Analysten-Kolumne

Wirtschaftsabschwung: 5 Regeln für die Krise

24.09.2008 von Jörg Hild
Finanzkrise, Konsolidierungsbestrebungen, schwacher Konsum, reduzierte Wachstumsaussichten - die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden für Unternehmen deutlich härter. Wie aktuelle Umfragen zeigen, reagieren viele Unternehmen allerdings nicht nur mit dem üblichen "Krisenreflex"- nämlich die Kosten so stark wie möglich senken - sondern durchaus auch antizyklisch.
Jörg Hild, Geschäftsführer von Compass Deutschland GmbH, Wiesbaden.

Finanzkrise, Konsolidierungsbestrebungen, schwacher Konsum, reduzierte Wachstumsaussichten - die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden für Unternehmen deutlich härter. Wie aktuelle Umfragen zeigen, reagieren viele Unternehmen allerdings nicht nur mit dem üblichen "Krisenreflex"- nämlich die Kosten so stark wie möglich senken - sondern durchaus auch antizyklisch.

Für den CIO ist diese Entwicklung Herausforderung und Chance zugleich. Reagiert er rein defensiv, besteht die Gefahr, dass er primär als Gemeinkostenblock wahrgenommen wird und in eine Abwärtsspirale gerät: Mit knapperen Budgets wird sein Handlungsspielraum mehr und mehr eingeschränkt. Er kann jedoch auch in die Offensive gehen und Initiativen ergreifen, damit sein Unternehmen noch flexibler und effizienter wird, seine Wettbewerbsposition besser behauptet oder neue Potenziale erschließt. Kurz: Der CIO kann in der Krise seine Rolle als "Enabler" definitiv unter Beweis stellen. Dazu sollte er fünf Grundregeln beachten.

Regel Nummer 1: Wirtschaftlichkeit weiter verbessern

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann ein CIO natürlich nicht aus dem Vollen schöpfen. Auch für Innovationen muss er selbst den Freiraum schaffen. Kostensenkung und Effizienzsteigerungen in der IT werden deshalb noch wichtiger. Hier sollte der CIO derjenige sein, der die Initiative ergreift.

Vor allem kurzfristige Einsparungen, die möglichst noch im laufenden Ge-schäftsjahr im Ergebnis wirksam werden, bringen neuen Spielraum. Zwar hat die IT in den vergangenen Jahren hier viele Mittel ausgeschöpft. Trotzdem findet man bei genauer Analyse sowohl im funktionalen Bereich (Infrastruktur und Anwendungen) als auch bei den Prozessen Ansatzpunkte für kurzfristige Optimierung.

Der CIO sollte IT-Investitionen in den geschäftlichen Kategorien des CEO begründen können.

Zum Beispiel sparte der IT-Bereich eines Finanzdienstleisters nach einem genauen Marktvergleich in den ersten drei Monaten 5 Prozent seiner Kosten ein. Unter anderem konnte er dank besserer Ressourcen-Ausnutzung nach Einführung eines Kapazitätsmanagements eine geplante Hardware-Erweiterung stornieren, vereinbarte mit dem externen Dienstleister eine Erhöhung der Lösungsrate und strich schmerzlos fast 90 Prozent aller Reports, die einen hohen Aufwand verursacht hatten.

Verhandlungen mit den externen Dienstleistern bilden sicherlich einen der wichtigsten Ansatzpunkte für rasche Kostenverbesserungen. Das heißt nicht, dass diese Partner nun rücksichtslos Pressionen ausgesetzt werden. Vielmehr wird der Weiterentwicklung des Marktes - die gerade in Krisenzeiten oft noch wesentlich dynamischer abläuft - kurzfristig Rechnung getragen. Durch entsprechende Benchmarks können diese Trends erfasst und fair abgebildet werden.

So steigt nach Compass-Untersuchungen pro Jahr die Performance der Server um 30 bis 40 Prozent, während der Preis pro Leistungseinheit um rund 40 Prozent sinkt. Ein Unternehmen entschied zum Beispiel bei der Vereinbarung eines Preismodells für virtuellen Serverbetrieb, die Verrechnungspreise alle zwei Jahre anzupassen. Oder nehmen wir den Netzwerkbereich: Hier hat beispielsweise die (vor allem bei der Anbindung kleinerer Lokationen oder Filialen) zunehmend eingesetzte DSL-Technologie aufgrund des gestiegenen Wettbewerbs in den letzten zwei bis drei Jahren einen erheblichen Preisverfall erlebt - je nach DSL-Variante bis zu 45 Prozent. Hier sind jährliche oder sogar halbjährliche Überprüfungen durchaus sinnvoll. Da weltweit tätige Unternehmen oft Netzwerkkosten im mehrstelligen Millionenbereich haben, sind die Potenziale erheblich.

Auch ein Accounting, das die Kosten pro IT-Service transparent macht und auf die Anwender umlegt, trägt zur Kosteneindämmung bei. Bei einem Versicherungsunternehmen hatten bereits die entsprechenden Messungen einen hohen Disziplinierungseffekt. Nachdem alle Aktivitäten erfasst, den Verursachern zugeordnet und konsequent abgerechnet wurden, beauftragten die Fachbereiche viel bewusster - auch bei Kleinprojekten wie fachlichen Erweiterungen.

Die Überprüfung der Kundenanforderungen ist ein weiterer Hebel zur Kostensenkung, der allerdings eher mittelfristig wirkt. Gerade Branchen, bei denen in Vergangenheit die schnelle Reaktion auf Marktanforderungen im Vordergrund stand, sind oft recht üppig ausgestattet. So teilten sich nach
Com-pass-Messungen im Jahr 2007 beispielsweise 5,2 Anwender einen Drucker - wirtschaftlich sinnvoll wären jedoch 10 bis 12 Nutzer pro Gerät. Durch "Right-Sizing" von IT-Volumen und - Qualitätslevel lassen sich Optimierungspotenziale von 20 bis 30 Prozent erreichen.

Erhebliche Produktivitätsreserven bietet die Anwendungsentwicklung, denn noch immer kennen viele Unternehmen ihre Kostenstrukturen in diesem Bereich nur vage. Nach wie vor rechnen 95 Prozent der Entwicklungsorganisationen ihre Leistungen nach dem Aufwand ab. Output-basierte Modelle, die das fachliche Volumen einer Anwendung zugrunde legen, werden erst sporadisch genutzt. Beispielsweise führte ein Versicherungsunternehmen die Function-Point-Methode ein, die Anzahl und Umfang der fachlichen Funktionen ermittelt, und ließ die Ergebnisse regelmäßig messen. Damit erzielte es signifikante Verbesserungen bei seiner Entwicklungsproduktivität, die direkt dem Versicherungs-Kerngeschäft zugute kamen.

Regel Nummer 2: Mit Innovationen das Geschäft unterstützen

Der CIO sollte Vorschläge entwickeln, wie die IT das Unternehmensgeschäft insgesamt weiterentwickeln kann. Auch hier lassen sich kurz- und langfristige Effekte erzielen. Ansatzpunkte bieten sowohl Produkt- als auch Prozessinnovationen. Je wichtiger die IT für das Kerngeschäft und je höher ihre Durchdringungstiefe ist, desto wirkungsvoller sind entsprechende Initiativen.

So hat ein internationaler Versicherungskonzern durch Neuorganisation sei-nes Business Call Centers in kurzer Zeit Ressourcen zur Ankurbelung des Geschäfts freigesetzt. Ein Marktvergleich hatte gezeigt, dass die Kosten der eigenen SLAs fast ein Viertel über der Leading Practice der Branche lagen. Gezielte organisatorische Maßnahmen erhöhten die Performance und senkten den Personalbedarf, ohne die Servicequalität zu beeinträchtigen. Damit wurde Zeit frei für Outbound-Kampagnen, die wiederum direkt zur Umsatzsteigerung beitrugen.

In einer anderen Versicherung schichtete die IT Ressourcen aus Infrastrukturprojekten zugunsten der Vertriebsunterstützung um. Erst dadurch konnte das Unternehmen ein neues Leistungsangebot, das verschiedene Versicherungsprodukte bündelt, kurzfristig auf den Markt bringen und so den drohenden Verlust von Marktanteilen an den Wettbewerb verhindern.

Ein koordiniertes, strategisches Anforderungs- und Portfolio-Management sollte die Investitionen so steuern, dass sie den besten geschäftlichen Mehrwert bringen. Die Anteile des IT-Tagesbetriebs (Run) und der wirklichen Innovationen (Change) sollten sauber abgegrenzt und kontinuierlich gemessen werden, um den Anteil der Innovationen zu erhöhen.

Regel Nummer 3: In den Kategorien des CEO denken

Will der CIO in seiner Rolle als Enabler überzeugen, muss er in den Kategorien des Business argumentieren. Insbesondere sollte er den Zusammenhang zwischen technischen und betriebswirtschaftlichen Größen herstellen können: etwa die Auswirkungen eines Reengineerings des Contact Centers auf den Direktvertrieb (wie in unserem obigen Beispiel beschrieben) oder den Einfluss eines verbesserten Internet-Angebots auf die Kausalkette Benutzerfreundlichkeit - Optimierung des indirekten Vertriebskanals - Vertriebsergebnisse.

Eine solche Betrachtung ist umso wichtiger, als IT-Innovationen zunächst einmal Zusatzinvestitionen bedeuten. Kann der CIO nachweisen, dass sie auf Ebene des Gesamtunternehmens Einsparungen erzielen, hat er erheblich bessere Karten. So liegen beispielsweise in einer untersuchten europäischen Retail-Bank die IT-Kosten heute zwar höher als in der Vergleichsgruppe. Der intelligente Einsatz dieser IT-Investitionen hat jedoch zu deutlich schlankeren Geschäftsprozessen geführt und dadurch die Stückkosten einer Business-Transaktion um rund ein Drittel gesenkt. Damit erzielt die Bank unter dem Strich einen Wettbewerbsvorteil (siehe unten stehende Grafik).

Beispiel einer europäischen Retail-Bank: Gezielte Investitionen haben zwar die IT-Kosten erhöht, aber auf der Businessseite die Gesamtkosten pro Bank-transaktion deutlich gesenkt.

Der CIO sollte nicht nur CEO und CFO, sondern die Anwenderseite insgesamt im Blick haben. Werden etwa Teile des Desktop-Betriebs ausgelagert, spielen nicht nur Kosten und Qualität dieser Leistungskomponenten eine Rolle, sondern auch die Wechselwirkung mit den im Haus verbliebenen Funktionen und Mitarbeitern. Die technischen Schnittstellen werden in der Regel gemeistert, die organisatorischen meist auch. Vernachlässigt werden aber häufig die "emotionalen Schnittstellen". Die gefühlte Zufriedenheit der Anwender ist jedoch entscheidend für Ansehen und Standing der IT.

Deshalb sollte ein CIO regelmäßige Befragungen zur Kundenzufriedenheit durchführen lassen, die alle Anwendergruppen vom Top-Management bis zur Sachbearbeitung einbeziehen, und die Aussagen differenziert auswerten. Insbesondere Mitarbeiter mit engem Kundenkontakt haben meist die besten Sensoren für eigene Defizite und neue Marktchancen.

Regel Nummer 4: Transparenz schaffen

Kennzahlen gehören heute unbestritten zu den wichtigsten Management-Instrumenten. Gerade in Krisenzeiten sollte der CIO auf eine Palette an KPIs zugreifen können. Damit kann er nicht nur seinen Bereich besser steuern, sondern auch dem Top-Management in komprimierter Form beweisen, dass er tatsächlich als Enabler fungiert: indem er etwa den Zuwachs an Innovationen (Change) beim Gesamtbudget aufzeigt, die Wirtschaftlichkeit der IT-Services nachweist und insbesondere den Beitrag der IT zu den Business-Zielen transparent macht. Ideal ist es, wenn die IT-Kosten von Produkten und Geschäftsprozessen - beispielsweise pro Flugticket, pro produzierter Produktkomponente usw. - auf einen Blick zu erkannt werden.

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Situationen sollten alle Bereiche auf den Prüfstand, um Optimierungspotenziale zu identifizieren.

CIOs nutzen daher neben den klassischen, technisch orientierten Kenngrößen immer stärker auch KPIs, die komplette Services oder Anwendungen beschreiben. Compass-Untersuchungen zeigen, dass der Anteil systemorientierter SLAs in den letzten drei Jahren von über 50 Prozent auf etwas mehr als 20 Prozent gesunken, derjenige service- und kundenorientierter Vereinbarungen hingegen entsprechend angewachsen ist. Diese definieren Kosten und Qualität eines kompletten Dienstes, der sich aus verschiedenen technischen Komponenten zusammensetzt. Noch businessorientiertere Vereinbarungen, die eine komplette Anwendung beschreiben, liegen noch unter 10 Prozent.

Vor einiger Zeit startete beispielsweise ein deutscher Energieversorger eine Initiative, um die zuvor individuellen IT-Services mit Hilfe standardisierter Marktkomponenten darzustellen, deren Preise in geschäftlichen Abrechnungskategorien auszuweisen und diese in regelmäßigen Benchmarks zu überprüfen. Dazu wurde das industrielle Prinzip der Stückliste auf die IT übertragen. Heute können alle Mitarbeiter nachvollziehen, aus welchen Einzelleistungen sich die eigenen IT-Services zusammensetzen, ob die Preise marktkonform sind welche IT-Kosten bestimmte geschäftliche Anforderungen verursachen.

Natürlich ist es eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, relativ kurzfristig ein gemeinsames Verständnis über KPIs herzustellen. Welche Leistungen sind zum Beispiel Kategorien wie "Managed MIPS", "Management-Service" oder "Administrations-Support" tatsächlich zuzurechnen? Vor allem in großen Konzernen mit vielen Werken münden entsprechende Initiativen oft in nicht endenden Diskussionsrunden und versanden schließlich.

Ein deutscher Industriekonzern schaffte es trotzdem, in nur drei Monaten ein einheitliches KPI-System einzuführen - obwohl einzelne Werke zuvor bereits Controlling-Systeme einsetzten, in denen die Zahlen unterschiedlich definiert waren. Das Erfolgsgeheimnis bestand in einem Outside-Inside-Ansatz, der langwierige Diskussionen deutlich abkürzte: Ausgangspunkt war ein standardisiertes Modell, das sich an der Balanced Scorecard orientierte und um IT-spezifische Perspektiven ergänzt wurde. Anhand dieses Basismodells verständigten sich dann die Vertreter der verschiedenen Werke in repräsentativen Workshops auf Auswahl und den Aufbau der individuellen Kennzahlen. Das KPI-System stellt eine Gesamtsicht her und bedient zugleich unterschiedliche Adressaten: das Top-Management, das CIO Council sowie die Unternehmen im Konzern, die mit dem Werkzeug ihre eigene IT steuern wollen.

Regel Nummer 5: Organisatorische Reife zeigen

Der CIO wird seine Position im Unternehmen nur ausbauen können, wenn die eigene IT-Organisation ihrerseits effizient aufgestellt ist und er dies der Geschäftsleitung messbar nachweisen kann. Keinesfalls sollte er damit warten, bis er unter Rechtfertigungsdruck gerät.

Beispielsweise hat der CIO im deutschen Werk eines internationalen High-Tech-Konzerns seine Personal- und Kostenplanung von neutraler Seite am Markt verifizieren lassen und so auf eine Faktenbasis gestellt. Gemessen wurden Qualität, Leistung und Kosten der IT-Infrastruktur, der IT-Governance, und des IT Sourcing, ebenso die Abstimmung von IT-Leistungen auf Ziele der Geschäftseinheiten und den Beitrag der IT für das Geschäft. Dann wurde durch die Kombination von Performance- und Dimensionierungs-Analyse verifiziert, ob die geplante IT-Personalstärke und die damit verbundenen Kosten realistisch waren. Der CIO konnte sowohl seine Planzahlen für den Personalzuwachs als auch seine IT-Budgets fundiert begründen.

Einen erheblichen Einfluss auf Effizienz und Kosten einer IT-Organisation hat die richtige personelle Besetzung. So hat Compass bereits vor rund zwei Jahren festgestellt, dass bei Entwicklung, Wartung und IT-Betrieb die Kosten durch falsche Zuordnung von Qualifikationen oft unnötig hoch sind; beispielsweise sind bei der Software-Wartung gehobene Managementfunktionen häufig überrepräsentiert. Mittlerweile haben immerhin 20 Prozent der untersuchten Organisationen ein Skill-Management-System eingeführt. Zu-nehmend nutzen sie dazu Standardmodelle wie SFIA (Skills Framework for the Information Age). Allein die Optimierung der Rollenbesetzung im IT-Bereich kann durchschnittlich 18,5 Prozent der Personalkosten sparen.

Auch verstärkte Spezialisierung und Arbeitsteilung der Mitarbeiter tragen zu effizienteren Organisationsstrukturen bei. Dazu gehören beispielsweise die Zentralisierung von Know-how in Competence-Centern sowie der Aufbau von Projekt-Pools und eigenen Testcentern.

Last but not least genügt es nicht, wenn der CIO die geschäftlichen Verbesserungen durch IT-Investitionen aufzeigt - sie müssen am Ende des Umset-zungsprozesses auch tatsächlich erreicht werden. Er muss also die Stabilität der Realisierung besser garantieren können. Unterstützen kann ihn dabei die Einführung von "Benefit Triggern": Im Business-Plan wird genau definiert, in welchem Bereich, in welcher Höhe und wann einzelne Maßnahmen einen ROI bringen sollen und welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen. So können der CIO und die Geschäftsleitung stetig verfolgen, ob und wie weit angestrebte Ziele erreicht werden, und gegebenenfalls frühzeitig korrigierend eingreifen.

Von Jörg Hild, Geschäftsführer Compass Deutschland GmbH, Wiesbaden