Deutschland Digital – Methode Wahnsinn

Wir sind Fax und Drucker

31.01.2023 von Jürgen  Hill
Alle reden über die digitale Transformation als die strategische Aufgabe. Doch wenn Deutschland digitalisiert, dann sind nicht KI, Digital Twin oder Metaverse die Werkzeuge der Stunde, sondern Fax und Drucker.
Deutschland Digital 2023: Fax und Drucker stehen weiter hoch im Kurs.
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Ja, es gibt sie auch in Deutschland, die Leuchtturmprojekte der Digitalisierung - etwa die Smart Factories, die Digital Twins in digitalen Fabriken etc. Doch auch im Zeitalter von KI und Quantencomputer stehen hierzulande die alten Werkzeuge aus dem 20. Jahrhundert hoch im Kurs. Beispielsweise Drucker oder das vielzitierte Faxgerät, für dessen Einsatz die Gesundheitsämter während der Corona-Krise viel Kritik ernteten. Allen Bekenntnissen zu Digitalisierung und mehr Nachhaltigkeit zum Trotz - sie sind nicht tot zu kriegen.

2023: Wir sind Fax

Viel Häme musste die Bundesnetzagentur über sich ergehen lassen, weil sie 2023 noch einen Auftrag für einen Faxdienstleister ausschreibt.
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So musste erst jüngst die Bundesnetzagentur viel Spott und Häme im Netz über sich ergehen lassen, weil sie im Jahr 2023 noch einen Faxdienstleister sucht. Die mögliche Laufzeit des Vertrages beträgt bis zu fünf Jahre, also bis 2028. Dabei rechnet die Bundesnetzagentur mit einem monatlichen Faxaufkommen von 3.000 bis 4.000 ein- und ausgehenden Seiten pro Monat.

Umso peinlicher ist die Angelegenheit, da erst im Januar Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, für die Digitalstrategie der Bundesregierung das ambitionierte Ziel ausgab, "wir wollen unter die Top 10 in Europa" - und zwar bis 2025. Ein Ziel, dessen Erfüllung wohl ein Wunsch bleiben dürfte. Bei einer Untersuchung der EU-Kommission im Jahr 2022, in der die Online-Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen in 35 Ländern analysiert wurde, belegte Deutschland den 21. Platz. Zudem wurde das Land mit einem Digitalisierungsgrad von 63 Prozent unterdurchschnittlich bewertet. Der Durchschnitt lag bei 68 Prozent.

E-Akte: Wir drucken Mails

Alltag bei der Bundesagentur für Arbeit: Mails werden ausgedruckt, gestempelt und wieder eingescannt.
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Schaut man sich das nächste Beispiel an, dann wundert die Bewertung nicht weiter. So berichtete ein Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem BR-Magazin quer, dass bei der Behörde alle eingehenden E-Mails von Kunden und Arbeitgebern ausgedruckt würden - trotz oder gerade wegen der E-Akte. Der Hintergrund: Auf allen E-Mails muss sich ein Paginierstempel zum Nachweis des Eingangsdatums befinden, bevor sie in der E-Akte archiviert werden. Also werden die Mails ausgedruckt und per Hauspost an die Poststelle weitergeleitet.

Die gesammelten E-Mail-Ausdrucke werden dann von einem LKW abgeholt und zu einem Scan-Dienstleister transportiert. Dieser stempelt dann die Ausdrucke ab und scannt sie ein. Die nun "digitalisierten" Dokumente können jetzt in der E-Akte zur weiteren Bearbeitung abgelegt werden. Zumindest in der Theorie, denn beim Scannen geht im wahrsten Sinne des Wortes öfters auch mal was schief und die redigitalisierte E-Mail ist nicht mehr lesbar.

Und die Sache hat noch einen Haken: Zwischen dem realen Datum des E-Mail-Eingangs im elektronischen Postfach und dem paginierten Datum können schon mal zwei bis drei Tage Differenz liegen. Womit Ärger vorprogrammiert ist, wenn es um die Einhaltung von Fristen oder eine schnelle Bearbeitung geht. Realer digitaler Irrsinn.

70.000 Seiten Papier für Windkraft

70.000 Seiten in rund 80 Ordnern, um fünf Windräder zu beantragen.
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Doch auch an anderer Stelle stehen Drucker und gedruckte Dokumente noch hoch im Kurs. Während das politische Berlin engagiert über eine Beschleunigung der Energiewende und den damit verbundenen Windkraftausbau diskutiert, scheint der bürokratische Behördenirrsinn genau denselbigen zu bremsen. So berichtet die 3U Holding AG auf LinkedIn, dass sie den Antrag auf fünf neue Windkraftanlagen in 13facher Ausführung stellen musste. Und zwar nicht elektronisch, sondern auf Papier.

Zusammen waren das über 70.000 Seiten, die fast 80 Aktenordner umfassten. Diese wurden dann per Transporter zu den verantwortlichen Dienststellen gebracht. Nicht umsonst fragt man sich bei der 3U Holding, "ob der Umwelt damit gedient ist, dass der Genehmigungsantrag auf über 70.000 Seiten Papier gedruckt und in fast 80 Aktenordnern durch Deutschland gefahren werden muss - das wissen nur die Regierenden".

Ein anderes Beispiel für den digitalen Irrsinn in Deutschland scheint das neue E-Rezept zu sein, das eigentlich die Verschreibung von Medikamenten für alle Beteiligte komfortabler und sicherer machen sollte. So erzählt ein Kollege, dass die Apotheke seiner Stadt alle E-Rezepte ausdruckt und sie sorgfältig abheftet - wie das klassische rosafarbene Rezept. Dies sei angeblich aufgrund von Dokumentationspflichten erforderlich.

Digitales Abenteuerspiel Führerschein

Und wer ein digitales Abenteuerspiel sucht, dem sei der Online-Umtausch des Führerscheins empfohlen. Einfach per E-Personalausweis anmelden und den Umtausch beantragen? Pustekuchen, hierzu muss etwa in München erst einmal die sogenannte BayernID beantragt. Dazu notwendig sind entweder ein gültiges Elster-Zertifikat oder der E-Personalausweis in Verbindung mit der AusweisApp2.

Ist diese Hürde gemeistert, kann der Bürger den Führerschein beantragen. Aber Vorsicht beim Hochladen der unterschiedlichen Dokumente: Hier sind unterschiedliche Maximal-Dateigrößen vorgegeben und es werden unterschiedliche Breiten und Höhen von Bildern erwartet. Zum krönenden Abschluss muss dann noch ein Bild der eigenen Unterschrift hochgeladen werden, anstatt dem User die Möglichkeit zu geben, in einem Feld sein Unterschrift per Maus oder auf einem Tablet per Stift einzugeben.

Aber geschafft, der Antrag ist online. Von wegen, das Abenteuerspiel geht jetzt in die zweite Runde. Wer im Zeitalter der Digitalisierung jetzt erwartet, dass er automatisch per E-Mail über die Fertigstellung des Führerscheins informiert wird, ist gründlich auf dem Holzweg. Der Bürger hat selbst online nachzuschauen. Und damit dies nicht zu einfach ist, muss sich hierzu erst wieder mit der BayernID im Bayern-Portal einloggt werden. Dort kann dann im Postfach die hinterlegte Bearbeitungsnummer abgerufen werden.

Nun darf sich der User endlich wieder im Portal der Führerscheinstelle einloggen und kann mit seiner Bearbeitungsnummer den Auftragsstatus abrufen. Und zwar so lange, bis der Führerschein fertig ist - und das kann dauern. Statt sich seit zig Jahren darüber zu streiten, ob Linux oder Windows das bessere Betriebssystem ist, sollte die Stadt München vielleicht mal eher an ihren digitalen Workflows und Prozessen arbeiten.