Die Welt redet zurzeit über Kacheln. So unklar vor allem im Unternehmensumfeld ist, ob und wann sich Windows 8 durchsetzen wird – eines hat Microsoft in jedem Fall erreicht: Man genießt im Moment allenthalben die Aufmerksamkeit. Die Gunst der Stunde, die in den vergangenen Jahren Apple immer wieder einen enormen Push verleihen konnte, zumindest sie ist für einen Augenblick zurück beim ewigen Platzhirschen. Das alleine ist schon viel, damit all die begeisterten Apple-User nicht vergessen, dass es auch noch Windows gibt – und das sogar in modern.
Vergangene Woche also hat Microsoft sein neues Betriebssystem gelauncht, flankiert mittlerweile von einer ganzen Begleitarmada: dem Tablet "Surface" beispielsweise, dem Smartphone-OS Windows Phone 8 und sogar dem Unterhaltungsdienst "Xbox Music". Das Urteil der Analystenwelt über Windows 8 fällt indessen ebenso abwartend wie jenes der meisten Anwender aus. Zum Teil ist es sogar widersprüchlich. Während etwa Forrester Research – allerdings auf Endverbraucher gemünzt – in einer aktuellen Studie prognostiziert, dass die Kunden vor allem im Tablet-Segment rasch zugreifen werden, geht die Experton Group für die Firmenkunden vom Gegenteil aus.
Gern benutztes Bild der Janusköpfigkeit
"Mit dem starken Fokus auf Privatanwender soll auch ein rascher Siegeszug im Business-Segment gelingen", meint Experton-Analyst Axel Oppermann. "Ich glaube nicht, dass dieser Angang für den Bereich Tablet/Pads so erfolgreich sein wird." Dessen ungeachtet werde Windows 8 im klassischen Client-Bereich sowohl in Unternehmen als auch bei Konsumenten erfolgreich sein.
Weil Windows 8 mit dem neuartigen Touchscreen-Interface und dem anwählbaren klassischen Desktop-Modus zwei Gesichter hat, greifen die Analysten häufig das Bild der Janusköpfigkeit auf. Ebenso zweischneidig fallen die Urteile aus – changierend zwischen Bewunderung für die wiedergefundene Innovationskraft im Hause von Bill Gates und dem Verdacht, dass Windows 8 ein bisschen zu viel alter Wein in neuen Schläuchen sein könnte. Selbst das Ladenhüter-Schicksal der Vorvorgängerversion Vista scheint nicht ausgeschlossen.
Einhelliger Tenor der Analysten ist indes, dass Anwender zwar rasch die Möglichkeiten des neuen Systems prüfen sollen, aber mit Abwarten für den Augenblick nicht schlecht beraten sind. Es könne jedoch sein, dass Windows 8 bei den privaten Tablet-Nutzern schnell so beliebt sein werde, dass Firmen unerwartet schnell handeln müssen.
Zocken wie beim Roulette
Im Grunde liefert Microsoft jetzt ja etwas, worauf Unternehmen lange sehnsüchtig gewartet haben: das Betriebssystem, dass Windows und Tablet-Nutzung integriert. Ovum-Analyst Richard Edwards ist indes skeptisch, ob das so einfach funktioniert. "An der Oberfläche scheint Microsofts Strategie plausibel zu sein", so Edwards. "Aber Betriebssysteme sind wie Eisberge, deren Masse zu 90 Prozent unterhalb der Oberfläche liegt."
Unter der Oberfläche nun trete Microsoft gegen die Wettbewerber Apple und Google mit einem OS an, dessen Entwicklungsgeschichte 20 Jahre alt ist und bis NT 3.1 verfolgt werden kann. Auf diesem alten Code also basiere die Desktop-, Smartphone- und Tablet-Strategie des langjährigen Branchenführers, moniert Edwards. Technisch gehen sei Windows 8 nichts anderes als ein punktuelles Update von Windows 7, der Übergang von Version 6.1 auf Version 6.2. Darauf aufgepfropft worden sei ein zweites User Interface mit Touchscreen, das das Betriebssystem außergewöhnlich mache. Skeptiker Edwards meint, dass Microsoft bisher nie in vergleichbarem Ausmaße gezockt habe. Das Roulette-Rad sei angestoßen worden wie nie. "Und die Gewinnchancen sind nicht so groß, wie manche Leute meinen mögen", so der Ovum-Analyst.
Experton-Analyst Oppermann betont etwas euphorischer den innovativen Charakter des neuen Betriebssystems, ohne sich aber hinsichtlich der Triumphchancen wirklich festzulegen. "Windows 8 – respektive das ‚Modern UI‘ – ist einzigartig in einer Weise, in der auch Picasso und Groucho Marx einzigartig waren", so der Microsoft-Experte der Experton Group. "Viele Künstler werden in den Anfangsjahren jedoch verkannt." Und genau so sei es auch bei Windows 8. Es werde dauern, bis sich die hinter dem neuen Interface stehende Philosophie behauptet. Oppermann äußert sich zwar zuversichtlich, dass dies auf längere Sicht geschehe. Garantiert sei dies aber nicht.
Auf Unternehmensseite wird es jedenfalls erst einmal keine Migrationsschnellschüsse geben. "Wie gut die Aussichten für Windows 8 bei Endverbrauchern und Tablets auch aussehen mögen: Es gibt keine überzeugenden Anreize für Firmen, Altgeräte in Richtung Windows 8 zu trimmen", sagt Gartner-Analyst Peter Sondergaard. "Deshalb werden 90 Prozent der Firmen bis mindestens 2014 keinen großangelegten Einsatz von Windows 8 wagen."
Zu riesig sei gerade in großen Firmen der Test- und Pilotierungsaufwand. Zudem würden viele Anwender vor einem Upgrade lieber noch den Release des ersten Service Packs abwarten wollen. Gartner deutet an, dass die Gefahr durchaus bestehe, dass Windows 8 von den Unternehmen wie einst Vista weitgehend übersprungen werde. Allerdings gehen die Analysten nicht so weit, das als ausgemachte Sache zu behaupten.
Nur ein Fünftel hat konkrete Pläne
Die von Gartner ausgemachte Zurückhaltung belegt auch eine aktuelle Umfrage unserer Schwesterpublikation Computerwoche unter 700 IT-Verantwortliche. Demnach verfolgt derzeit nur jedes fünfte Anwenderunternehmen konkrete Pläne, Windows 8 innerhalb der kommenden 24 Monate einzuführen. 23 Prozent der Befragten wollen das neue Microsoft-System gar nicht implementieren, ein weiteres Fünftel hat noch keinen Zeitpunkt festgelegt. Über ein Drittel der Firmenverantwortlichen haben noch keine Entscheidung in dieser IT-Angelegenheit gefällt.
54 Prozent der befragten Anwender stufen den Aufwand für den Umstieg von ihrer bestehenden Betriebssystemplattform auf Windows 8 als hoch beziehungsweise sehr hoch ein. Lediglich elf Prozent sprechen von einem geringen oder sehr geringen Aufwand. Der mit einer Migration verbundene Aufwand steht aus Sicht der Unternehmen offenbar in keinem Verhältnis zum erwarteten Nutzen. Über die Hälfte der Befragten hält diesen für gering oder sogar sehr gering.
Allerdings bewerten drei Viertel der Befragten den Ansatz einer einheitlichen Plattform für PCs, Smartphones und Tablets grundsätzlich als positiv. Bei Tablets und Smartphones stehen die Anwender der Umfrage zufolge einem Einsatz von Windows-8-Geräten aufgeschlossen gegenüber.
Forrester Research geht auf Basis einer eigenen Studie davon aus, dass der Windows-8-Absatz in jedem Fall deutlich geringer ausfallen wird als seinerzeit nach dem Launch von Windows 7. 2009 vor der Veröffentlichung von Windows 7 beschäftigten sich demnach 73 Prozent der Firmen mit dem neuen Betriebssystem, dieses Mal seien es nur 53 Prozent. Damals ging fast die Hälfte der Befragten davon aus, irgendwann auf Windows 7 zu migrieren. Im Falle von Windows 8 sind es jetzt nur 24 Prozent.
Die Richtung der Adaption durch die Anwender hat kürzlich auch die Experton Group in einer Studie unter 121 Entscheidern aus Unternehmen mit mehr als 500 PCs ausgelotet. Derzeit wird in den befragten Unternehmen noch immer überwiegend Windows XP als Client OS eingesetzt. Innerhalb der kommenden zwölf Monate wird sich dieser Wert laut Studie deutlich zugunsten Windows 7 reduzieren. Hier laufen derzeit zahlreiche Projekte. Die Bedeutung von Windows XP werde innerhalb eines Jahres auf eine marginale Größe sinken, so Experton.
"Windows 8 wird aufblühen"
"Windows 7 wird dominieren, Windows 8 wird aufblühen", fasst Analyst Oppermann zusammen. 16 Prozent der Befragten gaben an, Windows 8 in den kommenden zwölf Monaten als primäres Client-Betriebssystem für PCs einzusetzen. Unternehmen mit 500 bis 999 PCs planen die stärkste Adaption von Windows 8. "Beim klassischen Client kann und wird Windows 8 sehr schnell relevante Marktanteile gewinnen – jedoch nicht zwingend gegen Windows 7", schlussfolgert Oppermann. "Bei Tablets wird die Verbreitung sicherlich schwieriger werden."
Andere Analysten sehen jedoch gerade im Tablet-Bereich die Chance begründet, dass Windows 8 vielleicht doch zur Erfolgsgeschichte auch im Business-Bereich wird. Für Ovum-Analyst Edwards ist Windows 8 wie angedeutet ein eigentümlicher Januskopf, der zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft schaut. Nach Meinung vieler mache der User-Interface-Zwitter das OS zu kompliziert für die Anwender, während eingefleischte Fans der Ansicht seien, gerade deshalb sei Windows 8 doppelt so gut wie der Vorgänger. Entscheiden lasse sich diese Frage letztlich nur auf dem von Microsoft selbst gebauten Surface-Tablet, so Edwards.
Ein Windows-basiertes Tablet, auf dem das originale Office laufe, sei nämlich die Lösung, auf die angesichts der schlechten Kompatibilität von Office und dem iPad viele gewartet hätten. Ovum sieht hier einen wohldurchdachten Doppelangriff von Microsoft auf Apple: Surface sei in der energieeffizienten ARM-Version mit Windows RT die Alternative zum iPad, in der leistungsstarken Intel-Version mit Windows 8 Pro der Gegenpol zum MacBook Air.
Analyst Edwards sieht hier insgesamt einen unerschlossenen Markt. Angesichts der in den kommenden Monaten zu erwartenden neuen Versionen von Office, SharePoint, Exchange und Windows Server werde das ganze Jahr 2013 von einer Marketing-Offensive des Riesen begleitet sein. Vor diesem Hintergrund sei für Windows 8 im Firmenbereich das Konzept Bring-your-own-Device (BYOD) ein mögliches Einfallstor. "Ovum geht davon aus, dass das Timing für Windows 8 nicht besser sein könnte", gesteht der sonst so kritische Edwards hier zu.
Gartner-Analyst Stephen Kleynhans spitzt diesen Gedanken noch weiter zu. Obwohl Gartner bis über das kommende Jahr hinaus nicht mit einem Durchstarten von Windows 8 in den Firmen rechnet, sollten die Unternehmen laut Kleynhans 2013 klären, inwieweit es als Standardbetriebssystem für sie geeignet ist. Zu entscheiden sei überdies, wie man mit dem OS und Surface als BYOD-Kandidaten umgehen wolle. Diese Frage könne sich bei Windows 8 schneller stellen als gedacht: "Es könnte so durchstarten wie das iPad – mit vielen Nutzern, die es verwenden wollen", so Kleynhans.
Einfallstor BYOD
Sein Kollege David Johnson von Forrester Research sieht diese Möglichkeit ebenfalls, betont allerdings stärker die Nachteile. Die Windows-8-Geräte mit Intel-Prozessoren seien im Vergleich zur Konkurrenz zu schwer und fräßen zu viel Batteriestrom. Die Windows-RT-Version hingegen unterstütze keine klassischen Business-Anwendungen, weshalb sie erst später als BYOD-Kandidat in Betracht komme.
Nichtdestotrotz raten die Analysten zum Testen und Überprüfen, auch im Hinblick auf Sicherheitsmaßnahmen wie Verschlüsselung und Remote Control. Dabei müsse man vor allem im Blick haben, welche Mitarbeiter für welchen Gerätetyp als Windows-8-Nutzer in Frage kämen.
"Die Ausstattung mit IT-Devices ist heute vielfach ein wichtiges Differenzierungsmerkmal zwischen Unternehmen im Kampf um besonders qualifizierte Mitarbeiter", flankiert Marcus Zimmermann vom Beratungshaus Centracon AG. Sollen neben Windows RT auch Geräte mit Android oder iOS zum Einsatz kommen, sei eine optimierte Lösung für das aktive Mobile Device Management (MDM) und Anwendungsmanagement erforderlich.
"Ohne eine systematische Analyse und Zieldefinitionen kann die schnelle Migration auf Windows 8 schnell ins Chaos führen", so Zimmermann weiter. "Ist dann eventuell noch der Einsatz von Office 2013 geplant, entwickelt sich schnell ein Grad an Komplexität, der ohne die notwendige Erfahrung nicht mehr zu bewältigen ist."
Experton-Analyst Axel Oppermann warnt indes, Anwender müssten sich der verschiedenen Philosophien hinter Apple und Android/Galaxy Tab auf der einen Seite und dem Microsoft-Ansatz auf der anderen Seite bewusst sein. Es sei die Frage zu beantworten, wie viel Fortschritt der Anwender auf dem Weg zur ganzheitlichen Client-Struktur vertrage und ob er diese überhaupt möchte.
Wegweiser für einfallslose OEMs
"Losgelöst von einer Image-Diskussion wird Microsoft hier nur erfolgreich sein, wenn die Vorteile der Microsoft-Philosophie sowohl Konsumenten als auch Entscheidern in den Unternehmen sehr schnell nahegebracht werden", so Oppermann. "Es ist fraglich, ob dies über alle Zielgruppen und für alle Formfaktoren hinweg gelingen wird."
Dennoch outet sich Oppermann in technischer Hinsicht als Surface-Fan – nicht ohne Seitenhieb auf die Phalanx der großen Gerätehersteller. "Die öffentlich zur Schau gestellte moralinsaure Verärgerung einiger OEMs ist eher eine kalkulierte Empörung als tatsächlicher Verdruss – schließlich müssen diese Protagonisten ihr Gesicht gegenüber Aktionären und Kunden wahren", so der Experton-Analyst. "Microsoft hat den etablierten OEMs gezeigt, wie durch Ingenieurskunst und visionäre Stärke differenzierende Produkte geschaffen werden."
Die Hersteller hätten sich ohne Sorge um Vertrauen und Glaubwürdigkeit entweder dem Ultrabook-Trend unterworfen oder austauschbare Tablet-Klone präsentiert. Davon hebe sich der notorische Musterschüler aus Redmond wohltuend ab. "Mit Surface hat Microsoft gezeigt, was mit Windows 8 möglich ist und wo die Reise hingehen kann", so Oppermann. "Nicht mehr – nicht weniger."