Roland Berger und McKinsey

Wucht von Industrie 4.0 wird unterschätzt

02.07.2015 von Werner Kurzlechner
Die digitale Transformation muss Chefsache sein und erfordert hohe Investitionen. Die IT alleine kann die Probleme nicht lösen. Zwei Studien zeigen Handlungsfelder auf.
  • Roland Berger meint, ein "Digital Valley" könnte die digitale Reife in Europa erhöhen
  • Laut McKinsey sind 60 Prozent der Firmen schlecht auf Industrie 4.0 vorbereitet
  • Es herrscht Mangel an Know-how und Standards
  • Es droht Verdrängung - auch durch unerwartete Wettbewerber
Die digitale Reife ist von Branche zu Branche höchst unterschiedlich, wie diese Zahlen von Roland Berger zeigen.
Foto: Roland Berger Strategy Consultants

Frankfurt liegt im Herzen von Europa, so sagt man dort - und Visionen wachsen am Main sowieso gerne in luftige Höhen. Da wäre das angrenzende Bad Vilbel vielleicht wirklich ein geeigneter Ort für das, was es zwischen Atlantik und Ural tatsächlich nicht gibt: "Silicon Valley - das klingt nach Ideen, Träumen und großen Innovationen", schrieb unlängst Jens Joachim in der FAZ. "Was in Kalifornien funktioniert, will ein Unternehmer nun auch in Europa realisieren - im beschaulichen Bad Vilbel."

Der Hintergrund der Geschichte: Der Bad Homburger Unternehmers Jörg-Peter Schultheis hat vor, bis 2019 im Bad Vilbeler Quellenpark einen Campus für Start-up-Unternehmen nach kalifornischem Vorbild zu etablieren. Ob das Projekt tatsächlich realisiert wird und ob es dann tatsächlich die angekündigten wegweisenden Dimensionen erreicht, steht indes noch in den Sternen.

Ein europäisches "Digital Valley"

Die Meldung aus dem Rhein-Main-Gebiet trifft aber in jedem Fall einen Nerv. Denn exakt für eine Plattform wie das Silicon Valley auch in Europa machen sich renommierte Berater stark angesichts der diagnostizierten Defizite bei der digitalen Transformation. So fordert Roland Berger die Gründung eines europäischen "Digital Valley", um die digitale Wirtschaft besser zu unterstützen. "Verglichen mit den USA ist die digitale Landschaft in Europa in hohem Maße zersplittert, geprägt von der Heterogenität seiner Akteure", sagt Stefan Schaible, CEO für Deutschland und Central Europe von Roland Berger Strategy Consultants.

Vor allem die Vernetzung dreier wesentlicher Bestandteile sei für den Erfolg digitaler Plattformen wie im amerikanischen Silicon Valley oder in Shanghai Shenzhen in China wesentlich: Innovatoren, Venture Capital und Talente. "Aber auch weitere Stakeholder wie Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Entscheidungsträger müssen Teil eines großen europäischen Netzwerks werden", so Roland Berger Consultants weiter.

Studien von Roland Berger und McKinsey

Der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung erscheint in jedem Fall enorm. In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) untersucht Roland Berger in der Studie "Die digitale Transformation der Industrie" Ursachen und Auswirkungen der Digitalisierung auf die Industrie in Deutschland und Europa und erkennt beträchtliche Defizite bei der digitalen Reife.

Neben Roland Berger bläst auch McKinsey in dieses Horn. McKinsey stellt in einer eigenen Studie "Industry 4.0 - How to navigate digitization of the manufacturing sector" fest, dass sich nur sechs von zehn Unternehmen in Deutschland gut auf Industrie 4.0 gut vorbereitet fühlen. "Viele Unternehmen fangen erst jetzt an, sich konkret mit Industrie 4.0 auseinanderzusetzen", sagt McKinsey-Berater Detlef Kayser. "Vorteile neuer Technologien wie 3D-Druck, Big Data und Internet der Dinge werden zu oft als Risiko und nicht als Chance gesehen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen."

Die größten Hindernisse für Industrie 4.0

300 Entscheider aus Deutschland, Japan und den USA befragte McKinsey. Als größte Hindernisse auf dem Weg zur Industrie 4.0 wurden hierzulande das Wissen der Mitarbeiter, Datensicherheit und einheitliche Datenstandards gesehen. Knapp 60 Prozent aller Unternehmen würde ihre Systeme zwar outsourcen, 81 Prozent aber nur innerhalb Deutschlands. Für ein Drittel der Befragten kommt eine Auslagerung nur innerhalb Europas in Frage.

91 Prozent betrachten die Digitalisierung der industriellen Produktion als Chance. Von Angriffen aufs Kerngeschäft durch branchenfremde Konkurrenz - zum Beispiel aus der IT-Branche - rechnen in der Bundesrepublik hingegen nur rund 50 Prozent. In Japan sind es demgegenüber 63 Prozent, in den USA sogar 92 Prozent.

Zu wenig Investitionen in Forschung für Industrie 4.0

Diese Sorglosigkeit ist offenbar nur ein Teil des Problems. Laut McKinsey investieren deutsche Unternehmen nur 14 Prozent ihres jährlichen Forschungsetats in für Industrie 4.0 relevante Themen. Es klaffe eine zweifache Lücke: "Zum einen geben US-Unternehmen mehr als doppelt so viel Geld aus. Zum anderen sind die 14 Prozent auch ein Unterinvestment gemessen an den eigenen Umsatzerwartungen, da sich die deutsche Industrie im Durchschnitt ein Umsatzwachstum von 20 Prozent dank der neuen Technologien erhofft."

Gemeinsame Initiativen und Standards innerhalb der Industrie könnten nach Einschätzung von McKinsey ein Weg sein, Vorteile von Industrie 4.0 zu realisieren. Genau dieses Rezept empfiehlt auch die Roland Berger-Studie, um die Herausforderung der digitalen Transformation zu bewältigen.

Die Berater von Roland Berger prognostizieren bis 2025 ein zusätzliches kumuliertes Wertschöpfungspotenzial von 425 Milliarden Euro alleine in Deutschland durch die Digitalisierung der Industrie. Für Europa seien es sogar 1,25 Billionen Euro. Die möglichen Einbußen durch ein Misslingen der digitalen Transformation beziffert Roland Berger auf bis zu 605 Milliarden Euro europaweit.

Digitalisierung in der Industrie
Autobauer, Einzelhandel und sogar Tagebau
Wir zeigen gelungene Beispiele für die digitale Transformation deutscher und internationaler Unternehmen.
Red Tomato Pizza Dubai
Wer in Dubai Hunger auf Pizza bekommt, dem gereicht ein Knopfdruck zum Italo-affinen Gourmet-Glück. Der Red Tomato-Lieferdienst bietet einen Kühlschrank-Magneten an, der über die Koppelung an ein Smartphone dafür sorgt, dass die Lieblingspizza ofenfrisch und frei Haus schnellstmöglich anrückt.
Hamburger Hafen
Der Hamburger Hafen ist Europas zweitgrößter Containerhafen. Um die Effizienz der begrenzten Verkehrswege zu verbessern und größere Gütermengen umschlagen zu können, hat die für das Hafenmanagement zuständige Hamburg Port Authority (HPA) zusammen mit der SAP und der Deutschen Telekom in einem Pilotprojekt die IT-Logistikplattform "Smart Port Logistics" aufgebaut. Die IT-Lösung soll die Unternehmen, Partner und Kunden des Hafens enger miteinander vernetzen.<br /><br />Durch ein IT-gestütztes Verkehrsmanagement will man LKW-Fahrern Echtzeit-Informationen zu Frachtaufträgen und zur Verkehrslage bereitstellen. Dadurch sollen Staus im Hafen und auf den Zufahrtswegen sowie Wartezeiten minimiert und der Warenfluss optimiert werden. Die IT-Logistikplattform ist mit mobilen Applikationen ausgestattet, über die Lkw-Fahrer Verkehrsinformationen und Dienstleistungen rund um den Hafen mithilfe mobiler Endgeräte wie Tablet-PCs oder Smartphones abrufen können.
Drive Now
In kaum einem Industriezweig vollzieht sich die Digitalisierung so vielschichtig wie im Automotive-Sektor. Einen besonderen Stellenwert nehmen dort seit einigen Jahren die "individuellen Mobilitätsleistungen" ein - besser bekannt unter dem Schlagwort Carsharing. Der Münchner Autobauer BMW hat gemeinsam mit seiner Tochter Mini und dem Autovermieter Sixt das DriveNow-Programm ins Leben gerufen. Gefunden und gebucht wird ein Fahrzeug in der Nähe per Smartphone-App, bezahlt wird per Kreditkarte.
SK Solutions
SK Solutions koordiniert mithilfe einer neuen Plattformlösung Kräne und andere Maschinen auf Baustellen. Eingebaute Sensoren sammeln Echtzeit-Daten für die Live-Analyse; Bewegung und Steuerung der Baustellenperipherie werden daraufhin automatisch angepasst, um Unfälle und Kollisionen zu verhindern, die sonst - möglicherweise auch erst in einer Woche - passieren würden.
Xbox Live
Disketten und Cartridges sind längst passé - nun wendet sich die Gaming-Industrie langsam aber sicher auch von der Disc ab. Wie Sonys PlayStation Network bietet auch der Xbox Live-Service inzwischen viel mehr als nur Multiplayer-Schlachten. Games- und Video-on-Demand-Dienste machen physische Datenträger nahezu überflüssig. Zahlreiche Apps wie Youtube, Netflix oder Skype verwandeln die aktuellen Spielkonsolen in Multimedia-Stationen.
Novartis & Google
Der Schweizer Novartis-Konzern gehört zu den wenigen großen Playern der Pharma-Industrie, die die Digitalisierung vorantreiben. Zu diesem Zweck haben sich die Eidgenossen die Lizenz gesichert, Googles Smart Lens-Technologie für medizinische Zwecke nutzen und vermarkten zu dürfen. Konkret arbeiten die Wissenschaftler derzeit an neuartigen Kontaktlinsen. Diese sollen sowohl Diabetikern als auch Menschen die auf eine Sehhilfe angewiesen sind, zu mehr Lebensqualität verhelfen. Das funktioniert mittels Sensoren und Mikrochip-Technologie sowie der Koppelung an ein smartes Endgerät. Zum einen soll die Kontaktlinse so in der Lage sein sollen, den Blutzuckerspiegel eines Menschen über die Augenflüssigkeit zu messen, zum anderen die natürliche Autofokus-Funktion des menschlichen Auges wiederherstellen.
Dundee Precious Metal
Die kanadische Minengesellschaft Dundee Precious Metal setzt unter Tage klassische Netztechnik wie WLAN oder 10-Gigabit-Glasfaser ein, um den Bergbau zu automatisieren und Edelmetalle effizienter zu fördern. Laut CIO Mark Gelsomini arbeitet das Unternehmen dank der neuen Technik nun 44 Prozent effizienter.<br /><br />Im ersten Schritt wurden klassische Kommunikations-Devices auf Voice over IP und Voice over WLAN umgestellt sowie neue Sensorsysteme verbaut. Fernziel ist, dass die Geräte unter Tage künftig ferngesteuert von der Oberfläche gesteuert werden, um so die Zahl der Bergleute, die einfahren müssen, zu reduzieren.
Axel Springer
Beim größten deutschen Medienhaus Axel Springer nimmt die Digitalisierung einen hohen Stellenwert ein. Im Jahr 2012 erwirtschaftete Springer mit den digitalen Medien erstmals mehr als mit seinen Print-Erzeugnissen. Doch nicht nur Paid-Content-Modelle wie "Bild Plus" sorgen für klingelnde Kassen - auch das Jobportal Stepstone.de, die Beteiligung an der Fitness-App Runtastic, die Etablierung des Reisemagazins travelbook.de, sowie zuletzt die Übernahme der Plattform Immowelt zeugen von dieser Entwicklung.
General Motors
General Motors hat eine eigene Software-Entwicklungsabteilung mit 8000 Developern aufgebaut und damit einen Outsourcing-Vertrag mit HP abgelöst, der den Konzern drei Milliarden Dollar im Jahr kostete. Der Autobauer entwickelt die Software-Lösungen für seine Autos und den internen Gebrauch nun komplett selbst, um besser auf Kundenwünsche eingehen zu können.
Deichmann
Wenn es um Schuhe geht, ist derzeit kein Unternehmen in Deutschland erfolgreicher als Deichmann. Das dürfte auch daran liegen, dass das Familien-Unternehmen als erster Schuhhändler Deutschlands einen Online-Shop installierte - im Jahr 2000. Inzwischen fährt Deichmann eine Omnichannel-Strategie und möchte den Online-Handel konsequent mit klassischen Einzelhandels-Geschäftsmodellen verknüpfen...
Deichmann
... Konkret sollen im Herbst die beiden Modelle "Ship2Home" und "Click&Collect" starten: Kunden sollen Schuhe, die im Laden nicht auf Lager sind, bequem nach Hause ordern können oder - andersherum - online in die Filiale. Social Networking, Blogging und Apps gehören ebenfalls zum Konzept von Deichmann. Dabei scheut man sich auch nicht davor, neuartige Konzepte zu testen. So bot das Unternehmen für einige Zeit auch virtuelle Schuhanproben an - die sich allerdings nicht durchsetzten.
Kreuzfahrtschiff "Quantum of the Seas"
Satelliten-Wifi auf Hochsee, Cocktails an der Bionic-Bar, digitaler Meerblick in der Innenkabine, bargeldloses Zahlen an Bord mit RFID-Armbändern und lückenloses Gepäck-Tracking: Die "Quantum of the Seas" von Royal Carribean kreuzt als schwimmendes High-Tech-Paradies in der Karibik und lässt keinen Geek-Wunsch offen.
Rewe
Die Frankfurter Allgemeine bescheinigt dem Lebensmittel-Konzern, es sei "wie kein anderes in seiner Branche dem Zeitgeist gnadenlos auf der Spur". Dabei ist die Rewe Group im Vergleich zum Konkurrenten Tengelmann erst recht spät auf den Digitalisierungszug aufgesprungen. Der erste Schritt war die Einführung von Online-Bestellungen, ...
Rewe
... inzwischen erlauben viele Rewe-Kassenterminals auch die Bezahlung per Smartphone. Überraschend hat sich das Unternehmen Anteile am Online-Möbelhändler Home24 gesichert. Warum? Rewes E-Commerc-Chef Lionel Sourque verrät: "Wir müssen von diesen Verrückten lernen, denn uns fehlt das Online-Gen in unserer Händler-DNA."
Commonwealth Bank of Australia
Die Commonwealth Bank of Australia ist das beste Beispiel dafür, dass es sich lohnt, beim Thema Digitalisierung Early Adopter zu sein. Im Jahr 2008 lief die digitale Umstrukturierung an - inzwischen hat das australische Finanzinstitut alle Privat- und Unternehmenskonten in ein einheitliches digitales System übertragen und ist dank neuer Strukturen laut den Management-Beratern von Bain&Company die Nummer 1 in Australien beim Online-Banking. In der Gunst der jungen Kunden liegt das nahezu vollständig digitalisierte Finanzinstitut ebenfalls an erster Stelle.

Digitale Reife wenig ausgeprägt

Eine Umfrage unter 300 Top-Managern der deutschen Wirtschaft habe ein Erkenntnis- und Durchdringungsproblem offenbart, wird in der Roland Berger-Studie ausgeführt. Nur gut die Hälfte der befragten Unternehmen habe sich intensiv mit dem Thema der digitalen Transformation beschäftigt. Lediglich ein Drittel der deutschen Unternehmen schätzt seine digitale Reife als hoch oder sehr hoch sein.

"Immerhin 62 Prozent der Unternehmen mit einer EBIT-Marge von über 15 Prozent bescheinigen sich eine hohe oder sehr hohe digitale Reife", heißt es in der Studie. Nach Branchen betrachtet, liegen Chemie, Logistik und Energie vorne. "Das Schlusslicht in Sachen digitaler Reife bilden - nach eigener Einschätzung - viele mittelgroße Unternehmen der Elektroindustrie sowie des Maschinen- und Anlagenbaus." Konkret bedeutet das, dass sich Firmen aus diesen Branchen als besonders anfällig für Störungen durch digitale Technologie betrachten.

Als "Durchdringungslücke" definiert Roland Berger die Differenz zwischen den Werten für die digitale Reife und der Relevanz für die eigene Branche. Mit 28 Prozentpunkten ist sie besonders ausgeprägt in der Energietechnik. Über 15 Prozentpunkten liegt sie außerdem in den Branchen Logistik, Automobil, Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Elektroindustrie.

Falsche Ziele und Schwerpunkte

"Viele Unternehmen scheinen im Hinblick auf ihre Anstrengungen zur digitalen Transformation falsche Schwerpunkte zu setzen", kommentieren die Studienautoren. "Anstatt verstärkt auf die Entwicklung neuer Produkte und Kundenschnittstellen zu setzen, sieht ein Großteil das primäre Ziel in der Effizienzsteigerung."

Europäische Unternehmen müssten ein tieferes Verständnis der digitalen Transformation entwickeln und neue, tragfähige Geschäftsmodelle erarbeiten, so die Berater. Sonst könnten branchenfremde Marktteilnehmer, die über eine hohe Digitalisierungskompetenz verfügen, sie aus lukrativen Teilen der Wertschöpfung verdrängen. "Ob vor einigen Jahren durch Amazon oder zuletzt Uber - diese Beispiele zeigen, wie radikal Marktumbrüche durch die digitale Transformation ausfallen können", sagt Schaible.

Auf dieses neue Wettbewerbsumfeld müssten sich Dienstleister und Industrie zügig einstellen. "Neue, unternehmensübergreifende Kooperationen sind hierfür nötig - durchaus auch mit Wettbewerbern, zum Beispiel bei der Pilotierung und beim Aufbau gemeinsamer digitaler Plattformen und Geschäftsmodelle", erläutert Schaible.

Automobil und Logistik spüren die Wucht

Die Digitalisierung trifft die verschiedenen Branchen der europäischen Industrie laut Roland Berger zeitversetzt und unterschiedlich intensiv. Die Branchen Automobil und Logistik seien schon jetzt mit großer Wucht betroffen. Bis 2015 gebe es hier ein Wertschöpfungspotenzial von 445 Milliarden Euro.

Der zweiten Digitalisierungswelle mit Maschinen- und Anlagenbau, Elektroindustrie sowie Medizintechnik schreiben die Berater ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 630 Milliarden Euro zu. 175 Milliarden sind es in einer dritten Welle für Chemieindustrie und Luftfahrttechnik.

3 Ratschläge von Roland Berger

Bei der Erhöhung der digitalen Reife in den Unternehmen geht es laut Studie vor allem um die Erschließung neuer Wertschöpfungspotenziale. "Dafür sollten sich die Unternehmen ein tieferes Verständnis für die digitale Thematik und ihre Marktfolgen aneignen", so Roland Berger. Für die Entwicklung eines digitalen Masterplans empfehlen die Berater ein dreistufiges Vorgehen:

1. Analyse des Einflusses digitaler Technologien auf die Industrie: Hierbei geht es um das Aufzeigen eintretender Veränderungen. Zu fragen ist etwa nach veränderten Wertschöpfungsketten und dem Entstehen neuer, skalierbarer Plattformen.

2. Abgleich mit aktueller Position des eigenen Unternehmens: Zu bestimmen sind Umsetzungs- und Kompetenzlücken. Es gilt unter anderem, vorhandene personelle Ressourcen und die organisatorische Verankerung der digitalen Geschäftsstrategie zu beleuchten.

3. Entwicklung einer Umsetzungslandkarte: Die Entwicklung einer Roadmap für die digitale Transformation geht einher mit einer Reihe von zu beantwortenden Fragen. Für welche Zukunftsszenarien müssen wir uns bereits heute Optionen sichern? Welche Fähigkeiten müssen wir aufbauen (Datenverarbeitung, Automatisierung, Vernetzung, Kundenschnittstelle)?

Mit welchen Marktteilnehmern sollten wir uns zusammenschließen (strategische Partnerschaften, "Coopetition")? Welche Plattformen/Standardisierungsprozesse müssen wir aktiv mitgestalten? An welchen Stellen sollten wir politischen Einfluss nehmen? Wie müssen wir unsere Cyber Security weiterentwickeln?

Die Unternehmensspitze sollte die digitale Reife des Unternehmens in den Mittelpunkt der Strategie rücken, rät Roland Berger. Digitalisierung sei Chefsache. "Die Techniker, selbst jene aus den IT-Abteilungen, müssen an die digitale Zukunft herangeführt werden", heißt es weiter in der Studie. "Sie sind vielfach für Instandhaltung und Verbesserung bestehender Systeme ausgebildet und eingesetzt und sollten die Chance erhalten, neue Wege zu entdecken."

5 Tipps von McKinsey

McKinsey hat - bei Beratern kaum überraschend - ebenfalls Tipps parat. In der Studie werden fünf Handlungsfelder identifiziert, auf denen Industrieunternehmen nach Einschätzung der Consultants aktiv werden sollten:

1. Daten besser nutzen: "Unternehmen sollten die komplette Wertschöpfungskette und den gesamten Lebenszyklus eines Produkts digital abbilden", so McKinsey. Bisher werde nur rund ein Prozent der in der Produktion anfallenden Daten genutzt - ein enormes Potenzial liege damit brach: "Softwaregestützte, präzise Wartungsvorhersagen können beispielsweise helfen, Maschinen besser zu nutzen - und so die Produktivität um bis zu 30 Prozent steigern. Insgesamt bietet Industrie 4.0 die Chance, systematisch alle Kostenpositionen auf den Prüfstand zu stellen."

2. Fähigkeiten aufbauen: Die Digitalisierung erfordere von den Mitarbeitern neue Fähigkeiten. Spezialisten, beispielsweise für die Analyse großer Datenmengen, seien aber rar gesät. "Firmen müssen sich jetzt darum kümmern, diese Mitarbeiter zu finden und an sich zu binden", empfiehlt McKinsey.

3. Zugang zum Kunden sichern: "Unternehmen müssen entscheiden, welche strategischen Schnittstellen sie kontrollieren müssen, um den Kontakt zum Kunden zu behalten und sich gegen neue Wettbewerber zu behaupten", lautet Ratschlag Nummer Drei.

4. Schneller werden: "Im IT-Sektor sind schnelle Updates und ständige Produktverbesserungen an der Tagesordnung", wissen die Berater. "Industrieunternehmen sollten im Sinne einer 'Two-speed IT' neben ihrer bestehenden IT-Struktur gezielt Möglichkeiten eröffnen, Schnelligkeit wie in Startups abzubilden."

5. Datensicherheit erhöhen: Die Abwehr von Cyberangriffen sei - zumal in einer komplett vernetzten Produktion - eine Aufgabe, die nicht in der IT-Abteilung allein gelöst werden kann, sondern auf die Vorstandsagenda gehört, so McKinsey.

Während sich diese Handlungsfelder klar in der Hand der einzelnen Firmen liegen, nimmt Roland Berger stark die Politik in die Pflicht - mit Unterstützung prominenter Top-Manager. "Europa ist in der Lage, als Systemarchitekt seine eigene sichere Backbone-Struktur zu schaffen", wird Infineon-Chef Reinhard Ploss in der Studie zitiert. "Jetzt geht es darum, branchenübergreifend und in enger Zusammenarbeit mit den Behörden EU-weite Standards und Gesetze voranzutreiben."

Den Investitionsbedarf für die digitale Transformation der deutschen Industrie veranschlagt Roland Berger mit 35 Milliarden Euro bis 2025. "Eine erhebliche Summe also, vergleichbar mit den Kosten für den bis 2018 geplanten flächendeckenden Breitbandausbau", heißt es in der Studie. "Aber doch zu stemmen, gegeben einen bestehenden Kapitalstock von rund 500 Milliarden Euro."