Ein CIO ist gemeinhin nicht das, was man sich landläufig unter einem „Öko" vorstellt. Also nicht per se jemand, der Cola-Getränke als in Industriechemie-Laboren kredenzte Brause rundweg verschmäht – unabhängig vom Zuckergehalt. Trotzdem wird der CIO bei einem schönen grünen Apfel vielleicht gerne zugreifen – weil das Obst gesund ist oder einfach weil es schmeckt. Womöglich trinkt mancher IT-Chef auch lieber Fruchtsäfte oder Mineralwasser als koffeinhaltige Limonade. Bestimmt bevorzugt der eine oder andere Diät-Cola, weil sie besser für die schlanke Linie ist als das zuckrige Original. Wahrscheinlich tummelt sich in der bunten Schar an CIOs und anderen IT-Profis sogar tatsächlich der ein oder andere Öko. Es dürfte auch welche geben, denen die zuckerfreie Cola als nichts Halbes und nichts Ganzes erscheint. Wie dem auch sei: Sehr sicher wird kein IT-Chefs beeindruckt zugreifen, wenn man ihm sagt, dass er gerade die Diät-Cola unter den Betriebssystemen erwerben will.
Leichte Kost wie Diät-Cola
Genau das aber hat Frank X. Shaw, Kommunikationschef von Microsoft, kürzlich über Windows 8 gesagt. Unsere amerikanische Schwesterpublikation Computerworld zitiert die Aussage in einem Beitrag, der sich mit den vielen Kommunikationspannen rund um die Einführung des touchigen Kachel-Systems befasst. Eigentlich war Shaws Vergleich wohl als starker Konter auf die bisher oft genug unglückliche Außendarstellung des neuen Produkts gedacht. Vielsagend ist, dass die vermeintliche Parade bei Lichte betrachtet gleich als nächstes Eigentor erscheint. Umso mehr, wenn der notorische Referenzpunkt immer dieser so chronisch unwiderstehlich erscheinenden Apple-Apfel ist – allen hausgemachten Problemen des Rivalen zum Trotz.
Vor dem Hintergrund, dass die Anwender Windows 8 momentan offenbar meiden wie der Teufel das Weihwasser, ist ebenso bezeichnend die Überschrift, die unsere ebenfalls in den USA beheimatete Schwesterpublikation CIO.com über einen Artikel zu Windows 8 gesetzt hat: „Wie man sich auf Windows 8 vorbereitet, auch wenn es nicht ins Unternehmen kommt". Lässt man sich das auf der Zunge zergehen, scheint zum unausweichlich wirkenden Debakel fast schon alles Wichtige gesagt.
Ganz so simpel ist dann zwar doch nicht: Der Artikel bezieht sich auf eine Studie von Forrester Research, die so manche aufschlussreiche Analysen zum Status Quo und zur Perspektive von Windows 8 enthält – und auch Tipps für die Anwender. Einfach ignorieren wird man als CIO die von Microsoft eingeführten technologischen Neuerungen beim wichtigsten Betriebssystem der Welt ja nun auch nicht können. Dennoch ist der von Forrester-Analyst David K. Johnson für seine Studie gewählte Titel einmal mehr aussagekräftig genug: „Die IT wird Windows 8 als Enterprise-Standard überspringen".
Analyst kritisiert Dünnhäutigkeit
Um nicht unfair und unreflektiert schwarzzumalen, bedarf das bisherige Bild zugegeben einiger Farbtupfer. Shaws Cola-Metapher kam nicht aus dem Nichts, sondern war eine Reaktion darauf, dass Kritiker Windows 8 mit der wegen geringer Beliebtheit in den 1980er-Jahren schnell wieder vom Markt genommenen „New Coke" von Coca-Cola verglichen hatten. Microsoft wollte dem offenbar die Assoziation mit dem Erfolgsprodukt Cola Light entgegensetzen – was immerhin besser ist als die beleidigte Dünnhäutigkeit, die der Analyst Patrick Moorhead von Moor Insights & Strategy beim Riesen aus Redmond bezüglich Windows 8 ausmacht. Ein bisschen etwas ist da gewiss dran, wenn Shaw mittlerweile „Übertreibung und Sensationalismus" sogar bei traditionell nüchternen Blättern wie der „Financial Times" ausmacht. „Microsoft spielt die Apple-Rolle ziemlich schlecht", bemerkt Moorhead dazu, süffisant auf die notorisch Apple umgebende Mauer des Schweigens anspielend.
Gleichwohl hat Shaw die Kommunikationsstrategie seines Hauses im Grunde plausibel gerechtfertigt. Man wolle mal zurückhaltend mit den Informationen bis schweigsam sein, mal offen – je nachdem, wie es die eigenen Pläne, die Situation und die Marktlage gerade erfordern. Diese Devise ist sicherlich für sich mehr als vernünftig. Als Hintergrund muss man wissen: Der Vorwurf der Geheimniskrämerei zielt insbesondere auf die von 2009 bis 2012 währende Ära des inzwischen geschassten Stephen Sinofsky, der bei Microsoft für Entwicklung und Marketing unter anderem von Windows 7 und Windows 8 verantwortlich war.
Es geht bei der Kritik im Kern auch nicht um eingeschnappte Öffentlichkeitsarbeiter und Microsoft-Enthusiasten, sondern durchaus ans Eingemachte. Argumentiert wird, dass auch Entwickler im Vorfeld des Windows 8-Releases lange Zeit kaum Handfestes über das neue System erfahren hätten. Deshalb konnten sie auch nicht an ihr Werk gehen, weshalb der Windows App Store im Vergleich zur Konkurrenz von Apple und Google anfangs arg leer war und immer noch unzureichend bestückt ist – im Übrigen einer der Gründe, die auch Forrester in der neuen Studie für den bisherigen Misserfolg von Windows 8 anführt. Shaw hat diesen Zusammenhang nicht geleugnet, aber zu erklären versucht: Solange die Geräte für Windows 8 fehlten, wären die von Entwicklern benötigten Testläufe ohnehin nicht möglich gewesen. Die mangelhafte Ausstattung im App Store sei also deshalb nicht auf die verschwiegene Kommunikationspolitik zurückzuführen.
Machtspiel mit Herstellern
Nun ist im Kontext Windows 8 fast überall ein Wespennest – auch bei der Hardware. Wie Axel Oppermann von der Experton Group kürzlich monierte, habe die Firmenpolitik auch wegen der von Microsoft auf den Markt gebrachten Surface-Geräte negativ auf den PC-Markt durchgeschlagen. Und zwar deshalb, weil man es sich mit den Geräte-Herstellern verscherzt habe. Durch den richtigen Schritt, sich stärker im Hardware-Geschäft zu positionieren und auch insgesamt stärker von der Wertschöpfung rings um die eigene Plattform zu profitieren, habe Microsoft die OEM-Partner vergrätzt. "Diese haben sich revanchiert und zum Marktstart von Windows 8 mit attraktiven Geräten gegeizt", so Oppermann. "Ein reines Machtspiel." Innovative Geräte seien Mangelware, die Preise lägen jenseits von Gut und Böse.
Es sei Microsoft nicht gelungen, sich mit Windows 8 als relevanter Anbieter in der Ära von Smartphones und Tablets zu positionieren, lautet das harte Verdikt Oppermanns. "Die Positionierung als Windows-Company hat keine Zukunft", so der Analyst. Die Bekanntheit der Marke und die damit verbundenen Attribute seien gegenwärtig mehr Fluch als Segen.
Windows 8 auf jedem vierten Neu-PC
Das einmal dahingestellt, geht Forrester-Analyst Johnson in seiner Studie davon aus, dass Windows 8 niemals auf der Hälfte aller Arbeitsplatz-Rechner zu finden sein wird. Das bedeutet auch, dass Vorgänger Windows 7 nicht zu überholen ist. Nach einer Umfrage unter knapp 1300 IT-Entscheidern in Europa und Nordamerika wird gegen Ende dieses Jahres auf 60 Prozent der neu gekauften Firmen-PCs Windows 7 laufen. Windows 8 wird demnach vorerst auf jedem vierten Rechner zu finden sein. Mac OS X von Apple hat laut Prognose einen Anteil von 6 Prozent, der Rest verteilt sich auf Windows XP, Windows Vista und Linux.
Die Gründe für die Zurückhaltung der CIOs bei Windows 8 sind laut Forrester jene, die seit Monaten diskutiert werden. Sie liegen zum Teil auch außerhalb des neuen Systems. So hat sich Windows 7 in den Augen vieler als solides und stabiles Betriebssystem bewährt, und es herrscht Unsicherheit über den Mehrwert einer Migration für die Unternehmens-IT. Ein Fluch für Windows 8 wurzelt also auch darin, dass Windows 7 so gut ist. Hinzu kommt, dass viele Firmen noch mittendrin sind in ihrem Umstieg von Windows XP auf Windows 7. Diese Anwender wollen zumeist ihr Projekt in Ruhe abschließen. Forrester diagnostiziert zudem eine gewisse „Migrationsmüdigkeit" in vielen Firmen. Der zackige Rhythmus an neuen Produkten überfordert offenbar manche Anwender, zumal für diesen Sommer ja schon die verbesserte Version von Windows 8 angekündigt ist.
Preview Ende Juni
Darauf ist die IT-Welt verständlicherweise höchst gespannt. Microsoft-Kommunikator Shaw hat eine öffentliche Preview für Windows 8.1 für die BUILD-Konferenz Ende Juni angekündigt. Nur ein weiteres Kapitel aus der Rubrik Kommunikationsprobleme sind die widersprüchlichen Informationen des Software-Riesen darüber, ob das Update für die Nutzer kostenpflichtig ist oder nicht. In jedem Fall verwies Shaw auch darauf, dass am ersten Windows 8-Release – immerhin ja ein technologischer Quantensprung – fieberhaft unter großen Zeitdruck gearbeitet werden musste. Es verwies auf die radikalen Neuerungen wie Touch-Screen, Verfügbarkeit auf ARM- und Intel-Geräten, das neue App-Modell und das neue hauseigene Hardware-Angebot. Kinderkrankheiten, so mag man zu Gute halten, können da eigentlich gar nicht ausbleiben.
Womöglich handelt es sich aber auch um chronische Leiden, wie die weitere Diagnose von Forrester Research nahelegt. Denn die Anwender haben zum Teil nicht trotz, sondern wegen der Neuerungen Bedenken. So sorgt man sich in den IT-Abteilungen, ob überhaupt und nach welcher Anlaufzeit die End-User mit dem neuen User Interface mit seinen touch-optimierten Kacheln warm werden. Zwar bietet Windows 8 neben diesem „Modern UI" auch eine klassische Version für die Arbeit mit Windows 7-Anwendungen. „Aber zwischen den beiden Interfaces gibt es kein reibungsloses Nutzererlebnis", moniert Analyst Johnson. Hinzu kommt im Augenblick auf der technischen Seite bekanntlich noch, dass von den End-Usern der Start-Knopf und die gewohnte Menüsteuerung vermisst werden. Man munkelt, dass Microsoft beides in der Version 8.1 wiedereinführen könnte.
IT-Konsumerisierung schafft Nische
In jedem Fall begründen diese seit Monaten bekrittelten Aspekte laut Forrester die Zurückhaltung gegenüber Windows 8. Gleichwohl arbeitet Analyst Johnson auch Mutmacher heraus, die für die Diät-Cola unter den Betriebssystemen sprechen. Im Kern sind es zwei Argumente: erstens die Potenziale von Windows 8 im Tablet-Bereich, wenngleich Johnson hierzu auf dem Soll-Konto die limitierten Kontrollmöglichkeiten für die IT und die Nichtkompatibilität von Windows 7- und Windows XP-Applikationen in Windows RT – der Windows 8-Variante für ARM-basierte Geräte – vermerkt; zweitens der wachsende Einfluss von Endanwender-Wünschen in der Unternehmens-IT, der auch für Windows 8 eine Nische schaffen dürfte.
Nun steht auch nach Forrester-Einschätzung die Dominanz von Android und vor allem iOS bei den mobilen Endgeräten momentan nicht wirklich in Frage. Unverkennbar ist aber, dass sich Microsoft hier mit Windows 8 – möglicherweise die Start-Schwierigkeiten bewusst einkalkulierend – vielversprechend positioniert hat. Forrester hat unter anderem an die 10.000 Wissensarbeiter aus Europa und den USA danach gefragt, welches Betriebssystem sie auf ihrem nächsten Arbeits-Tablet haben möchten. Quer durch alle Einkommensgrößen kommt Windows 8 hier stabil auf einen Anteil von einem Fünftel. Apples iOS liegt durch die Bank vorne, allerdings sinkt die Präferenz von kleinen hin zu größeren Einkommen von 41 auf 29 Prozent ab. Googles Android liegt zumeist bei Werten von unter zehn Prozent, nur unter der Gehaltsgrenze von 50.000 US-Dollar etwas darüber.
Beachtet man, dass es eine vergleichbare große Präferenz für Windows 7 und andere Windows-Systeme gibt, befindet sich Microsoft bei den Tablet-Anwenderwünschen im Grunde auf Augenhöhe mit Apple-iOS. Das ist ein beachtliches Pfund. Wegen des hohen Interesses der Mitarbeiter auch an Windows 8 kann der Support auch dafür laut Forrester auf Dauer kaum verweigert werden. Deshalb stimmt auch die Überschrift unserer Schwesterpublikation, so komisch sie klingt: „Wie man sich auf Windows 8 vorbereitet, auch wenn es nicht ins Unternehmen kommt". Analyst Johnson merkt aber auch an, dass die hohen Life Cycle-Kosten für PCs die Unternehmen ohnehin in Modelle wie Selbstbedienung der Mitarbeiter, Enterprise App Stores und Bring Your Own Device (BYOD) treiben. Weil Windows 8 aber gegenüber Windows 7 keine Kostensenkung verspricht und iOS sowie Android sowieso günstiger in der Wartung sind, stehe das neue Betriebssystem eben nicht oben auf der Prioritätenliste.
Andererseits haben sich fast doppelt so viele IT-Entscheider nach eigenen Angaben vor dem Release überhaupt nicht mit Windows 8 befasst als seinerzeit vor der Windows 7-Markteinführung. Wie ebenfalls Forrester ermittelt hat, glauben nur 29 Prozent daran, dass Windows 8 ein gutes Betriebssystem sein wird. Vielleicht ist es ja wirklich wie am Getränke-Buffet: Man greift zum Apfelsaft, weil er gesund ist und schön süß, zum Rotwein, weil er edel und vollmundig ist, zum Sekt, weil er schön prickelt, oder zum Tafelwasser ob seiner Reinheit. Diät-Cola macht zwar nicht dick – aber was spricht eigentlich für diese Wahl?
Nicht so wirklich viel, wie die mitunter spannendste Forrester-Statistik zeigt. Die Analysten wollten wissen, welche Attribute für verschiedene mobile Betriebssysteme sprechen. Apples iOS hat in diesem Spiel eine Reihe von Trümpfen: die Mitarbeiter-Präferenz, das User-Erlebnis, die Verfügbarkeit nativer Applikationen, der einfache Support, damit auch die Gunst der IT-Abteilung. Android gewinnt in der Kategorie der Gesamtbetriebskosten klar, sogar RIMs BlackBerry triumphiert hier noch – nämlich bei der Sicherheit. Und immerhin in einem Wettbewerb hat sogar Windows 8 die Nase vorn: 43 Prozent der IT-Entscheider sehen in der Kompatibilität mit PC- und Legacy-Anwendungen den großen Wettbewerbsvorteil des Betriebssystems.
Die Studie „IT Will Skip Windows 8 As The Enterprise Standard" ist bei Forrester Research erhältlich.