Den symbolischen Startschuss gab der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner: "Wir wollen Europas kundenfreundlichstes Medienhaus werden", verkündete er im August 2006. Auf einer internen Management-Tagung unter dem Motto "Kundenorientierung als Führungsaufgabe" in Berlin hielt er seine Grundsatzrede mit der Kernbotschaft, Kundenorientierung lasse sich nicht wegdelegieren. "Jeder ist dafür verantwortlich." Damit erhielt das Projekt den nötigen Rückenwind.
Diesen Rückhalt von ganz oben nutzten die Projektverantwortlichen, der heutige Springer-Co-CIO Rainer Altenbernd und Tim Greve, stellvertretender Leiter des Bereichs Logistik & Services, für ihr Ziel, mit der Branchenlösung SAP for Media M/SD Version 4.6. ein gemeinsames Abonnentensystem auf die Beine zu stellen. Es ist nicht mehr transaktions-, sondern objektorientiert. Im Mittelpunkt stehen die aktiven Abonnenten mit ihren verschiedenen Abos. Hauptnutzer des Systems: die Mitarbeiter der Callcenter und der Vertriebe.
Vom Erbsenzähler zum Visionär
"Genauigkeit, Disziplin und Beharrlichkeit" seien wichtige Bausteine des Projekts gewesen, sagt Verlagskaufmann und IT-Spezialist Greve. Jetzt, nach dem Abschluss des Projekts Ende 2008, teilt er seine Projektleitungs- und Change-Management-Erfahrungen bereitwillig mit Verlagskollegen aus anderen Häusern und bekennt: "Wir waren Erbsenzähler - aber auch Visionäre."
Es ging um eine für ein Verlagshaus wichtige, aber auch komplexe Aufgabe in Zeiten sinkender Auflagen, schrumpfender Märkte und bröckelnder Kundenbindungen. Die Zustellqualität macht bei den Kunden 33 Prozent der Gesamtzufriedenheit aus, hat der Verlag ermittelt; alle Kundenserviceprozesse zusammengefasst ergeben sogar 67 Prozent der Zufriedenheit.
Bis ins Jahr 2006 wurden die Abo-Kunden der Springer-Zeitungen und -Zeitschriften mit vier (eines für Zeitschriften, drei für Zeitungen) physisch und logisch getrennten Abo-Systemen verwaltet. Zudem wurden die Kunden von vier dezentral gesteuerten Vertriebsorganisationen betreut. Seit 2002 setzt der Verlag die SAP-Branchenlösung für Verlage M/SD bereits für die Abonnentenverwaltung aller Zeitschriftentitel wie Auto Bild, Computer Bild oder Hörzu ein.
Die Leserdaten der Zeitungstitel hingegen wurden auf selbst entwickelten Systemen verwaltet. Ein Grund dafür: Die Prozesse für Zeitungstitel wichen stark von denen für Zeitschriften ab. Aber auch innerhalb der Zeitungstitel gibt es Unterschiede: Neben Objekten, die nur am Sonntag erscheinen (Bild am Sonntag, Welt am Sonntag, Euro am Sonntag), gibt es überregionale (Die Welt, Bild) und regionale Zeitungen (Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost). "Eine einheitliche Sicht auf unsere Kunden war so aber unmöglich", sagt Springer-Co-CIO Altenbernd. Schwierig war auch Cross-Selling, also der Verkauf von Titeln, die ein Kunde noch nicht las. Wer wissen wollte, welche Titel aus eigenem Hause ein Kunde noch abonniert hatte, musste in verschiedenen Systemen suchen. Greve spricht rückblickend von einer "langjährigen Kultur gewollter Bereichsegoismen".
Gewollte Bereichsegoismen
Mit diesen Egoismen sollte bis Anfang 2008 zugunsten der gemeinsamen Sache aufgeräumt werden. Beauftragt wurde der IT-Dienstleister Arvato Systems - er gehört zwar zum konkurrierenden Bertelsmann-Konzern, aber die Springer-Profis hatten keine Berührungsängste, nachdem der Vorstand überzeugt worden war. Dann machte sich das Projektteam an die Aufgabe: ein System zu entwickeln, bei dem die Kunden im Mittelpunkt stehen, das über die gesamte Prozesskette Kosten sparen und darüber hinaus auch noch nicht so bald überholt sein sollte.
Beim Projekt-Management kam den Projektleitern zugute, dass sie alle Positionen innehatten, mit denen sie im Konzern Dinge bewegen konnten. Denn es galt ja, festgefahrene Traditionen der Bereichsfürstentümer zu überwinden. "Die Einbindung in die strategischen Ziele von Springer und der Top-down-Ansatz haben uns geholfen", sagt Greve. Zudem hatten sich die Projektverantwortlichen bei den für die Abo-Verwaltung zuständigen Mitarbeitern bereits zuvor einen guten Ruf erworben. "So konnten wir führen, und man hat uns führen lassen", sagt Altenbernd.
Um erfolgreich arbeiten zu können, stellten die beiden Teamleiter einige Projektgrundsätze auf. "Keine Weiterentwicklung an den Altsystemen und dem aufnehmenden Zeitschriften-Abo-System während des Projektes. Den Arbeitsfortschritt messbar machen. Alle offenen Entscheidungen und Punkte dokumentieren und regelmäßig nachhalten. Probleme sofort ansprechen und Gegenmaßnahmen treffen." Und: Die Arbeit sollte auch Spaß machen. Entsprechend dem Motto "Work hard, party hard“ wurden Erfolge im Projekt dann auch ordentlich gefeiert, um sich bei den Mitarbeitern für den Einsatz zu bedanken.
Offene Kommunikation mit allen
Wohlüberlegt setzte man generell auf eine freie und offene Kommunikation mit allen Beteiligten. "Alle handelnden Personen haben während des gesamten Prozesses engen Kontakt zueinander gehabt. Die Fachbereiche waren stets mit eingebunden“, sagt Altenbernd. "Das war kein hohles Verhältnis.“ Die Wünsche derjenigen, die später mit dem System arbeiten müssen, wurden berücksichtigt. Um diese zu überzeugen, sollten sie aufschreiben, was beim bisherigen System alles fehlt.
Alle beteiligten Zeitschriften- und Zeitungstitel waren bei der Erstellung des Pflichtenheftes dabei. Sie entsandten ihre Mitarbeiter "full time" in das Team. Zehn Mitarbeiter wurden insgesamt dafür ab- und freigestellt. "Kurze Wege, schnelle Entscheidungen" lautete ein Leitsatz, auf dessen Einhaltung Altenbernd und Greve konsequent geachtet haben. "Für uns wurde extra ein eigener Flur freigeräumt", sagt Greve. Personell angebunden war das Projekt beim Vorstand Zeitungen der Axel Springer AG. Wöchentlich gab es Treffen mit den Vertriebsverantwortlichen, jeden Morgen Status-Meetings im Projekt.
Die dennoch relativ lange Projektdauer von mehr als zwei Jahren war der Komplexität geschuldet. Die Umsetzung erfolgte deswegen immer in mehreren Schritten. Von April bis September 2006 wurde das Pflichtenheft für den Sonntagsmarkt erstellt. Jede Programmieranforderung wurde von Arvato und Springer gegengelesen, "bis volles Einverständnis erreicht" war. Daran schlossen sich bis Herbst 2007 die Phasen Realisierung und Produktionsvorbereitung an. Im Oktober wurde das System live geschaltet. Überlappend startete im Januar 2007 die Realisierung für die Berliner Morgenpost und die Welt-Gruppe. Im Februar 2008 war hier der Starttermin. Der letzte Zeitungsbereich, der umgestellt wurde, war der Hamburger Markt im Juni 2008.
Pflichtenheft kaum verändert
Die gründliche Vorbereitung machte sich bezahlt: "Nach der Erstellung des Pflichtenheftes gab es bis zur Inbetriebnahme des Systems keine wesentlichen Änderungen", freut sich Greve. Allerding waren Veränderungswünsche während des Projekts auch von vornherein nicht gern gesehen.
Begleitend zur neuen Abo-Verwaltung führte Springer SAP BI zur Steuerung des Vertriebs ein. Es ermöglicht eine genaue Marktanalyse auf Basis von Standard-Reports. Seitdem gibt es täglich für alle Titel Übersichten über Zu- und Abgänge, Reklamationen, die Haltbarkeit von Abos, Kontakten zu Geschäftspartnern. Wenn Verzögerungen in der Druckerei dazu führen, dass die Zeitungen verspätet bei den Zustellern eintreffen, ist schnelles Informieren und Reagieren wichtig.
Zeitgleich mit der Planung des neuen Abo-Systems wurden drei Arbeitsgruppen für titelübergreifendes Reklamations-Management ins Leben gerufen, wöchentlich treffen sich die Mitarbeiter im "Rekla"-Meeting, um Kundenbeschwerden systematisch zur kontinuierlichen Prozessverbesserung zu nutzen. Flankierend wurden auch das digitale Archiv modernisiert und die vorhandenen Dokumente in das Abo-System eingebunden. Bei den Online-Auftritten wurden die Abo-Self-Services-Angebote in das Abo-System integriert. Über das Internet können Kunden Abonnements bestellen, unterbrechen oder Nachsendungen beauftragen sowie ihre Daten aktualisieren.
"Handling time" gesenkt
Im Ergebnis konnten rund 70 Prozent der Prozesse ganz oder teilweise harmonisiert werden. "In budget" (plus 2,5 Prozent) und "in time" (plus drei Monate) sei man gewesen. Die System-Performance hat sich um mehr als zehn Prozent verbessert. Gesenkt werden konnten hingegen die systembedingte "handling time" im Callcenter, der Personalaufwand durch die nunmehr zentrale Steuerung des Systems sowie die Weiterentwicklungsbudgets durch den Einsatz von Standardlösungen.
"Ein erfolgreiches Projekt dank unserer Fehler-, Diskussions- und Erfolgskultur", sagen Altenbernd und Greve. Allein dreimal hat das Team jedes realisierte Modul getestet. Die Leistungsfähigkeit wird auch heute noch immer wieder überprüft. "Sie müssen stets selbstkritisch sein“, gibt Greve als Losung aus. So wurde gleich nach der Implementierung des neuen Systems eine Zufriedenheitsumfrage durch das externe Institut Concertare durchgeführt, zwischen einzelnen Titeln gibt es ein Benchmarking. Je höher die Kundenzufriedenheit und je niedriger die Reklamationsquote ist, desto besser läuft das Geschäft.
"Es war für alle Beteiligten eine tolle Erfahrung, mit diesem kompetenten Team so zielorientiert zu arbeiten", sagt Altenbernd rückblickend. Wie gut die neuen Projekt-Management-Methoden funktioniert haben, zeige sich nicht nur am Erfolg des Projektes, sondern auch daran, dass ein großer Teil der Projektstrukturen inzwischen zu einem wesentlichen Bestandteil des operativen Geschäfts geworden ist.