Universitätsklinikum Heidelberg hat eigenen Arzneimittel-Informationsdienst „AiD Klinik“ entwickelt

Wirksame Software ohne Risiken und Nebenwirkungen

04.08.2006
Bereits seit 2003 arbeiten Ärzte am Universitätsklinikum Heidelberg mit digitalen Medikamentenrezepten. Dabei können sie auf ein webbasiertes Arzneimittel-Informationssystem zugreifen: Die datenbankgestützte Software „AiD Klinik“ verhindert, dass Patienten Medikamente in Dosierungen oder Kombinationen erhalten, die möglicherweise gefährlich sind. Der Datenbank-Check vor der Verordnung einer Arznei erhöht unter anderem die Sicherheit für Nierenkranke und hilft darüber hinaus, Kosten zu sparen. Das Team der Abteilung Innere Medizin VI, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie programmierte „AiD Klinik“ komplett in PHP und setzte dabei auf die Entwicklungsumgebung „Zend Studio“.

Nur in der Verschiedenheit sind alle Menschen gleich – und die Wirkung von Medikamentenkombinationen kann von Mensch zu Mensch sehr variieren. Allein in Deutschland sind zehntausende verschiedener Medikamente auf dem Markt. Angesichts dieser unüberschaubaren Menge setzten sich klinische Pharmakologen, Apotheker und Medizininformatiker am Universitätsklinikum Heidelberg zum Ziel, eine Software zu entwickeln, die Informationen aus verschiedenen pharmakologischen Datenbanken verarbeitet. Durch den Datenbankabgleich mit patientenindividuellen Daten werden Fehlmedikationen mit Überdosierungen und unerwünschte Nebenwirkungen vermieden. So ist eine individualisierte, sichere und effiziente Arzneimitteltherapie möglich.

Unter der Leitung von Professor Dr. med. Walter Emil Haefeli und Dipl.-Ing. Jens Kaltschmidt entwickelte das Heidelberger Team eine auf PHP basierende Software für die Medikamentenverordnung – das Arzneimittel-Informationssystem „AiD Klinik“ (www.aidklinik.de). Im Rahmen einer ersten Pilotphase arbeiteten bereits mehrere Abteilungen des Heidelberger Universitätsklinikums erfolgreich mit einem ersten digitalen Medikamentenrezept. Im 2. Quartal 2006 startete auch hier der flächendeckende Einsatz an allen 14 Heidelberger Universitätskliniken.

Wissensbasen zum korrekten Einsatz der Inhaltsstoffe

Viele Patienten sind niereninsuffizient – im Durchschnitt jeder sechste Patient in stationärer Betreuung und fast alle älteren Patienten. Außerdem wird nahezu jedes sechste Arzneimittel maßgeblich über die Nieren eliminiert. Dosisanpassungen an die Nierenfunktion sind deshalb ein alltägliches ärztliches Problem. „AiD Klinik“ berechnet für jeden einzelnen Patienten die optimale Wirkstoffdosis und liefert dem Arzt angepasste Vorschläge zur Medikation. Hierfür werden automatisch die im Krankenhaus-Informations-System (KIS) gespeicherten Blutwerte, das Geschlecht, Alter und Gewicht des Patienten herangezogen. Positiver Nebeneffekt: Das System hilft, die Kosten für Arzneimittelausgaben zu senken.

Für „AiD Klinik“ wurden hierfür einzigartige Algorithmen zu über 600 Inhaltsstoffen zur Dosisberechnung entwickelt und integriert. Außerdem tragen weitere Wissensbasen mit Hinweisen beispielsweise zu Schwangerschaft oder Stillzeit, Doppelverordnung und bei unerwünschten Arzneimittelwechselwirkungen zur optimalen Medikation und somit zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit am Universitätsklinikum Heidelberg bei. „Bei den über 12.000 Rezepten, die mithilfe der Software bislang erstellt wurden, konnten riskante Medikamentenkombinationen weitest gehend vermieden werden“, so Professor Dr. med. Walter Emil Haefeli, Leiter der Abteilung Innere Medizin VI, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie.

Mit „Zend Studio“ konnte das Entwickler-Team das komplexe Projekt schnell und effizient in einer professionellen Entwicklungsumgebung durchführen. Nicht zuletzt, weil Zend Studio das zeitgleiche Programmieren mehrerer Mitarbeiter ermöglicht. Dabei unterstützten Tools wie PHPDocumentor und PHPDoc-Assistent sowie die gute Subversionsanbindung die Zusammenarbeit untereinander. Mit Zend Studio wurden die verschiedenen Datenbanken, auf die bei der Arzneimittelsuche zugegriffen wird, vernetzt.

„Die pharmakologischen Datenbanken, in denen die relevanten Informationen zu Medikamenten verzeichnet sind, lassen sich über einen Webbrowser prinzipiell von jedem Computer aus erreichen. Da „AiD Klinik“ in jedem Intranet und auch über das Internet eingesetzt werden kann, ist eine Verbreitung des Systems unkompliziert und lediglich eine Anbindung an das jeweilige Krankenhausinformationssystem eine kleine Herausforderung“, so Simon Schmitt, Diplom-Medizin-Informatiker am Uniklinikum Heidelberg.

Strukturierte Arzneimitteleingabe-Oberfläche

Seit über drei Jahren wird am Universitätsklinikum Heidelberg in Pilotambulanzen und seit dem 2. Quartal 2006 flächendeckend eine strukturierte Arzneimittelverordnung (CPOE = Computerized Physician Order Entry) in der Arztbriefschreibung eingesetzt. Durch aktuelle Marktdaten und Wissensbasen unterstützt, ermöglicht sie derzeit eine gesetzeskonforme (z. B. AABG, SGB V §115c) Rezept- und Arztbriefschreibung in sehr kurzer Zeit. Bei der Entwicklung von „AiD Klinik“ wurde sehr auf Benutzerfreundlichkeit geachtet: Gibt der Arzt die Namen der Arzneimittel oder Wirkstoffe in die Suchfelder ein, baut der Rechner eine Verbindung zu verschiedenen pharmakologischen Datenbanken auf. Dort sind detaillierte Informationen über Medikamente und Wirkstoffe, ihre Nebenwirkungen und bekannte Wechselwirkungen mit anderen Arzneien gespeichert.

Als Datengrundlage dienen hierbei einerseits die 14-täglich aktualisierten deutschen Marktdaten der MMI GmbH (Gelbe Liste) mit über 65.000 Präparaten, inklusive Herstellerangaben und Preisen und zahlreiche selbst entwickelte Wissensbasen. Andererseits findet ein bidirektionaler Datenaustausch mit dem KIS – am Universitätsklinikum Heidelberg SAP i.s.h.med – statt. Automatisch gleicht der Computer die vom Arzt verordneten Medikamentenkombinationen mit den Informationen der Datenbanken ab. Wurden Kombinationen gewählt, die möglicherweise gefährlich sind, warnt das Programm den Arzt und der CCDS (Computerized Clinical Decision Support) tritt in Funktion. Auch wenn zwei Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff eingegeben wurden oder eine Fehldosierung droht, erscheint ein Warnhinweis auf dem Bildschirm.

„Mit dem Einsatz von Zend Studio konnten wir unser komplexes Entwicklungsvorhaben überschaubar und schnell umsetzen und optimieren. Mit Zend Studio war es uns möglich, innerhalb des Teams effektiv an der Programmierung zusammenzuarbeiten. Zend Studios Debugging-Funktionen und die PHP Intelligence-Tools beschleunigten zudem den Entwicklungsprozess, da Fehler und Programmierungsschwächen direkt angezeigt werden und sofort von uns ausgebessert werden konnten“, erläutert Jens Kaltschmidt.

„AiD Klinik“ unterstützt ärztliche Arbeitsabläufe

Die Anwendung von „AiD Klinik“ am Universitätsklinikum Heidelberg zeigt, dass sich die Software gut in die ärztlichen Arbeitsabläufe integriert. Viele Rezepte werden innerhalb weniger Sekunden zusammengestellt, die Hälfte innerhalb von 80 Sekunden gedruckt. Pro Monat werden 48.000 Suchanfragen im Mittel in weniger als 1,2 Sekunden durch das System bearbeitet (siehe Grafik). Durchschnittlich gibt es 20 Prozent falsch formulierte Suchangaben – auch diese können dank der integrierten phonetischen Suche beantwortet werden. Haefeli sieht deshalb gute Chancen, das System auch in anderen Kliniken und in Arztpraxen einzusetzen. Erste Testinstallationen in vier weiteren deutschen Kliniken, unter anderem der Charité Berlin, sind sehr Erfolg versprechend.

Schnittstelle zwischen Medizin und Informatik

Die Medizinische Informationstechnologie der Abteilung „Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie“ (Innere Medizin VI) an der Universitätsklinik Heidelberg ist eine Schnittstelle zwischen dem biologisch-medizinischen Bereich und der Informatik. Die Medizinische Informationstechnologie unterstützt Abteilungsmitglieder bei der Durchführung ihrer IT-Projekte. Dabei geht es meistens darum, einerseits Daten aus elektronischen Datenquellen in verständliche Information für Fachleute (Ärzte, Pharmazeuten, Gesundheitspersonal) umzuwandeln und andererseits fachliches Detailwissen in elektronische Datenquellen zu transformieren.

Das Design und die Entwicklung des wissensbasierten und datenbankgestützten Arzneimittel-Informationsdienstes „AiD Klinik“ ist das Schwerpunktprojekt des Entwickler-Teams um Dipl.-Ing. Jens Kaltschmidt.

Reinhold Hölbling, MBmedien GmbH