Nachklapp Value Chain Forum, Friedrichshafen

Workshop eHealth: Potenziale für Vernetzung längst nicht ausgeschöpft

25.01.2007
Unter Leitung von des eHealth-Experten aus dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Uni St. Gallen, Peter Rohner, fand am 9. und 10. November 2006 im Rahmen des Value Chain Forums der Universität St. Gallen neben 13 anderen auch ein Workshop zum Thema eHealth statt – mit starken Fokus auf die Schweiz. Dennoch lassen sich daraus auch Erkenntnisse für das deutsche Gesundheitswesen ableiten. Hier nun das kompakte Protokoll.

Das Schweizer Gesundheitswesen ist geprägt durch eine geringe Arbeitsteilung und jährlich steigende Kosten. Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, haben andere Branchen eine hohe Arbeitsteilung und ausgeprägte Vernetzung realisiert, insbesondere durch den Einsatz von IKT (*Informations- und Kommunikation-Technologien). Im Gesundheitswesen geht die Vernetzung jedoch nur sehr langsam und nicht auf breiter Front voran. Vernetzungsansätze auf technischer Ebene oder zur Prozessoptimierung existieren bereits, aber ganzheitliche Ansätze fehlen. In Workshop eHealth wurde ein ganzheitliches Konzept für die Vernetzung vorgestellt und anhand konkreter Praxisbeispiele vertieft.

Vorstellung des Themengebietes: Das Schweizer Gesundheitswesen steht wegen der sich wandelnden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor großen Herausforderungen. Der Druck auf die Politik, den kontinuierlichen Anstieg der Kosten in den Griff zu bekommen, wird zunehmen. Die Akteure des Gesundheitswesens werden dazu veranlasst werden, ihre Effektivität und Effizienz zu steigern. Die Mittel dafür sind Arbeitsteilung und Vernetzung. Erste Anzeichen für eine Bewegung unter den Akteuren sind Spezialisierungs-, Kooperations- und Konzentrationsprozesse. Die Vernetzungsfähigkeit ist ein Schlüsselfaktor für den Erfolg dieser Ansätze.

Unter dem Oberbegriff "eHealth" werden - primär IT-basierte - Lösungsansätze für die Vernetzung im Gesundheitswesen gesucht und entwickelt. Die Anstrengungen konzentrieren sich dabei schwergewichtig auf die Informationssysteme und Informatiksysteme (Telemedizin, Applikationsintegration, Normierung von Datenformaten und dabei insbesondere der digitalen Patientenakte, Datensicherheit, Patientenkarte sowie Basisinfrastrukturen). Daneben oder darauf aufbauend werden Effizienzsteigerungen für einzelne Prozesse angestrebt. Dazu gehören die Abrechnung zwischen Leistungserbringern und Versicherern, die Übermittlung von Diagnosen zwischen Leistungserbringern (Ärzten oder Spitälern) oder von Rezepten zwischen Leistungserbringern und Apotheken. Die Potenziale für Effizienzsteigerungen durch eHealth-Ansätze sind enorm.

In einer wettbewerbsintensiven Branche wäre mit einer raschen Aufnahme solcher Ansätze durch die Akteure zu rechnen. Im Gesundheitswesen geht die Adoption von eHealth aber nur sehr langsam und nicht auf breiter Front voran. Die Vielzahl der Akteure (Spitäler, Ärzte, Labors, Apotheken, Versicherer, Lieferanten) und deren unterschiedliche Interessen, gegenseitige Abhängigkeiten, eine intransparente Konkurrenzsituation und die kantonale Hoheit machen es schwer, gemeinsame Ziele für den Veränderungsprozess, der oftmals zum Verteilungskampf wird, zu artikulieren und diesen Prozess zu planen und zu steuern.

1. Vernetzungsfähigkeit im Gesundheitswesen (Dr. Peter Rohner und Tobias Mettler, Universität St. Gallen)
Der erste Teil des Workshops galt dem Thema der Vernetzungsfähigkeit des Gesundheitswesens. Unter dem Begriff Vernetzungsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, sich mit Partnern der Wertschöpfungskette rasch (sogar ad hoc) und mit geringen Kosten verbinden zu können, um Leistungen gemeinsam zu erbringen. Es wurde gezeigt, dass aufgrund der heutigen Merkmale des Schweizerischen Gesundheitswesens und ohne ein geeignetes Gegensteuern (durch Steigerung der Vernetzungsfähigkeit der einzelnen Akteure) die Ausgaben (aktueller Anteil am Schweizer BIP von ca. 12.5%) weiterhin stark ansteigen werden (ca. 4 bis 5% p.a.). Als geeignetes Framework für die Einordnung und Lösung der komplexen Aufgabenstellungen wurde ein auf das Gesundheitswesen adaptiertes St. Galler Business Engineering (Landkarte, Modelle, Methoden) vorgestellt.

Keine Kostendiskussion auf politischer Ebene

Des Weiteren wurde dargelegt, dass durch aktive Bearbeitung von sog. Gestaltungsobjekten auf der Landkarte des Business Engineering sich die Vernetzungsfähigkeit der einzelnen Organisation, aber auch der Branche steigern und (anhand eines Reifegradmodells) messen lässt. Der vorgestellte Ansatz wurde von den Teilnehmern als geeignet für die Bewältigung heutiger Herausforderungen empfunden und diente als Grundlage für eine abwechslungsreiche Diskussion. Insbesondere war man froh, dass nicht eine Kostendiskussion auf politischer Ebene geführt, sondern konstruktive Vorschläge gezeigt wurden, welche jedes Unternehmen selbst umsetzen könnte.

2. Vernetzungsfähigkeit als Basis für logistische Prozesse im Gesundheitswesen (Dr. Peter Rohner und Tobias Mettler, Universität St. Gallen)
Im zweiten Teil des Workshops wurde gezeigt, dass auch im Gesundheitswesen industrielle Konzepte, speziell das Supply Chain Management, eingesetzt werden können, um Prozesse in Spitälern zu optimieren. Dabei müssen aber die Besonderheiten der Leistungserstellung von Spitälern, wie z. B. die permanente Leistungsbereitschaft, die begrenzte Planbarkeit diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Leistungen berücksichtigt werden. Zielkonflikte sind aufgrund der Aussage „Die Qualität der medizinischen Versorgung steht über allem“ vorprogrammiert. Dennoch verspricht der Einsatz industrieller Konzepte hohe Optimierungspotenziale. Heutige Bemühungen bei Spitälern fokussieren stark auf die Beschaffungslogistik, welche lediglich die Spitze des Eisberges repräsentiert. Eine maximale Nutzenausschöpfung ergibt sich erst, wenn ebenfalls die Prozesse neu gestaltet, gemessen und die notwendigen Anreizsysteme geschaffen werden.

3. Spitallogistik – Ein Beispiel aus der Praxis (Dr. Olivier Tschudi, PostLogistics)
Anhand eines konkreten Praxisbeispiels wurde gezeigt, wie die Spitallogistik praktisch umgesetzt werden kann. Dabei wurden konkrete Beispiele für die Ausgestaltung der überbetrieblichen Prozesse und verschiedene Versorgungskonzepte vorgestellt. Des Weiteren wurden Fragen wie z. B. In- vs. Outsourcing oder Alleingang vs. Verbund behandelt. Auch wurde anhand eines Modells aufgezeigt, was eine Optimierung der Logistikkette eines Spitals schlussendlich an Einsparungen bringt. In der anschliessenden Diskussion wurde das vorgestellte Modell kritisch beurteilt.

So entstanden Fragen, wie z.B.
• „Was sind die Treiber, damit sich ein Spital für ein Outsourcing entscheidet?“
• „Wie weit verändert das vorgestellte Modell die Organisations- und Systemebene des Spitals?“
• „Wie werden die Rollen in einem Spitalverbund geregelt?“
• „Wie sieht die Ausgestaltung von Service-Level-Agreements aus?“
Auch äusserte man sich in der Diskussion kritisch bezüglich der fehlenden Anreizstrukturen im schweizerischen Gesundheitswesen, die der Implemenatation solcher Modelle entgegenstehen. Nichtsdestotrotz war man sich einig, dass die Optimierung der Logistikkette wesentliche Vorteile qualitativer, aber auch quantitativer Art schafft und dass sich diese Tatsache mit der Zeit auch ins Bewusstsein der Spitalverantwortlichen bringen lässt.

4. Die Business Collaboration Infrastrucutre für das Gesundheitswesen: Bedeutung, Funktionalität, Finanzierung (Dr. Peter Rohner und Tobias Mettler, Universität St. Gallen)
Im vierten Teil des Workshops wurde gezeigt, was unter einer eHealth Collaboration Infrastructure zu verstehen ist und welche Aufgaben diese auf den unterschiedlichen Ebenen zu leisten hat. In der Diskussion mit den Teilnehmern wurden verschiedene Kooperationsformen diskutiert (Partnerschaft zwischen Kassen und Leistungserbringern, Partnerschaft zwischen Leistungserbringern und Service Providern, etc.), Applikationsszenarien definiert (B2B, B2C, etc.), die notwendigen Dienste ermittelt (EPA, e-Rezept, Digital Identity, etc.), aber auch Fragen der Finanzierung behandelt.

5. eHealth – Arbeitsteilung und Vernetzung im Gesundheitswesen (Silvio Frey, yellowworld AG und Markus Nufer, IBM Schweiz)
Der Abschluss des Workshops galt zwei Praxisbeispielen zum Thema elektronische Gesundheitsakte. Am Beispiel der Gesundheitsplattform sundhed.dk wurden die heutigen Möglichkeiten von eHealth aufgezeigt. Anhand des Beispiels "LifeSensor – Die Gesundheitsakte" wurde eine weitere, ganz anders konzipierte, Anwendung der elektronischen Gesundheitsakte vorgestellt.

Ebenfalls im Workshop diskutiert: Die elektronische internettaugliche Patientenakte "Life Sensor" von InterComponentWare, die Gesundheitsexperten Zugriff auf persönliche Gesundheitsdaten bieten soll - sofern der Patient es wünscht.
Foto: Lifesensor

In der anschliessenden Diskussion wurden der Nutzen einer elektronischen Patientenakte thematisiert und weitere Anwendungsszenarien formuliert. Insbesondere die Frage der Verwendung von Patienteninformationen durch Dritte (z.B. den Pharmahandel oder Versicherer) wurde kritisch diskutiert.

Fazit

• Das Gesundheitswesen benötigt eine Ökonomisierung durch Arbeitsteilung
• Die Voraussetzung (Enabler) dafür, ist die Vernetzung
• eHealth bietet dazu vielfältige Möglichkeiten, die aber noch wenig strukturiert sind und deshalb keine ganzheitlichen Lösungen erlauben; gefragt ist deshalb ein ganzheitliches Rahmenwerk, das die Ansätze zusammenbringt
• Ein um die spezifischen Aspekte des Gesundheitswesens (insbesondere Regulation) erweitertes St. Galler Business Engineering Framework (Landkarte, Methoden und Modelle) hilft bei der ganzheitlichen Bildung von Netzwerken
• Die Potenziale der Vernetzung sind gewaltig (Beispiele Logistikkette im Spital (PostLogistics) , sundhed.dk (IBM) und LifeSensor – Die Gesundheitsakte (yellowworld AG))
• Die Vernetzung erfolgt durch die Entwicklung eines Netzwerks (eHealth Collaboration Infrastructure) und seiner Teilnehmenden (Weiterentwickung der Gestaltungsobjekte bei den Akteuren)

Ausblick

Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die einzelnen Akteure des Schweizer Gesundheitswesens ist die frühzeitige Positionierung, die durch eine ganzheitliche und umfassende Vorbereitung auf alle anstehenden Veränderungsprozesse sowie die zielorientierte Ausrichtung innerhalb des Leistungsnetzwerks ermöglicht wird. Das Kompetenzzentrum Health Network Engineering der Universität St. Gallen arbeitet aktuell an strategischen Optionen zur Steigerung der Vernetzungsfähigkeit.