Thomas Baier ist ein erfahrener SAP-Berater. Viele Jahre lang arbeitete er beim Kunden vor Ort und betreute Prozessprojekte von der Pike auf. Seit 2010 leitet er ein Beraterteam von über 100 Mitarbeitern der cellent AG. S/4HANA, so Baier, hat nun nach langer Zeit das Potenzial, den Beratermarkt richtig umzukrempeln und zu spalten in die, die es bereits können und die, die es - zumindest noch - nicht wollen. "Je länger Berater warten, um sich mit S/4HANA zu beschäftigen, desto geringer wird ihr Marktwert", da ist sich Baier sicher.
Seine Aufgabe ist es derzeit, das Know-how seiner Mitarbeiter im Bereich S/4HANA über die technischen Komponenten der HANA-Datenbank und der UX-Strategie auszubauen. Laut SAP sind derzeit gut 200 Kunden dabei, S/4HANA zu implementieren. Eine Studie von PAC (Pierre Audoin Consultants) aus dem Herbst 2015 zeigt, dass fast zwei Drittel der befragten Unternehmen über eine Migration nachdenken.
Beide Welten kennen
Aufgabe der Berater in diesem kritischen Moment ist es, beide Welten zu kennen und zu beherrschen - die vor und die nach S/4HANA. Um dann für jeden konkreten Fall zu entscheiden, was die nächste SAP-Generation eigentlich für das Kundengeschäft bedeutet. Denn nicht jeder Kunde ist schon auf dem Status, um migrieren zu können. Viele Unternehmen haben ihr SAP so an die eigenen Bedürfnisse angepasst, dass derzeit ein Upgrade auf S/4HANA fast einer Neuinstallation gleichkäme. Berater müssen deshalb definieren, wie man bestehende Prozesse in S/4 HANA abbilden kann: Was kann im SAP ausgeführt werden? Müssen die Prozesse im Unternehmen verändert werden? Berater müssen diese Situation richtig bewerten können.
"Als Autofahrer können Sie einen Golf genauso fahren wie eine C-Klasse. Die Schaltung und das Gefühl sind vielleicht etwas anders, aber im Prinzip ist es das Gleiche", zieht Baier den Vergleich zur neuen SAP-Version. S/4HANA sei kein komplett neues System, das auf der grünen Wiese entwickelt wurde, sondern eher ein "Schwenk hin zu neuen Technologien". Schließlich hat Kontinuität für SAP höchste Priorität, sie will ihren vielen Kunden den Übergang erleichtern. "Doch S/4HANA wird sich in den nächsten Jahren stark weiterentwickeln und damit immer komplexer werden", ist Baier sicher.
Schulungen im Technologiebereich sind rar
Vor allem im Technologiebereich sind die Schulungen bei SAP für S/4HANA rar und stark ausgebucht. Das Unternehmen baut seinen Schulungskatalog sukzessive um. Jürgen Barth, Teammanager im Beraterkreis von cellent, hat sich deshalb berufsbegleitend über Open SAP-Angebote fortgebildet. "Es gibt kein Curriculum von SAP, das sagt: nach drei Schulungen und zehn Projektstunden ist man S/4HANA-Berater. Hier ist die Motivation jedes Einzelnen gefragt", beschreibt Barth die Situation.
Da ein mehrwöchiger Ausstieg für eine Weiterbildung im Projektgeschäft für Berater kaum realisierbar ist, hat sich die cellent AG ihre eigene S/4HANA-Spielwiese eingerichtet. Anhand eines Demo-Systems in der Cloud können Prozessberater zu jeder Zeit lernen und üben. Erfahrene Berater merken dabei schnell, was die neuen Standards sind, wie sich die Prozesse verändert haben und wie hoch die neue Bandbreite für Customizing ist.
Anforderungen an die Berater steigen
Die meisten Neuerungen gibt es auf der technologischen Seite: Da S/4 auf der In-memory-Datenbank HANA basiert, brauchen Berater entsprechende Migrationskenntnisse, beispielweise von Oracle zu HANA und müssen dazu die neuen Schnittstellen kennen. Auch gibt es bei einer In-memory Datenbank andere Parameter als bei traditionellen Datenbanken, die es anzupassen gilt. Darüber hinaus kommen bei S/4 neue Komponenten hinzu: So beispielsweise SAP Fiori UX, also die Entwicklung von Add-ons für S/4. Dazu brauchen Berater nicht nur das neue UX-Wissen, sondern auch klassisches ABAP- und UI-Know-how.
Auf der Prozessseite können R/3-Berater gut aus ihrem Erfahrungsschatz schöpfen. Ein Einkaufsprozess beispielsweise hat sich in seiner Basis nicht verändert, er wurde lediglich formatiert. Ein erfahrener Berater muss sich deshalb fragen: Wie ist der bekannte Prozess im neuen System abgebildet? Und wie kann man ihn für den Kunden anpassen? Mit dem Schritt in Richtung S/4 wird das Augenmerk auf die Prozesse im Unternehmen künftig zunehmen. Dies benötigt detaillierte Fachkonzepte für die Migration von Prozessen mit Ist-Analyse, Zieldefinition und der Festlegung von Testszenarien.
Die Strategie ändert sich zudem, wenn Cloud oder eine Hybridlösung zum Thema werden. Viele Kunden denken darüber nach, on-premise Modelle mit der Cloud zu verbinden - oft in der Form, die eigentlichen S/4 HANA-Lösungen in der Cloud zu betreiben, individuellere Anwendungen hingegen on-premise. Das verlangt viel Beratung im Vorfeld.
Vermittlung zwischen alter und neuer Tabellenstruktur
Während der Migration ist es erstes Ziel, die Ausfallzeiten des Systems zu minimieren und einen Datenverlust zu verhindern. Dafür ist ein tiefer Einblick in die neuen Systeme nötig, denn abgesehen vom S/4 HANA Core Stack basieren viele der bestehenden Programme noch auf der herkömmlichen Tabellenstruktur. Zwar wurde mit CDS ein Interpretationslayer geschaffen, der zwischen alter und neuer Tabellenstruktur vermittelt. Aktuell kostet diese Übersetzung nur wenig Performance, welche aber im Rahmen der Performanceverbesserung nicht spürbar ist.
Fachwissen alleine reicht deshalb nicht. Fundierte Erfahrung aus einer Vielzahl von SAP-Projekten ist wichtig, um die maßgeschneiderten Module in die neue Umgebung einzupassen und den laufenden Betrieb zu gewährleisten. Für eine reibungslose Umsetzung müssen Berater vor Ort einen intensiven Kontakt zum Kunden pflegen, um mit dessen Informationen und Zielvorgaben eine solide FeasibiIity Study und eine realistische Roadmap zu entwickeln.
Die begehrtesten Berater auf dem Markt
Spezialisten im S/4HANA-Umfeld brauchen also ein erhebliches Maß an Kompetenzen. Migrationsexperten, die die alten und neuen Systeme kennen und die Migrationstools von SAP beherrschen, die wissen, wie die Abläufe im Unternehmen sind und welche speziellen Anforderungen für einzelne Branchen gelten - aber auch, bei welchen Prozessen sich ein Testlauf anbietet, sind gerade überaus gefragt.
"Für einen SAP-Berater ist jetzt ein einzigartiger Zeitpunkt", weiß auch Jürgen Barth. "Für erfahrene Berater bietet sich hier die einmalige Möglichkeit, das über Jahre gesammelte Wissen einzubringen. Und für Junioren ist es eine tolle Zeit, sich im SAP-Umfeld zu etablieren."