine große Aufgabe und Herausforderung handele. "Es gibt keine Best Practices dafür", so der Manager. Man müsse im Grunde ganz von vorne anfangen. Das braucht Zeit und Geld. In den kommenden Jahren wird die Car.Software-Organisation mehr als sieben Milliarden Euro in ihre Aufgaben investieren, kündigte Volkswagen an. Nach und nach sollen einzelne Fahrzeugfamilien auf die Plattform gehievt werden. Doch erst 2025 soll alles stehen. Ab dann sollen sämtliche Autos und Marken aus dem Hause Volkswagen mit dem neuen Betriebssystem aus den Werkshallen rollen.

Lesen Sie mehr über die IT-Projekte bei VW:

Damit wird auch deutlich, dass VWs Weg zu einem softwaregetriebenen Automobilkonzern eine große Herausforderung ist. Der Konzern will offenbar die Fäden stärker in der Hand behalten als es früher den Anschein hatte. Das betrifft vor allem die Automotive Cloud. Im Oktober 2018 hatte Konzernchef Herbert Diess dafür eine strategische Cloud-Partnerschaft mit Microsoft angekündigt. Gemeinsam wolle man die Zukunft der Mobilität entwickeln und gestalten.

Das hört sich heute anders an. Die Automotive Cloud werde weiter eine zentrale Rolle spielen, hieß es jetzt. Doch Senger stellt klipp und klar fest: "Wir wollen unsere Software-Plattform selbst entwickeln." Das deutet darauf hin, dass Microsoft mit Azure nur noch als Lieferant für die technische Infrastruktur gefragt ist. In der jüngsten Ankündigung wird der einst als großer Plattformpartner angekündigte Softwarekonzern jedenfalls mit keinem Wort mehr erwähnt.

Um das Vorhaben aus eigener Kraft zu stemmen, sollen das vorhandene Know-how und das Softwarewissen im Konzern in der Car.Software-Organisation gebündelt werden. Bis Ende des Jahres werden hier im besten Fall rund 5000 IT-Fachleute und Entwickler arbeiten - der Großteil von ihnen in Europa, vor allem in Deutschland. Auch in Indien, Israel und den USA sollen Entwicklungszentren aufgebaut werden. Bis 2025 soll die Mannschaftsstärke der Organisation auf 10.000 Köpfe anwachsen.

Industrial Cloud soll VW-Produktion effizienter machen

Das Automotive-Projekt ist nicht das einzige großvolumige IT-Vorhaben, dass die Wolfsburger derzeit mit Verve vorantreiben. Im Zuge der Industrial Cloud will der Konzern auch eine neue IT-Plattform für seine weltweite Produktion aufbauen. Roy Sauer, Leiter Enterprise und Plattform Architektur im Volkswagen Konzern, spricht von einem der größten Digitalprogramme in der Geschichte des Autobauers. Auch im Zusammenhang mit der Industrial Cloud sind die Ziele ehrgeizig. Bis 2025 will VW in seiner Fertigung um 30 Prozent produktiver werden.

Dafür gilt es die Systeme auf verschiedenen Ebenen miteinander zu verzahnen und zu integrieren, beschreibt Frank Göller, Leiter Digitale Produktion im Volkswagen-Konzern, die zentrale Herausforderung des Projekts. Zunächst gelte es die Konnektivität in und zwischen den Werken sowie den dortigen Produktionsanlagen und Maschinen herzustellen. In den darauffolgenden Schritten müssten Daten gesammelt und analysiert werden, um eine prädiktive Ebene in den Fertigungsprozessen einzuziehen und in der Endausbaustufe zu autonom arbeitenden Systemen zu kommen. "Doch da sind wir noch lange nicht", räumt Göller ein.

Mit der Industrial Cloud soll die VW-Produktion deutlich effizienter werden. Doch bis alle Werke angeschlossen sind, wird es noch dauern.
Foto: VW

Das Vorhaben hat VW vor rund zwei Jahren gestartet. Im März 2019 wurde eine auf mehrere Jahre angelegte Kooperation mit Amazon Web Services (AWS) zum Aufbau der Industrial Cloud bekannt gegeben. Aktuell ist man dabei, die Konnektivität zwischen den einzelnen Bestandteilen herstellen. Drei Werke seien derzeit "onboard", berichten die beiden VW-Manager. Weitere 15 sollen im Laufe des Jahres dazukommen. Trotz Coronakrise sei man damit im Plan. Bis alle 124 Werke weltweit in der Industrial Cloud sind, ist nicht abzusehen. VW tastet sich langsam vorwärts. Aktuell werde ein Plan für kommendes Jahr erstellt.

Die Herausforderung liege auch darin, tausende von unterschiedlichen Maschinen an die Produktions-Cloud anzubinden, berichtet Göller. Einige Anlagen seien bereits fit dafür, für andere müsse man Krücken bauen. Ein wichtiger Partner, der an dieser Stelle mit seinem Wissen rund um Steuertechnik im Maschinen- und Anlagebau hilft, ist Siemens.

Volkswagen - erste Schritte in eine Plattform-Ökonomie

"Wir wollen eine offene Plattform bauen", beschreibt Sauer die Vision der VW-Verantwortlichen. Auch Zulieferer sollen sich hier mit einklinken. Dabei geht es vor allem um die Optimierung sämtlicher Supply-Chain-Prozesse. Gerade die Coronakrise habe an dieser Stelle Abhängigkeiten und Unzulänglichkeiten schonungslos aufgedeckt. Sauer will an dieser Stelle nicht von Zwang sprechen. Allerdings will man bei VW mit der Industrial Cloud eine zentrale Plattform als De-facto-Standard für die eigene Produktion schaffen - mit allen Konsequenzen für die angeschlossenen Zulieferer. Göller wirbt mit Win-Win-Szenarien für die Nutzung der VW-Plattform. Beispielsweise könnten Daten aus der Prüfung von Schweißpunkten den Herstellern von Schweißzangen dabei helfen, ihre Maschinen zu optimieren.

Was die Digitalisierung für die deutschen Autokonzerne bedeutet:

Sauer betont dabei den Plattformgedanken. Bei der Industrial Cloud handele es sich nicht um ein klassisches Rollout-Projekt. Der Aufbau einer Plattform dauere am Anfang länger, gewinne aber mit wachsender Nutzung an Geschwindigkeit und Dynamik. Erste Magneteffekte seien bereits erkennbar, beispielsweise seitens der Logistikkollegen im VW-Konzern, berichtet Sauer. Der Manager denkt außerdem über die Unternehmensgrenzen hinweg. So sei die VW-Produktionsplattform durchaus auch für andere Industrien interessant. Der Konzern führe bereits konkrete Gespräche. Namen wollte Sauer jedoch nicht nennen.

Auch in Sachen Automotive Cloud und VW.OS sieht man in Wolfsburg offenbar Potenzial für einen breiteren Plattformeinsatz. Senger spielt dabei auf die Anfänge von Linux an. Ein solches Projekt brauche zu Beginn einen starken Treiber. Wenn das Vorhaben aber einmal ins Rollen gekommen sei, böten sich verschiedenste Möglichkeiten - auch Kooperationen mit anderen Autobauern und Industrien.

Der Autoabsatz ist weltweit regelrecht eingebrochen - schwere Zeiten für Herbert Diess, den Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG. Dazu kommen Pannen in Kommunikation und Produktion.
Foto: Volkswagen AG

Bis es soweit ist, wird VW jedoch noch eine Menge Entwicklungsressourcen in seine Cloud-Projekte investieren müssen. Die Rahmenbedingungen dafür sind derzeit alles andere als gut. Gerade die Automobilbranche bekommt die Auswirkungen der Coronakrise extrem zu spüren. Der Neuwagenabsatz in Europa und den USA ist in den vergangenen Monaten regelrecht eingebrochen. Auch wenn der so wichtige chinesische Markt zuletzt leichte Erholungstendenzen zeigte, bleiben die Prognosen für den weiteren Jahresverlauf insgesamt düster. Hilfe für die deutschen Autobauer ist nicht in Sicht, nachdem die Regierung in ihren Konjunkturpaketen die von der Industrie so vehement geforderte generelle Kaufprämie für Neuwagen unter den Tisch fallen ließ.

Dazu kommen hausgemachte Probleme. Das Geschäft mit den Verbrennern funktionierte in der Vergangenheit zu gut - so dass die deutschen Konzerne den Trend hin zu neuen Antrieben wie der Elektromobilität verschliefen. Das gilt auch für VW: Der Versuch der Wolfsburger, Boden gut zu machen, endete in einer peinlichen Pannenserie. Der ID.3, mit dem VW eigentlich im Markt für Elektromobilität reüssieren wollte, kommt wegen Softwareproblemen nicht aus den Werkshallen. Konzernchef Herbert Diess, der das Projekt zur Chefsache erklärt hatte, ist angezählt.

Markus Duesmann, seit Anfang April Chef von Audi, soll die Entwicklung bei VW auf Vordermann bringen.
Foto: VW

Interne Machtkämpfe könnten die so wichtigen Cloud-Vorhaben weiter schwächen. Markus Duesmann, der erst Anfang April als Vorstandsvorsitzender die Audi AG übernommen hatte, soll künftig auch die Verantwortung für das Entwicklungsressort und die Softwaretochter tragen, berichtete das "Handelsblatt". Wie das künftige Machtgefüge zwischen Diess, Duesmann und Senger aussehen wird, ist nicht abzusehen. Man könne dazu derzeit nicht offiziell Stellung beziehen, hieß es dazu im Konzern.

Forschungs- und Entwicklungsbudgets werden gekappt

Ob sich die ambitionierten Pläne VWs finanzieren lassen, bleibt abzuwarten. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass die Coronakrise einer Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) voll auf die Forschungsausgaben der Unternehmen durchschlägt. Knapp vier von zehn der 250 befragten Betriebe haben demzufolge ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten reduziert oder sogar ganz gestoppt, hieß es in einem Bericht des Handelsblatts, das sich auf die Ergebnisse der Umfrage beruft. In der kriselnden Automobilindustrie seien es mittlerweile sogar vier Fünftel.

Softwareprobleme haben den Start des ID.3 begleitet, mit dem VW eigentlich in Sachen Elektromobilität durchstarten wollte.
Foto: VW

Wie sich das auswirken kann, haben BMW und Mercedes gezeigt. Die beiden VW-Konkurrenten lassen ihre geplante Zusammenarbeit für die Entwicklung der nächsten Technologiegeneration im Bereich automatisiertes Fahren vorerst ruhen. Aktuell sei nicht der richtige Zeitpunkt für eine Kooperation gegeben, hieß es zur Begründung. Als problematisch identifizierten die Verantwortlichen den Aufwand für die Entwicklung einer gemeinsamen technologischen Basis. Dazu kämen schwierige unternehmerische und konjunkturelle Rahmenbedingungen. Beide Konzerne betonten, eigene Initiativen und Plattformen mit Partnern verfolgen zu wollen. Eine Zusammenarbeit zu einem späteren Zeitpunkt sei weiterhin möglich, verlautete von Seiten der BMW- und Mercedes-Verantwortlichen. Soll wohl heißen: Wenn die Krise überwunden ist und die Zeiten wieder besser werden. Bloß wann?