Jede Vision, die als solche funktionieren will, ist auf revolutionären Wandel angewiesen, auf die Prognose, dass sich Dinge drastisch verändern. Denn wer wollte schon einen Artikel lesen, der sagt: "Breit angelegte wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass auf dem Gebiet XY in zwanzig Jahres alles noch genauso läuft wie heute."?
Auch beim Thema Zukunft der Arbeit wettet aktuell niemand einen Cent auf den Erhalt des Status Quo. Wobei der vielstimmige Chor des ‚alles wird anders‘ vor allem zwei sich in ihrer Dramatik steigernde Strophen singt.
Die eine geht ungefähr so: Digitalisierung und künstliche Intelligenz und Roboter vernichten fast alle einfachen Jobs, Millionen von Menschen werden dadurch arbeitslos. Aktueller Höhepunkt dieser Prophezeiung waren die Worte von VW-Personalvorstand Horst Neumann, der Anfang August der F.A.Z. sagte, etwa die Hälfte der "taktgebundenen" Arbeitsplätze in der VW-Produktion würden in den kommenden zwanzig Jahren wegfallen.
Roboter als Chefs
Die zweite Strophe erzählt dann davon, dass nicht nur die Angestellten, sondern auch deren Führungskräfte überflüssig werden. So überschrieb vor etwa einem Jahr die ZEIT eine Geschichte zur Zukunft der Arbeit: "Roboter als Chefs und kaum noch Festanstellungen."
Führungskräfte, denen an dieser Stelle der Schreck in die Glieder fährt, weil sie sich bisher für unersetzlich hielten, können sich wieder beruhigen. Jedenfalls wenn man den Analysten von Forrester Research glaubt, die im August den Report ‚The Future oft Jobs‘ herausgegeben haben.
Schlagzeile: "2025: Working side by side with robots." Vorspann: "Automatisierung wird nicht alle Jobs vernichten. Aber es wird die Belegschaft verändern - auch Ihre."
Forrester formuliert in dem Paper drei Kernthesen. Erstens: Roboterisierung wird zwar Jobs kosten, aber unterm Strich nicht so viele, wie andere Propheten vorhersagen, weil eben durch Digitalisierung auch neue Arbeit entstehe.
Der Bürokollege ist elektrisch
Zweitens: Automatisierung verändert die Struktur von Belegschaften nachhaltig in dem Sinne, dass Menschen in Zukunft Seite an Seite mit Robotern, Software-Agenten und anderen digitalen Maschinen arbeiten.
Drittens schließlich sollten CIOs und andere Führungskräfte sich schon heute fragen, wie sich solche gemischten Belegschaften managen lassen und welche Typen von Mitarbeitern sich dazu eigenen, mit einem automatischen Kollegen das Büro zu teilen. Forrester bietet beim Managen dieses Problems - wenig überraschend - tatkräftige Unterstützung an.
Die erste These, wonach der Verlust einfacher Jobs nicht so verheerend ausfällt wie von manchen befürchtet, untermauert Forrester mit einem überzeugenden Argument: Viele manuelle Fähigkeiten von Menschen sind schwerer zu ersetzen als intellektuelle.
Es ist einfacher, einen Computer zu bauen, der im Schach einen menschlichen Weltmeister schlägt - IBMs Deep Blue tat dies mit Garry Kasparov schon 1997 - als einen Roboter zu konstruieren, der eine Treppe hinunterläuft.
Maschinen eignen sich nicht als Lehrer
Als Hondas Vorzeige-Roboter ASIMO diese Übung auf der IAA 2011 vollführte, ähnelte seine Bedächtigkeit der eines zweijährigen Kindes, das gerade laufen gelernt hat. Was schon einen Fortschritt bedeutete: 2007 war das Kerlchen bei einer ähnlichen Vorführung in Japan noch gestürzt.
Dasselbe Argument brachte bemerkenswerter Weise vor einigen Wochen Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken, in einem Interview mit CIO: Künstliche Intelligenz sei besser als natürliche Dummheit, aber natürliche Intelligenz bei sehr vielen Aufgabenstellungen besser als künstliche Intelligenz.
Wahlster: "Wenn soziale und emotionale Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Problemlösung spielen, haben heutige KI-Systeme kaum Chancen. So könnte kein heutiges KI-System einem Kind das Fahrradfahren beibringen."
Jemand muss die Roboter warten
Die zweite These, die mit der Veränderung der Belegschaften, bezeichnet Forrester zwar als "Soziale Revolution", betont aber, diese sei von ganz anderer Art als die meisten von uns befürchteten.
Größte Herausforderung sei die "Job-Transformation" und deren Kern die Notwendigkeit, außer emotionaler Intelligenz auch "Robotic Intelligence" zu besitzen. "Maschinenmanagement" werde zur gängigen Vokabel in Jobbeschreibungen.
Unternehmen sollten massiv in Mitarbeiter investieren, die Roboter programmieren und ihren Einsatz planen können. Und wer bisher einfache Tätigkeiten ausführt und seinen Job behalten will, muss lernen, wie man Roboter wartet und repariert.
Insgesamt - davon ist man auch bei Forrester überzeugt - werden Menschen ihre Arbeit verlieren, und zwar nicht nur in den Industrieländern. Denn Maschinen könnten in Zukunft auch viele Tätigkeiten übernehmen, die heute in Billigstandorte ausgelagert sind.
Die Maschinenstürmer kommen zurück
Wirklich bemerkenswert in Anbetracht des Eingangsstatements der Forrester-Studie ("wird alles nicht so schlimm") und der übrigen Thesen liest sich seine Quintessenz.
Sie lautet: Automatisierung und ihre Folgen für den Arbeitsmarkt werden zu politischen und sozialen Konflikten führen, die ähnliche Dimensionen annehmen wie die Maschinenstürmer-Aufstände im 19. Jahrhundert.
Eine steile These. Ist sie richtig, stellt sich die Frage, warum es solche Aufstände inklusive massenhaft zerstörter Maschinen nicht schon in den 1980er Jahren gegeben hat. Damals waren die Umwälzungen viel massiver als jemals danach und vermutlich auch massiver als sie in den kommenden Jahren sein werden.
Fast alles, was heute an IT-Systemen, Automatisierung und Robotertechnik verwendet wird, hat seinen Ursprung in dieser Zeit. In den 1980er-Jahren wurden erstmals statt einzelner Arbeitsvorgänge ganze Geschäftsprozesse und Organisationen mit Hilfe von IT rationalisiert.
Fast alles begann in den 1980er Jahren
CNC-Werkzeugmaschinen in der Fertigung kamen auf, Material- und Zeitwirtschaft verschmolzen zur zentralen Produktionsplanung, CAD-Systeme inklusive der Fähigkeit zur 3-D-Darstellung kosteten unzählige Jobs.
Wissensbasierte Systeme auf Basis relationaler Datenbanken sind ebenfalls Kind der 1980er Jahre, und die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen.
Die Folgen waren gravierend: Die Arbeitslosenquote war deutlich höher als heute, und das, obwohl der Jobnachwuchs durch den sogenannten Pillenknick schlagartig weniger geworden war.
Revolution, Aufstände, Maschinenstürmerei? Gab es nicht. Und wird es auch 2025 nicht geben. Wenn doch? Dann können Unternehmen immer noch einen Forrester-Analysten rufen, der weiß bestimmt, wie damit umzugehen ist.