cio.de: Wie ist bei Schaeffler die IT-Infrastruktur organisiert - in der Cloud oder On-Premise?
Joachim Schmider: Wir kommen aus einem klassischen IT-Ansatz mit eigenen Rechenzentren und einem hohen internen IT-Infrastruktur Footprint, welcher sich als Teil unserer aktuellen IT-Transformation massiv wandelt. Hierbei haben wir unter dem Titel "Schaeffler Cloud Plattform" einen hybriden Cloud-Ansatz aus mehreren Anbietern und mit einem klaren Fokus auf die jeweiligen genutzten Services.
Grundsätzlich ist es unsere Strategie, IT-Services bevorzugt mit einem Cloud Ansatz zu beziehen - direkt als SaaS, Paas, Managed Service auf Basis PaaS oder IaaS bis hin zu Custom Cloud Anwendungen basierend auf neuen Microservice-Architekturen. Unser Grundgedanke ist es, Standard-Fähigkeiten eher als Package-Lösung, idealerweise als SaaS, einzukaufen und differenzierende Lösungen ergänzend auf unserer Cloud-Plattform selbst auszuprägen.
Was treibt die IT bei Schaeffler am stärksten um und was treibt sie zurzeit am stärksten voran?
Schmider: Das ist natürlich die Digitale Transformation, innerhalb derer sich auch die IT noch nutzer- und kundenzentrierter ausrichtet, sowie proaktiv und schneller neue IT-Fähigkeiten für das Business nutzbar macht. Künstliche Intelligenz (KI) ist dabei sicher eine Schlüsselfähigkeit, die wir nicht nur in IT-Applikationen, Prozessen oder IT- Services, sondern auch unserem Schaeffler-Produktportfolio noch konsequenter nutzen werden.
Was macht Schaeffler aktuell im Bereich künstliche Intelligenz?
Schmider: Im Kern verbindet Schaeffler langjähriges Know-how in der integrierten Entwicklung und Produktion mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Unsere Systeme und Komponenten befinden sich in Maschinen genau dort, wo wichtigste Daten entstehen. Dabei spielt Sensortechnologie eine wichtige Rolle. KI lernt zum Beispiel, Muster im Prozessverlauf zu identifizieren. Durch unsere Domänenexperten können wir daraus Zusammenhänge neu beurteilen und Vorhersagen treffen. Damit können wir unsere Prozesse effizienter gestalten und Ausfälle vermeiden. Weitere positive Anwendungsfälle haben sich etwa im Sales-Forecasting und bei der Gestaltung digitaler Services rund um unsere Produkte ergeben.
Und welche Pläne verfolgen Sie in Sachen KI?
Schmider: Auch in Zukunft schauen wir uns das Thema in allen Facetten an: Wir wollen Weiterentwicklungen von Technologien früh verstehen und testen, um diese im Schaeffler-Kontext schneller anwenden zu können. Dabei wollen wir diese Fähigkeiten nicht nur für einzelne Use Cases nutzen, sondern auch skalierbar gestalten, um so einen größeren Impact zu erzielen. Das gilt für unsere Prozesse und die Produktion, Analysen und Simulationen genauso wie für unsere Produkte und Services. Ein positives Nutzererlebnis und ein hoher Kundenwert spielen dabei immer eine wichtige Rolle.
Im Bereich Conversational Interfaces verfolgen wir zum Beispiel das Ziel, eine intuitivere und natürlichere Interaktion zwischen Menschen, Maschinen und IT-Systemen zu ermöglichen. Im Bereich Machine Learning Modelle können wir über die komplette Wertschöpfungskette hinweg sehr viel schneller Zusammenhänge und Muster erkennen und diese Fähigkeit trainieren als mit herkömmlichen Verfahren. Aber wir wollen KI natürlich auch verstärkt in unseren Produkten nutzen. Gerade in den Bereichen Automation, Visual- und Voice-Detection sowie übergreifend in Machine Learning inklusive Deep Learning sehen wir viel Dynamik.
Was bedeutet das für die Architektur?
Schmider: Das ist natürlich eine riesige Herausforderung. Die digitale Transformation von Geschäftsmodellen, neue Produkte sowie ergänzende Services beeinflussen alle Unternehmen. KI ist dabei ein zusätzlicher Treiber des Wandels und der zur Verfügung stehenden technischen Fähigkeiten. Die Motivation, diese Technologien zu nutzen, ist in sehr vielen Unternehmen groß. Hier nimmt die Enterprise Architecture eine Schlüsselposition ein. Wir testen zusammen mit dem Business und den verschiedenen IT-Abteilungen neue Technologien und Möglichkeiten und verifizieren diese in konkreten Use Cases.
Unser Ziel ist es dabei immer, Ergebnisse wiederverwertbar und skalierbar zu gestalten. Hierbei ist es essentiell, sowohl die betroffenen Prozesse als auch die benötigten Daten integrativ zu betrachten. Dabei gestalten wir Referenzarchitekturen und wiederverwendbare Artefakte, so dass Technologien auch skaliert werden können. Wir wollen keine starre Governance und Micro-Steuerung, sondern Leitplanken vorgeben, an welchen sich alle orientieren können, um die globale Zusammenarbeit zu vereinfachen und Geschwindigkeit und Skalierbarkeit zu fördern. Wir in der Enterprise Architecture arbeiten mit Hochdruck daran, neue Elemente schneller zu integrieren und zu skalieren und neue Expertise global nutzbar zu machen.
Enterprise Architecture wird zum Schlüssel
Keine zentrale Governance? Wie funktioniert das?
Schmider: Die Governance ist schon zentral. Aber wir stellen keine Stoppschilder mehr auf. Wir arbeiten eng mit den Strategieabteilungen der Fachbereiche sowie der Digitalisierung und dem IT-Innovationsmanagement zusammen, um daraus Zielarchitekturen und Leitplanken zu definieren, an denen wir die Veränderungen ausrichten und steuern. Neue Demands und Lösungswünsche werden dabei an diesen ausgerichtet.
Dabei wird die Nutzung von bestehenden Fähigkeiten und das Etablieren neuer, transparent und nachvollziehbar, was wiederum Wiederverwendbarkeit und Skalierbarkeit fördert. Auf diesem Ansatz können wir bestehende Fähigkeiten, Technologien und Lösungen viel föderaler und globaler nutzen und weiterentwickeln. Zur Steuerung und Kollaboration dient dabei unser EA Repository, welches in einem entsprechenden Framework eingebunden ist.
Wie unterscheidet sich diese Art der Governance von früheren?
Schmider: Das Micro-Management früherer Tage funktioniert in der dynamischen Welt nicht mehr. Deshalb reden wir auch nicht mehr von festen Vorgaben, sondern von Leitplanken, in denen sich die verschiedenen IT-Abteilungen frei bewegen können. Wir wollen nichts verhindern, sondern mit den Kollegen weltweit kollaborieren - schließlich findet überall Innovation statt.
Es geht darum, diese Innovationsprozesse so gut zu orchestrieren, dass andere im Konzern schneller davon profitieren können. Das muss man sich als föderale, dezentrale Bewegung vorstellen. Das zentrale EA-Team ist im besten Fall also eine Drehscheibe, die erfolgreiche Innovationen schnell für alle Unternehmensteile nutzbar macht. Das erhöht die Innovations- und Adaptionsrate. Wir haben ein EA-Framework entwickelt, das diesen kollaborativen Ansatz - also teilhaben, anstatt nur teilnehmen - in den Mittelpunkt stellt.
Erstreckt sich die Kollaboration ausschließlich auf die IT?
Schmider: Nein. Die Enterprise Architektur ist natürlich eng verzahnt mit der Datenarchitektur, den Prozessen und der Business-Strategie. Die EA handelt dabei sehr proaktiv. Wir setzen vor dem Demand an: Uns geht es nicht darum, Anforderungen zu überprüfen. Wir setzen da an, wo sie formuliert werden, damit schon unsere Anforderungen besser werden und in der Konsequenz auch die Systeme und Services. Damit rückt die EA näher ans Business heran, weil wir helfen, Dinge schneller umzusetzen.
Heißt das, die Enterprise Architecture ist bereits dabei, bevor Entwicklungen tatsächlich starten?
Schmider: Idealerweise ja oder wir können unseren Input in einem sehr frühen Stadium einbringen.
Dinge nicht unnötig verkomplizieren
Klingt ganz einfach?
Schmider: Man muss die Dinge ja auch nicht unnötig verkomplizieren. Aber wir müssen natürlich auch liefern und einen "Technologie Push" initiieren, in dem wir die Potentiale der neuen IT mit unseren ersten Erfahrungen und unserem Verständnis ins Business übersetzen und den Dialog intensivieren. Das bedeutet, dass wir früh einbezogen werden oder andere früh integrieren, um gemeinsam das Optimum zu entwickeln. Es ist eine Frage der Balance. Manche Dinge kann man auch mal laufen lassen. Man muss nicht alles kontrollieren. In diesen dynamischen Zeiten ist Fokussierung gefragt: In welche Dinge wollen wir involviert sein? Um diese Frage zu beantworten, hilft es, sich auf die Entwicklungen mit großem Impact zu konzentrieren.
Seit wann pflegt Schaeffler diese neue Art des Enterprise Architektur-Managements?
Schmider: Im Januar 2018 haben wir das etabliert. Ich selbst bin seit Januar im Unternehmen und habe die Enterprise Architecture hier aufgebaut. Es gab zwar vorher erste Ansätze für EAM, aber erst mit der dedizierten Etablierung der Funktion wurde dies konsequent angegangen und betrieben. Zurzeit sind wir zehn Enterprise-Architekten, die nach unseren IT-Domänen ausgerichtet sind. Unsere Architekten haben jeweils einen Schwerpunkt in einer funktionalen Domäne wie HR oder Finanz, Vertrieb usw. Als zweiten Schwerpunkt unterstützen sie die Demand-Organisation und als dritte Aufgabe kümmern sie sich um neue Lösungen und Innovationen und deren architektonische Integration und Skalierung.