Die Katze ist aus dem Sack, Microsoft hat die finale Version von Windows Phone 7 vorgestellt. Das Betriebssystem ist nicht weniger als ein kompletter Schnitt zu Windows Mobile. Nutzer und Gerätehersteller haben künftig weniger Freiheiten, dafür lockt ein modernes Betriebssystem mit zahlreichen neuen Funktionen.
Windows Phone 7 sieht komplett anders aus, die Oberfläche ähnelt nicht einmal dem iPhone oder Android. Das Benutzer-Interface, genannt Metro, setzt auf Text statt auf bunte App-Bildchen. Microsoft orientiert sich beim Design am Zune-Player, einem iPhone-Konkurrenten, der in Europa nie auf den Markt kam. Metro setzt auf einen eher minimalistischen Ansatz, oftmals wird nur Text auf einfarbigem Hintergrund dargestellt - ein überraschend erfrischender Anblick. In der Start-Ansicht wird der Bildschirm von einfarbigen Vierecken dominiert, den so genannten Live Tiles. Diese ersetzen die Icons, können aber auch mit dynamischen Inhalten verknüpft werden. So zeigt die E-Mail-Tile etwa die Anzahl der ungelesenen Mails, die Kontakte-Tile dagegen kann anzeigen, welche Freunde gerade bei Facebook ihren Status aktualisiert haben.
Es gibt keine separaten Apps auf dem Startbildschirm, sondern so genannte Hubs. Diese sind Kategorien, in denen die einzelnen Funktionen gebündelt werden. Hubs ziehen sich über mehrere Bildschirmseiten, mit einem Wisch nach links oder rechts kann man weitere Funktionen oder Ansichten aufrufen. So gibt es etwa den Kontakte-Hub, der neben Kontakten auch Apps wie eine Facebook-Integration bietet. Das klingt zunächst verwirrend, allerdings geht das Konzept erstaunlich gut auf. Statt etwa für Facebook eine separate App zu öffnen, reicht es im entsprechenden Hub einfach weiterzublättern.
Zahlreiche Hubs sind bereits vorinstalliert: Kontakte, hier finden sich die Kontakte; Bilder, die Anlaufstelle für Fotos; Kalender für die Terminplanung; Marketplace, hier können Nutzer neue Musik, Spiele oder Apps herunterladen; Xbox Live, der Spiele-Bereich oder Musik & Videos, der Platz für Multimedia-Inhalte.
Entwickler können nicht nur eigene Apps für Windows Phone 7 schreiben, sondern auch neue Hubs erstellen und anderen zugänglich machen. Diesen Trick will wahrscheinlich HTC nutzen, um die Geräte mit der von Android und Windows Mobile bekannten Sense-UI-Funktionen (etwa Wetter oder Uhrzeit) auszustatten.
Alleinstellungsmerkmale Office und Xbox Live
Vor allem zwei Features setzen Windows Phone 7 von Android und iPhone ab: Die komplette Integration von Microsoft Office und Xbox Live. Jedes Smartphone erhält ein komplettes Office Mobile. Damit lassen sich alle Office-Dokumente nicht nur ohne Verlust von Formatierungen anzeigen, sie lassen sich auch bearbeiten. Das klappt selbst mit größeren PowerPoint-Präsentationen oder Excel-Tabellen. Zudem ist eine mobile Version von OneNote als Notiz-App vorinstalliert. Der Office-Hub kann sich mit einem Sharepoint-Server verbinden, um Dokumente direkt von diesem zu beziehen oder dort abzuspeichern.
Der andere große Vorteil gegenüber den Mitbewerbern ist Xbox Live. Dabei handelt es sich um ein Gaming-Netzwerk, das Microsoft bislang vor allem für Konsolenspieler gedacht hatte. Die Xbox-Nutzer können nicht nur ihren Avatar auf das Gerät übernehmen, sondern haben auch Zugriff auf ihre Freundesliste. Selbst Multiplayer-Spiele zwischen Telefon- und Konsolen- oder PC-Nutzern sind möglich.
Praktisch: Fotos synchronisiert das Smartphone auf Wunsch direkt mit Windows Skydrive. Dabei handelt es sich um einen Web-Speicher, Microsoft stellt jedem Nutzer kostenlos zwei GByte zur Verfügung. Die Bilder lassen sich außerdem direkt mit Diensten wie Facebook ins Internet hochladen und mit den Kontakten teilen.
Geräte von LG, Samsung und HTC
In Deutschland werden ab Ende Oktober insgesamt fünf Geräte von LG, Samsung und HTC auf den Markt kommen. Smartphones mit Windows Phone 7 wird es bei allen großen Mobilfunkprovidern geben - allerdings sind einzelne Modelle exklusiv. So wird es etwa das HTC HD7 zunächst nur bei O2 geben, der Preis liegt bei stattlichen 619 Euro ohne Vertrag. Die Telekom versorgt HTC mit dem Mozart, einer leichten Abwandlung des HD7, Vodafone wird das HTC Trophy verkaufen. LG setzt das Optimus 7 dagegen, erhältlich bei Vodafone und E-Plus, ein Preis wurde noch nicht genannt. Die Telekom wird zudem Samung Omnia 7 im Programm haben, das sich gegenüber den Konkurrenten durch einen besonders hellen Super AMOLED Bildschirm auszeichnet.
Grundsätzlich ähnelt sich diese erste Riege an Smartphones enorm. Das hat einen guten Grund: Microsoft hat den Herstellern strikte Hardware-Vorgaben für die Smartphones auferlegt. Jedes Handy muss unter anderem mindestens über eine 1-GHz-CPU, 5-Megapixel-Kamera sowie einen Multi-Touch-Screen verfügen. So soll verhindert werden, dass schwache Komponenten den Ruf schädigen - ein cleverer Schachzug. Allerdings hat das für Nutzer nicht nur Vorteile: so wird es keinen zugänglichen Slot für Speicherkarten geben, dies ist wohl ein Schutz gegen Raubkopierer.
Die Mindestanforderungen haben noch einen weiteren Vorteil: Dank der einheitlichen Plattform kann Microsoft Updates für die Smartphones zentral zur Verfügung stellen. Wie beim iPhone soll sich künftig jedes Windows Phone über die PC-Software Zune aktualisieren lassen.
Kinderkrankheiten
Das neue Betriebssystem enthält noch einige Kinderkrankheiten - was bei einem kompletten Neustart eines mobilen OS allerdings zu erwarten ist. So fehlt eine Funktion zum Kopieren und Einfügen von Inhalten - diese soll laut Achim Berg (Vice President Mobile Communications Business & Marketing bei Microsoft) aber Anfang 2011 nachgerüstet werden. Dazu kommt, dass nur vorinstallierte Apps Multitasking unterstützen. Microsoft rechtfertigt dies damit, dass nur so sichergestellt ist, dass die Apps keine unnützen Ressourcen und damit Batterie-Leistung verschwenden - eins der großen Probleme von Windows Mobile.
Zudem sind einige Features noch nicht wirklich durchdacht. Der Wecker ist beispielswiese enorm leise, auch lässt sich keine auf dem Gerät gespeicherte Musik als Weckmelodie verwenden. Ebenso sieht es bei Klingeltönen oder Benachrichtigungstönen aus - hier ist der Anwender auf die vorinstallierten Töne festgelegt.
Ebenfalls unvollständig ist der Zune-Dienst. Dabei handelt es sich im Grund um Microsofts Pendant zu Apple iTunes. Nutzer können hier Musik und Videos legal kaufen und herunterladen oder beispielsweise Podcasts abonnieren. Während man allerdings in den USA und Großbritannien auch eine Flatrate a la Napster abschließen kann, fehlt diese Funktion in Deutschland. Schuld ist daran aber nicht Microsoft, sondern Vertreter der Rechteinhaber, die sich noch nicht auf eine Vergütung einigen konnten.
Nur Basisfunktionen für Unternehmen
In erster Linie handelt es sich bei Windows Phone 7 um ein Produkt für Consumer - Unternehmen haben verglichen mit Windows Mobile deutlich weniger Möglichkeiten. Die Plattform bietet dennoch Grundfunktionen für Unternehmen, etwa die Unterstützung für Office samt Sharepoint-Anbindung. Ebenso werden Unternehmens-E-Mail-Konten per Exchange unterstützt. So ist auch eine rudimentäre Kontrolle möglich, Administratoren können Smartphones, die mit Exchange verbunden sind, aus der Ferne löschen.
Allerdings fehlen die umfangreichen Administrations- und Verwaltungsfunktionen, die Firmen von Windows Mobile gewohnt sind. Microsoft scheint eher den Weg von Apple einzuschlagen, indem zunächst rudimentäre Business-Funktionen integriert werden, die je nach Anforderung peu a peu erweitert werden. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu, bereits im März hat der Microsoft-Manager Charlie Kindle im Gespräch mit unserer Schwesterzeitschrift Computerwoche angegeben, dass man sich zunächst auf die Endkunden konzentrieren will.
Alles andere als eine Apple-Kopie
Microsoft hat mit Windows Phone 7 einen klaren Schnitt zu Windows Mobile vollzogen - dieser war auch längst überfällig. Die spannende Frage heißt nun: Kann sich Windows Phone gegen die Konkurrenz von Apple iOS, Google Android, RIM Blackberry oder Nokia Symbian behaupten? Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Microsoft hat sich zum Glück nicht damit zufrieden gegeben, Apples iPhone zu kopieren. Zwar fließen verschiedene Aspekte wie Multi-Touch oder Anti-Diebstahls-Features mit ein, diese haben sich aber inzwischen nahezu zum Standard entwickelt.
Die Metro-Bedienoberfläche von Windows Phone 7 ist dagegen alles andere als ein iPhone-Kopie. Die weiße Schrift auf schwarzem Grund wirkt elegant, zudem ist alles übersichtlich strukturiert - die Hubs helfen hier. Die Multimedia-Verwaltung per Zune ist dem Apple-Pendant durchaus ebenbürtig. Alleinstellungsmerkale sind in jedem Fall die Office-Unterstützung sowie die Integration der Spieleplattform Xbox Live. Bleibt zu hoffen, dass die Entwickler die neue Plattform ebenfalls annehmen, schließlich steht und fällt ein Smartphone-OS mit den zur Verfügung stehenden Apps. Ein erster Schritt ist gemacht, zum Start des Betriebssystems soll der Store unter anderem Showcase-Apps wie Navigon Navigator liefern. Zudem gibt es mehr als 100 Spiele, von denen rund 50 Xbox Live unterstützen werden.