IT-Ressourcen werden immer häufiger von Fachabteilungen, also außerhalb des klassischen IT-Budgets eingekauft. Unternehmen bräuchten deshalb eine Art Chief Digital Officer, der die gesamte digitale Strategie verantwortet, empfehlen Analysten von Gartner. Wie wird sich die Rolle des CIO aus Ihrer Sicht verändern?
Karl-Erich Probst: Business-Modelle, die sich auf IT stützen, werden in Zukunft noch viel mehr an Bedeutung gewinnen. Das Banken- oder das Versicherungsgeschäft beispielsweise ist heute pure IT. In anderen Branchen wächst der Stellenwert der IT ebenfalls schnell. Wird es deshalb jemanden geben, der das gesamte digitale Business verantwortet? Das glaube ich eher nicht. Vielmehr brauchen die einzelnen funktionalen Organisationen eine hohe Kompetenz, die digitalen Möglichkeiten zu nutzen und zu integrieren. Darüber hinaus muss es aber jemanden geben, der bereichsübergreifend dafür sorgt, dass die Übersetzung in die IT nach Regeln und Standards erfolgt, um die Integrität und die Effizienz des Unternehmens zu gewährleisten.
Das wäre die Rolle des klassischen CIOs…
Natürlich muss der CIO künftig mehr vom Business verstehen und näher an die Fachabteilungen heranrücken. Technologie wird er zunehmend einkaufen können. Entscheidend ist, dass er enger mit den Fachkollegen zusammenarbeitet und bewertet, welche Innovationen sich umsetzen lassen. Ich sehe die Rolle des CIOs nicht verschwinden.
Zu den heiß diskutierten Trends in der IT-Branche gehört auch Big Data. Wie wichtig ist das Thema für BMW?
Big Data ist ein großes Thema. Ich bin aber nicht sicher, ob alle das Gleiche darunter verstehen. Große, übergreifende Datenmengen zu verwalten und zu organisieren, ist für uns im Autogeschäft eine Standardaufgabe. Stellen Sie sich vor: Von jedem Auto in unserem Portfolio müssen wir beispielsweise die wesentlichen Drehmomentzahlen für jede Schraube wissen. Das heißt, wir haben Daten in Hülle und Fülle. Interessant wird es für uns werden, wenn wir interne mit externen Daten, beispielsweise aus den sozialen Medien oder dem Web, verknüpfen, daraus Schlüsse ziehen und diese zur Entscheidungsunterstützung bereitstellen.
Das sollte ohne spezialisierte Tools funktionieren. Eines Tages wird es möglich sein, simple Fragen zu stellen und diese automatisch aus dem vorhandenen Datenbestand beantworten zu lassen. Darum geht es aus meiner Sicht bei Big Data. Die Handhabung großer Datenmengen ist dagegen eine technische Herausforderung, die längst beherrscht wird.
Spezialisten für Big Data wie etwa Data Scientists sind auf dem Markt noch rar. Haben Sie die Experten, um einschlägige Projekte zu stemmen?
Für die Aufgaben, die sich uns derzeit stellen, haben wir alle erforderlichen Fachkräfte an Bord. Interessanter ist die Frage, welche Fachkräfte wir morgen benötigen. Daran arbeiten wir.
Welche Mitarbeiter in der BMW-Konzern-IT gefragt sind
Geht es dabei um Experten, die sie von außen holen oder Fachkräfte, die sie intern ausbilden?
Beides. Wir brauchen einerseits Leute, die intern das Geschäft und die kritischen Prozesse verstehen. Andererseits sind auch externe Spezialisten notwendig, die die Leading-Edge-Technologien kennen und wissen, wie andere Unternehmen mit dem Thema umgehen.
Ein Dauerbrenner unter den IT-Trends ist Cloud Computing. Wie strategisch ist das Thema für BMW?
Cloud Computing ist ein Trend, den man einfach nutzen muss. Wesentlich für uns ist die vertragliche Umsetzung. Was die Cloud bringt, ist ja die schnelle Nutzbarkeit von IT-Leistungen und die Verfügbarkeit losgelöst vom Unternehmen. Interessant wird es für uns aber erst dann, wenn alle relevanten Sicherheitsanforderungen erfüllt sind, wenn man von einem Anbieter zum andern wechseln kann und sich die Verträge variabel gestalten lassen. Das heißt konkret, die bezogenen Ressourcen müssen sich innerhalb von 24 Stunden sowohl nach oben als auch nach unten anpassen lassen.
In der Praxis ist der Wechsel zu einem anderen Cloud-Anbieter heute alles andere als einfach. Wie gehen Sie damit um?
Wir sind beispielsweise Mitbegründer der Open Data Center Alliance, die Anforderungen an moderne Rechenzentren und Cloud-Infrastrukturen definiert. Die Cloud wird nach unserer Ansicht nicht zum Fliegen kommen, wenn die Forderungen nach Unabhängigkeit, Transparenz und der Verschiebbarkeit von Ressourcen nicht erfüllt werden.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Service-Providern in Sachen Skalierbarkeit gemacht?
Wir haben Cloud-Verträge abgeschlossen, die es zulassen, IT-Ressourcen beliebig nach oben oder unten zu skalieren.
Karl-Erich Probst über die Notwendigkeit einer industrialisierten IT
Auf dem Gartner Symposium in Barcelona sprachen Sie von der Notwendigkeit einer industrialisierten IT. Was genau verstehen Sie darunter?
Industrialisierte IT bedeutet für mich weltweit standardisierte Methoden und Prozeduren. Dazu gehört das absolute Durchsetzen von Standards. Wir sind sicher eines der ersten Unternehmen, dass sämtliche Prozesse gemäß dem ITIL-Standard 3.0 einführt.
BMW leistet sich ein eigenes IT Research Center. Welche Aufgaben hat diese Einrichtung?
Das IT Research Center hat die Aufgabe, Technologien zu scannen und auf ihre Anwendbarkeit hin zu untersuchen. Es soll anhand konkreter Business Cases prüfen, ob sich daraus hinsichtlich einer Prozess- oder Technologieinnovation ein signifikanter Nutzen ergibt. Wir haben damit eine Einheit, um größere Teams mit Universitäten und Partnern aus der Industrie zusammenzuführen. Unsere IT-Innovationsstrategie ist aber nicht auf das Research Center beschränkt, sondern ist Aufgabe von jeder Funktion bei uns.
Zur Person
Karl-Erich Probst leitet seit Januar 2006 die "Zentrale Informationstechnologie" der BMW Group. Vor seinem Wechsel zum Münchner Automobilkonzern war er Chef der Business Software Group beim Venture-Management-Unternehmen Techno Venture Management (TVM). Er bekleidete unter anderem Führungsfunktionen bei T-Systems International und Debis Systemhaus. Seine Karriere startete der studierte Physiker 1984 als Entwicklungsingenieur bei MBB. (Computerwoche)