Die Unternehmens-IT stand traditionell viel stärker als Fachabteilungen unter Druck, nicht Cost-Center sondern Profit-Center zu werden. Effiziente und automatisierte Abläufe haben sich in den letzten Jahrzehnten etabliert, eine Ausprägung des Drucks zur Standardisierung ist ITIL (IT Infrastructure Library). In ihr werden Best Practice formuliert, die sich Unternehmen als Blaupause greifen können, anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden - ohne dass es gleich rund läuft. Besonders geeignet sind dafür ITSM-Plattformen, die sich häufig als Grundlage eignen, auch die fachbezogenen Prozesse abzubilden.
Viele Unternehmen wissen gar nicht, auf welchen Schätzen sie sitzen, meinen deshalb ITSM-Experten. Denn viele Prozesse in den Fachabteilungen laufen durchaus analog zu den Aufgaben in der IT und die Fachbereiche könnten von der vorhandenen Prozessreife profitieren.
Beispiel Gebäudemanagement: Im Fuhrpark ist eine Glühbirne kaputt. Das ist nicht weit vom defekten Monitor in der Buchhaltung entfernt. Ob Incident Request oder Wartungsanfrage, ob Change Request oder der Auftrag, eine neue Lampe anzuschaffen: die Abläufe ähneln sich. Das gilt für viele Bereiche, wie zum Beispiel das Beschwerdemanagement oder das Bewerbermanagement.
Eine Hürde ist die Kommunikation zwischen Fachabteilungen und IT. Für ITIL-Prozesse Werbung zu machen, dürfte wohl der falsche Weg sein, die Theorie ist vielen Praktikern zu abstrakt. Wenn die IT aber ihr Ohr an den Fachbereichen hat, bekommt sie viel über die konkreten Probleme dort mit. In den Service-Bereichen haben viele Unternehmen noch nicht ihre Prozesse zu Papier gebracht, es gibt also einen breiten Spielraum für die Experten aus der IT. Praktische Beispiele, wie sich ein Problem mit einem ITIL-Prozess lösen lässt, überzeugen und helfen dabei, das Bild der IT zu verbessern.
ITIL in der Logistik
"Wir nutzen das aus der IT bekannte Prinzip des Service Desk nicht nur in der IT, sondern zunehmend auch für Abteilungen, die mit Kunden zu tun haben", berichtet ein Projekt-Manager aus dem IT-Service-Umfeld eines großen Logistikkonzerns. Incident-, Problem- und Change-Management folgten den gleichen Prinzipien, auch wenn die Ausprägungen in der Praxis ganz unterschiedlich aussehen.
Bei Problemen werden automatisch Tickets angestoßen und Prozesse im Hintergrund sorgen für die effiziente Bearbeitung - nicht nur bei IT-Problemen. "IT-Service-Management ist im Endeffekt die bestmögliche Unterstützung von Geschäftsprozessen mit IT", sagt der IT-Manager. Innerhalb des Unternehmens gibt es mittlerweile sogar eine strategische Richtlinie, für Service-Prozesse als einheitliche Plattform die Lösung des ITSM-Anbieters ServiceNow zu nutzen.
Keyword-Recherche in der Datenbank
Ein Beispiel dafür ist die Bearbeitung von nicht angekommenen Lieferungen. Kundenanfragen dazu werden auf Basis von ITIL-Prozessen automatisiert an den nachgelagerten Support im jeweils zuständigen Land weitergeleitet. Auch eine intensive Analyse ist möglich, um Zusammenhänge festzustellen, die ohne den übergreifenden Blick auf die Tickets nicht möglich wäre - beispielsweise um zu erkennen, ob etwa Lieferungen immer an der gleichen Stelle in der Lieferkette verschwinden.
Wie beim Knowledge Management können die Mitarbeiter nach Keywords in einer Datenbank mit Artikeln recherchieren, um zu der Problembeschreibung der Kunden Hinweise auf den besten Lösungsweg zu finden und gegebenenfalls gleich am Telefon die richtigen Informationen abzufragen. Neue Lösungswege werden wiederum in die Knowledge Base eingepflegt.
Auch für andere Anfragen werden ITIL-Prozesse auf Basis von ServiceNow genutzt. "Eine Abteilung hat uns ihr Problem geschildert, dass der Eingang von mehreren 1000 unstrukturierten E-Mails am Tag, die sortiert werden mussten, kaum noch zeitlich zu handhaben war. Auch hier passte das Prinzip des Service Desk für das gegebene Problem, denn es eignet sich unabhängig davon, ob die Lösung 50 oder 500 Mitarbeiter betrifft", erinnert sich der Projekt-Manager.
Zuvor lief alles manuell: Die Anfragen kamen per E-Mail oder Telefon herein, hinzu kam eine erhebliche Anzahl von Mails, mit denen Kollegen Anfragen an einen anderen Kollegen weiterleiteten. Die Abteilung nutzte ein E-Mail-Postfach und arbeitete mit MS Office. Zwar könne man auch dort einiges an Logik einbringen, doch die Automatisierung fehle, konstatiert der Experte.
Automatische E-Mail-Analyse und Weiterleitung
In der neuen Best-Practice-Anwendung werden all diese Anfragen gesammelt, E-Mails anhand von Keywords analysiert und zum richtigen Ansprechpartner weiter geleitet. Für den Restbestand, der sich nicht zuordnen lässt, wurde der Fragestellungsprozess für die richtige Zuordnung automatisiert. Unterm Strich habe man den internen Austausch wegen nicht zuordenbarer Mails erheblich verringern können, so der IT-Manager.
Doch warum eignen sich die ITIL-Prozesse besonders gut, um für andere Bereiche adaptiert zu werden? Im Grunde sei es nahe liegend, ITIL einheitlich konzernweit einzusetzen. Das Framework bietet erprobte Abläufe für Serviceaufgaben. Zwar wurde es einst für die IT-Prozesse entworfen, mittlerweile zeigt sich aber, dass sich die Best-Practices durchaus auch auf andere Segmente im Unternehmen übertragen lassen. Neben den Serviceabläufen weist der Manager des Logistik-Konzerns auch auf das Potenzial des Asset-Managements hin, das sich ebenfalls als Anwendungsgebiet für Non-IT-Bereiche eignet.
Die Gestaltung der Abläufe anhand des ITIL-Frameworks sorgt für Anerkennung und tut dem Standing der IT innerhalb eines Unternehmens gut. "Das Bild der IT ist ein anderes geworden: Der Austausch an sich hat sich verändert, die IT wird nicht mehr nur als Zulieferer wahrgenommen, sondern als Ansprechpartner, der gute Ideen hat, wie sich Abläufe besser automatisieren lassen", schildert der ITIL-Experte die Veränderung.
ITIL im Training und Support bei Sortimo
Die Fachabteilung Training & Support des Herstellers von Fahrzeugeinrichtungen für Servicefahrzeuge Sortimo hat sich zwar nichts direkt bei der IT abgeschaut, nutzt aber eigene Service-Prozesse auf ITIL-Basis. In der Vergangenheit hatten die Einrichtungsspezialisten ein ganz einfaches Open-Source-Tool für Bug-Tracking genutzt. "Das war allerdings nicht auf unsere Bedürfnisse anpassbar und es gab keine Möglichkeit, damit zwischen den Abteilungen zu kommunizieren.
Da wir in unserer Abteilung nicht alles selbst lösen können, ist der Austausch mit der IT, der Konstruktion, der Produktion und dem Qualitätsmanagement besonders wichtig", erklärt Thoralf Lasczyk, Service Manager Export und Manager Training & Support bei der Sortimo International GmbH. Auch das Incident Management war nicht möglich, zudem fehlten Auswertungsmöglichkeiten.
Das Unternehmen mit Zentrale in Zusmarshausen entwickelte und definierte dann eigene Support-Prozesse, die sich jedoch nicht mit dem Bug-Tracking-Tool umsetzen ließen, und schaute sich dann am Markt nach einer geeigneten Anwendung um. Gefragt war eine Lösung für die Abteilung Training und Support, um alle Mitarbeiter, die am Vertriebsprozess beteiligt sind, aus- und weiterzubilden und bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen.
Dazu gehören Fragen rund um die Sortimo-Produkte, ihre Eigenschaften und Anwendungen. Die Fahrzeugausstattungen für Handwerker oder Servicemitarbeiter, mit denen sich Werkzeug und Material im Fahrzeug geordnet und sicher transportieren lassen, sind immer kundenindividuelle Lösungen. Die Reklamationsbearbeitung bei Sortimo wird zwar im ERP-System SAP erledigt, doch die neue Lösung sollte unterstützende Prozesse bereitstellen: Beispielsweise das betroffene Bauteil einer reklamierten Baugruppe zu identifizieren.
Bei der Suche stieß Sortimo auf PMCS.helpLine Software Gruppe, einen Anbieter von IT-Service-Management, der auch Field- und Customer-Service im Programm hat und dessen Tools auf ITIL-Prozessen basieren. "Wir nutzen jetzt helpLine durchgängig als Lösung. Die Anfragen können vom Support-Team und in den anderen Abteilungen bearbeitet und die Antwort dann an den Anfragenden zurückgegeben werden. Durch das Knowledge Management sehen die Mitarbeiter, was schon einmal beantwortet wurde.
Sie können auch selbst Artikel in der Wissensdatenbank anlegen", berichtet Lasczyk. Zudem ist es Sortimo jetzt auch möglich, die Qualität der Serviceprozesse und die Art der Anfragen zu analysieren. "Die Effizienz der Tätigkeit im Team und die Qualität haben sich deutlich durch Best-Practice-Prozesse gesteigert, es gab ein gutes Feedback im Unternehmen", resümiert Lasczyk.
BIG nutzt ITIL in der Wohnwirtschaft
Als größter Immobilieneigentümer Österreichs bewirtschaftet und verwaltet die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) rund 2.800 Objekte. Mit immerhin 9,6 Millionen Quadratmetern Nettoraumfläche ist der gesamte Liegenschaftsbestand sowohl in Form von Plänen als auch als Raumdatenbank im CAD- System abgespeichert (Computer Aided Design).
"Wir haben Request-Prozesse, bei denen Planausdrucke, Ausgabe bearbeitbarer digitaler Pläne, Änderungen von Plänen oder die Änderung von Stammdaten zum Beispiel durch An- und Verkäufe oder veränderte Adressen angefordert werden", erklärt Fritz Seda der Leiter der Abteilung für Daten-Management und CAD bei der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Früher kamen diese Anfragen in Form von Anrufen, E-Mails oder im Termin herein.
"Unser Gedanke war, dass diese Requests sich nicht wesentlich von einer Bestellung von Computern oder Zubehör in der IT unterscheiden. Da unsere IT-Abteilung bereits für ihre Prozesse helpLine einsetzte, kamen wir auf die Idee, etwas Vergleichbares auch für unsere Prozesse aufzusetzen - Denken ist ja schließlich nicht verboten", erinnert sich Seda. Über die IT-Abteilung nahmen die Wiener dann Kontakt zu deren Dienstleister auf.
Am Anfang stand eine sehr detaillierte Analyse der Prozesse und Anforderungsarten, schließlich wurden vorerst zwei Prozesse definiert, deren Umsetzung von der Planung bis zum Live-System etwa ein halbes Jahr dauerte. Hinter jedem Prozess liegen die jeweiligen Freigabeprozesse, Genehmigungsschritte und beteiligten Personen in Form von Workflows. So müssen beispielsweise bei der Ausgabe von bearbeitbaren Plänen die Planempfänger eine Haftungserklärung abgeben.
"In der IT ist das System insbesondere auf Störungsmeldungen abgestellt. Unsere Prozesse sind stärker mit anderen Systemen wie zum Beispiel Datenbanken verzahnt und es sind wesentlich mehr verschiedenen ausführende Rollen der Mitarbeiter involviert, das war insofern mehr Herausforderung für den Dienstleister bei der Umsetzung", sagt Seda. Nach erfolgreicher Produktivsetzung und Evaluierung wurden zwei weitere Prozesse in gleicher Weise erarbeitet und eingeführt.
Anfragen werden automatisiert in die Prozesse eingepflegt
Alle Abläufe sind als interne Prozesse konzipiert. Externe Anfragen an das Unternehmen werden durch die zuständigen Mitarbeiter der Hausverwaltung entgegengenommen und entsprechend strukturiert. Mittlerweile kommen alle Requests über ein Service-Portal als Anforderungsticket in der Abteilung Daten-Management und CAD an und werden automatisiert über Standardprozesse bearbeitet. "Jeder anfordernde Mitarbeiter der BIG weiß nun, in welchem Bearbeitungsstadium sich seine Anforderung befindet.
Sobald ein Plan geändert oder ausgedruckt ist, bekommt der Anfordernde eine E-Mail mit der Info, dass der Plan abzuholen ist oder der Plan geändert wurde", erzählt Fritz Seda. Die automatisierte Rückmeldung über die Erledigung ist nach seiner Einschätzung ein besonders wichtiges Feature, das erheblich zur Kundenzufriedenheit beiträgt. "Durch die Best-Practice-Prozesse ist auf der einen Seite die Qualität der Dienstleistung erhöht worden - so wird nichts vergessen oder übersehen. Auf der anderen Seite haben wir die Möglichkeit, die Priorisierung der Anforderungen zu steuern", so Seda.
Die Anfragen werden automatisiert den zuständigen Abteilungsbereichen in den Bundesländern zugewiesen und an den jeweiligen Leiter gesendet, der diese dann an die Mitarbeiter verteilt, auch wenn einmal ein Bearbeiter nicht da ist, kann auf die Anfragen zugegriffen werden. "Wir sparen vor allem Zeit im Bereich von Rückfragen, weil alle relevanten Informationen im Vorfeld abgefragt werden", meint Abteilungsleiter Seda. Denn heute wählt der Anfragende im Service-Portal das entsprechende Gebäude und füllt ein Formular aus.
Hier werden je nach Anfragetyp genau die Informationen abgefragt, die für die Bearbeitung benötigt werden. Langwierige Nachfragen zu fehlenden Informationen gehören damit der Vergangenheit an. "Die Durchlaufzeit hat sich mindestens um zehn bis 15 Prozent verringert", ist sich Seda sicher.