"Was das Internet mit unserem Gehirn anstellt" lautet die deutsche Übersetzung des aktuellen Buches von Internet-Experte Nicholas Carr. Carrs Buch erscheint in seiner deutschen Fassung erst im Oktober. Mit der Frage was das Internet mit uns anstellt haben sich auch zwei deutsche Journalisten in aktuellen Büchern beschäftigt.
Um wen geht es?
Christoph Koch lebt in Berlin und arbeitet als freier Journalist unter anderem für die Zeitschriften Neon und Brand eins sowie die Wochenzeitung Die Zeit. Alex Rühle ist Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und lebt mit seiner Familie in München.
Was haben die beiden gemacht?
Christoph Koch hat sechs Wochen lang auf Internet und Handy verzichtet und seine Erfahrungen tagebuchartig in "Ich bin dann mal offline" niedergeschrieben. Während seines Selbstversuchs hat er mit vielen Personen über das Thema gesprochen, etwa einem Rabbiner und einem Professor, der in seiner Klinik auf die Behandlung von Online-Süchtigen spezialisiert ist.
Alex Rühle hat ein halbes Jahr auf Internet und seinen Blackberry verzichtet. Auch er hat in Tagebuchform über seine Erlebnisse geschrieben. Der Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung hat die Zeit im monatlichen Wechsel in der Redaktion und zu Hause verbracht, um genau beurteilen zu können, welche Auswirkungen der Verzicht auf sein Berufs- und sein Privatleben hat.
Wie gelingen Internet- und Handyverzicht?
Christoph Koch hat sein Handy und sein Netzwerkkabel weggesperrt. Auf den Geräten gibt es eine Bandansage und einen Abwesenheitsassistenten, der Festnetznummer und Postadresse nennt. Er verspürt anfangs Phantomvibrationen in seiner Hosentasche, hat Kopfschmerzen, telefoniert häufig mit der Auskunft und schreibt Postkarten mit Themenvorschlägen an seine Auftraggeber.
Grenzen des Offlineseins
Alex Rühle hat seinen Blackberry bei der IT-Abteilung im Süddeutschen Verlag abgegeben und lässt Internetbrowser und E-Mail-Client von seinem Rechner entfernen. Vor seinem Selbstversuch hat er seinen Blackberry abends auf dem Schuhschrank deponiert. So konnte er das Gerät vor dem Schlafengehen oder auf dem Weg zur Toilette unbemerkt von seiner Frau benutzen. An seine Grenzen stößt er vor allem dann, wenn er in der Redaktion Dienst hat. Dann nämlich ist es etwa seine Aufgabe, die Meldungen im Blick zu haben und Fotos zu Artikeln zu suchen.
Beide Journalisten schreiben darüber, dass sie ohne die ständigen Ablenkungen des Internets sehr konzentriert arbeiten können. Plötzlich können sie nicht mehr nach jedem vollendeten Absatz eine ihrer Lieblingsseiten besuchen oder ihre Mails abrufen. Christoph Koch berichtet von Meetings, in denen er seinem Gesprächspartner sehr konzentriert folgt, weil er nicht von neuen Nachrichten auf Smartphone und Laptop abgelenkt wird.
Beide Berichte zeigen aber auch, wie selbstverständlich Internet und Smartphone heute bereits sind. Christoph Koch räumt ein, dass viele Dinge länger dauern. Die Distanz zwischen Berlin und Düsseldorf berechnet er beispielsweise mit einem Bindfaden und seinem Atlas. Alex Rühle erkennt die Grenzen des Offlineseins, als er sich für die Einreise in die USA registrieren möchte. Dies ist nur online möglich.
Wer hält durch?
Christoph Koch hat seine ursprünglich für einen Monat geplante Nulldiät auf sechs Wochen verlängert. Alex Rühle ist während des halben Jahres zwei Mal schwach geworden und online gegangen. Dabei hat er sich am meisten über sich selbst geärgert. Am Ende seines Selbstversuchs hat er beschlossen, weiterhin auf den Blackberry zu verzichten und sich ein normales Handy geholt.
Wen sollte man lesen?
Christoph Kochs Tagebuch ist zwar 50 Seiten länger als Alex Rühles Buch, liest sich aber knackiger. Alex Rühle hat für seinen Internetverzicht einen feuilletonistischeren Ansatz gewählt. Seine größte Inspiration war Hartmut Rosas Studie "Beschleunigung - Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne".
Tipp: Mit Küchenwecker ins Internet
Der Freiberufler Christoph Koch stellt im Buch seine Gedanken häufiger zurück und lässt den Leser mehr an seinen Erlebnissen teilhaben. Er spricht mit vielen interessanten Personen über die Möglichkeiten und Gefahren des Netzes und zitiert Studien. Im finalen Buchkapitel zeigt er Wege auf, die helfen können, entspannter zu kommunizieren und konzentrierter zu arbeiten. Beispiel: Wer sich bei Internetrecherchen leicht verzettelt, stellt sich beim nächsten Mal einen Küchenwecker.
"Ich bin dann mal offline: Ein Selbstversuch. Leben ohne Internet und Handy" von Christoph Koch, Blanvalet Verlag, Juli 2010, 272 Seiten, 12,95 Euro.
"Ohne Netz: Mein halbes Jahr offline" von Alex Rühle, Klett-Cotta, Juli 2010, 220 Seiten, 17,95 Euro.