Der Mann kennt beide Welten: Harald Lemke hat bei Digital Equipment, Nixdorf-Computer und IBM gearbeitet. Er hat die IT der Hamburger Polizei, das Rechenzentrum der Hamburger Verwaltung und die IT des Bundeskriminalamtes geleitet. Und seit 2003 ist er der erste CIO des Landes Hessen. Als Staatssekretär hat er von R3 auf MySAP migriert, er konsolidiert gerade die Infrastruktur, führt das SAP-Enterprise-Portal ein, vereinheitlicht das Dokumenten-Management und zentralisiert den Einkauf durch E-Procurement. Und er wettert gegen die Berichterstattung über öffentliche IT-Projekte: Ausbleiben von Opposition ist das höchste Lob, das Sie in diesem Bereich erzielen können.“
Eigentlich eine traurige Bilanz für einen Mann, der sich um die Rettung so großer Projekte wie „Inpol“ beim BKA verdient gemacht hat. Lemke gibt sich jedoch nicht verbittert. Es liege in der Natur der Sache, dass IT im öffentlichen Bereich schlechtgeredet werde. Kontrollinstanz für die Verwaltung sei nun mal das Parlament und nicht ein Aufsichtsrat. Aufsichtsräte hätten bei aller Kritik immer noch das Bestreben, ihr Unternehmen in gutem Licht erscheinen zu lassen – Oppositionelle nicht. „Bei uns möchte fast die Hälfte aller Aufsichtsräte, dass wir schlecht aussehen“, sagt Lemke.
Dabei zeigt der Staatssekretär durchaus Verständnis für die Opposition: „Wir leben nun mal in einer reizüberfluteten Welt, in der die Gehörgänge verstopft sind“, meint Lemke. Fehler in einem öffentlichen ITProjekt hervorzuheben sei normal. Dagegen sei grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Lemke stört jedoch der Umgang mit Risiken: „Wir haben im öffentlichen Raum eine Kultur entwickelt, in der es keine Probleme mehr gibt“, meint der CIO. Projekte, bei denen alle Alarmlampen rot blinken, würden von Ebene zu Ebene schöngeredet, bis schließlich beim Minister alles grün leuchtet. Das sei bei der Maut so gewesen, ebenso wie bei Inpol oder beim Arbeitslosengeld II. „Im Planen sind wir toll, aber bei der Kontrolle haben wir nicht die richtigen Mechanismen“, meint Lemke.
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IT-Projekte in Unternehmen ließen sich leichter steuern, da dort die Mechanismen Fehler tolerieren. Das Pareto-Prinzip – auch als 80:20-Regel bekannt – werde in Unternehmen gelebt: Wer alles hundertprozentig richtig machen will, verpulvert zu viel Kraft. Das Erreichen der letzten 20 Prozent eines Ziels kostet 80 Prozent der Anstrengung. Anderseits erzielt man die ersten 80 Prozent eines gewünschten Endzustands schon mit 20 Prozent des Aufwands.
In einer Kultur der 150-Prozentigen mag diese – zugegeben etwas grobe – Rechnung natürlich niemand hören. Politiker erwarten von ihren Beamten, dass sie Fehler auf jeden Fall vermeiden. Und die Staatsdiener sichern sich folglich mehrfach ab. Lemke hat dies gerade bei der Einführung eines Dokumenten- und Workflow-Management-Systems gespürt: Neun Stellen hätten sich früher im Land Hessen um die Bewilligung der Beihilfe gekümmert, die Beamten bei Einreichen einer Arztrechnung zusteht. Private Krankenkassen kommen mit einer Bewilligungsstelle aus, allerdings prüfen sie auch nicht 100 Prozent der eingegangenen Belege. Die hessische Verwaltung leistet sich diesen Luxus mittlerweile auch nicht mehr.
Pareto auf der Ebene einer Landesverwaltung, das heißt, dass auch nicht immer alle Bundesländer bei allen IT-Projekten mitmachen müssen. „Sonst bestimmt wieder nur der Langsamste oder Unwilligste“, warnt Lemke. „Deutschland Online“ sei so ein Projekt, das unter dem „Geleitzugprinzip“ leide. Durch den Wunsch, alle Beteiligten auf Bundes- und Landesebene zusammenzuführen, gerieten die Treffen der Staatssekretäre immer mehr zu Kaffeekränzchen. „Man muss auch mal den Mut haben, ein Projekt nur mit drei, vier oder fünf Ländern zu machen“, meint Lemke.