Gartner blickt in die Zukunft

10 disruptive Technologietrends für 2019

13.11.2018 von Wolfgang Herrmann
KI-gestützte Software-Entwicklung, selbstlernende Analytics-Tools und autonom agierende Systeme in offenen Smart Spaces: Gartner beschreibt zehn strategische Technologietrends für 2019, mit denen sich IT-Verantwortliche auseinandersetzen sollten.

Die digitale Transformation zwingt Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Wer im Wettbewerb die Nase vorn haben will, braucht eine Strategie, die dem ständigen Wandel Rechnung trägt. Gartner nennt sie "ContinuousNEXT" und meint damit einen kontinuierlichen Innovationsprozess, den Unternehmen einleiten müssten. Dabei helfen sollen die "Top 10 Strategic TechnologyTrends", die das Marktforschungs- und Beratungshaus für 2019 identifiziert hat.

Continuous Next: Unternehmen sollten einen kontinuierlichen Innovationsprozess einleiten, fordert Gartner. Dabei helfe es, die wichtigsten Technologietrends im Auge zu behalten.
Foto: patpitchaya - shutterstock.com

Ein strategischer Technologietrend zeichnet sich laut den Analysten vor allem durch sein disruptives Potenzial für die kommenden Jahre aus. Das schon länger von Gartner propagierte Thema "Digital Mesh" entwickele sich dabei zu einem Treiber, erläutert David Cearley, Vice President und Gartner Fellow: "So wird beispielsweisekünstliche Intelligenz(KI) in Form von automatisierten Dingen und erweiterter Intelligenz zusammen mit dem Internet der Dinge (IoT), Edge Computing und Digital Twins genutzt, um hoch integrierte Smart Spaces zu schaffen." Laut dem Experten führt insbesondere die Kombination unterschiedlicher Entwicklungstrends zu neuen Chancen und disruptiven Veränderungen.

Zu den zentralen Erkenntnissen der Trendanalyse gehören beispielsweise:

Wie Gartner die zehn wichtigsten Trends erklärt, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

Trend 1: Autonome Dinge

Autonome Dinge nutzen künstliche Intelligenz (KI), um Aufgaben zu übernehmen, die bisher von Menschen erledigt wurden. Ihr Automatisierungsgrad geht laut Gartner weiter über das Maß hinaus, das sich mit klassischen Programmiermethoden erreichen lässt. KI-Algorithmen erlauben es zudem, dass autonome Systeme natürlicher mit Menschen und generell mit ihren Umgebungen interagieren.

Autonome Dinge gibt es in vielen verschiedenen Ausprägungen, darunter Fahrzeuge, Roboter, Dronen oder auch intelligente Appliances und Agents. Gartner empfiehlt Entscheidern, die damit verbundenen technischen Entwicklungen zu verfolgen. Dabei helfen könne das hauseigene "Autonomous Things Framework" (siehe Grafik).

Unterschiedliche Ausprägungen von autonomen Dingen stellt Gartner in einem Framework dar.
Foto: 2018 Gartner

Mit der Weiterentwicklung autonomer Dinge erwartet Cearley künftig auch ganze Schwärme von intelligenten Systemen, die mit unterschiedlichsten Devices zusammenarbeiten. So könnte etwa eine Drone ein landwirtschaftliches Feld überwachen und bei Bedarf autonom arbeitende Ernte-Roboter losschicken.

Trend 2: Augmented Analytics

Mit Augmented Analytics meint Gartner im Grunde die Erweiterung klassischer Analytics- und Daten-Management-Aufgaben durch Machine-Learning-Techniken. Dazu gehört beispielsweise eine stärker automatisierte Datenaufbereitung hinsichtlich Qualität, Modellierung und Metadaten-Management. Auch die Datenintegration und die Verwaltung von Datenbanken und Data Lakes ließen sich damit zumindest teilweise automatisieren.

Weitere Vorteile ergeben sich in Bereichen wie Business Intelligence (BI). So könnten Anwender aus Fachabteilungen und "Citizen Data Scientists" automatisiert Erkenntnisse aus großen Datenmengen ziehen und diese visualisieren, ohne dafür Modelle oder Algorithmen entwickeln zu müssen. Abfragen an solche System ließen sich auch in natürlicher Sprache stellen; umgekehrt könnte ein "Augmented System" auch die Ergebnisse via Sprachausgabe präsentieren. Derart automatisierte Analysefunktionen werden nach Gartner-Prognosen zunehmend in klassische Business-Anwendungen wie HR-, Finanz- oder Sales-Systeme eingebettet.

Noch weiter geht die Automatisierung in den Bereichen Data Science und Machine Learning. So gibt es bereits Systeme, die automatisiert Machine-Learning-Modelle erstellen und verwalten können. Der Aufwand und die benötigten personellen Ressourcen und Fachkenntnisse sinken damit tendenziell.

Trend 3: KI-gestützte Softwareentwicklung

Der KI-Einsatz wird auch die klassische Softwareentwicklung verändern, erwartet Gartner. Bisher brauchten Entwickler oft einen Data Scientist, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Mit vordefinierte Modellen, die als Service ausgeliefert werden, könnten sie künftig weitgehend autark arbeiten. In der schönen neuen Servicewelt würden sie nach Vorstellung der Analysten auf ein ganzes Ökosystem aus KI-Algorithmen und -Modellen zurückgreifen. Hinzu kommen moderne Entwicklungs-Tools , die auf die Integration von KI-Features zugeschnitten sind. Im Softwareentwicklungsprozes selbst können weitere KI-gestützte Funktionen helfen, die beispielsweise das Testing neuer Anwendungen automatisieren.

Im Jahr 2022 werden mindestens 40 Prozent aller neuen Softwareentwicklungsprojekte von Teams gesteuert, die auch mit KI-Spezialisten besetzt sind, erwarten die Marktforscher. Cearly sieht angesichts solcher Fortschritte schon den "Citizen Application Developer" am Horizont. Ohne ausgeprägte Programmier- oder gar KI-Kenntnisse könne er künftig eigenständig neue Softwarelösungen für seine Anforderungen entwickeln. Die Idee, Anwendungen ohne klassische Codierung zu erstellen, sei zwar nicht grundsätzlich neu, so Cearly. Doch KI-gestützte Systeme ermöglichten ein höheres Maß an Flexibilität.

Lesen Sie dazu auch: Was Sie zum Thema KI wissen müssen

Trend 4: Digital Twins

Beim Digital Twin handelt es sich um ein digitales Pendant eines real existierenden Gegenstands oder Systems. Bis 2020 werden weltweit mehr als 20 Millionen Sensoren und Endpunkte vernetzt sein, prognostiziert Gartner. Damit würden auch mehrere Milliarden digitale Zwillinge entstehen. Die ersten Implementierungen seien noch relativ einfach gestrickt, so die Auguren. In Zukunft aber würden Unternehmen die Fähigkeiten der Digital Twins immer weiter verbessern, um beispielsweise Daten zu sammeln und zu visualisieren, hinterlegte Regeln anzuwenden und auf veränderte Anforderungen zu reagieren.

Digital Twin: Unternehmen werden künftig auch digitale Zwillinge ihrer eigenen Organisation entwickeln, prognostiziert Gartner.
Foto: metamorworks - shutterstock.com

Auch beim Thema Digital Twins sieht Gartner schon die nächste Evolutionsstufe kommen. Unternehmen würden künftig auch digitale Zwillinge ihrer eigenen Organisation entwickeln. Solche dynamischen Softwaremodelle könnten dabei helfen, Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten und Abläufe auf eine verbesserte Reaktionsfähigkeit zu trimmen.

Trend 5: Empowered Edge

Der Begriff Edge umfasst in diesem Kontext Endgeräte unterschiedlichster Art, die entweder von Menschen genutzt werden oder in die Umgebung eingebettet sind. Das sogenannte Edge Computing, teilweise auch als Fog Computing bezeichnet, beschreibt eine Topologie, in der die Datensammlung und -verarbeitung näher zu diesen Endpunkten wandert. Damit wird insbesondere der Netzwerk-Traffic zu zentralen IT- oder Cloud-Systemen verringert. Gartner betont, dass sich es dabei weniger um eine neue Architektur handele. Vielmehr würden sich klassische zentralisierte Cloud-Computing- und Edge-Computing-Ansätze künftig ergänzen.

Lesen Sie dazu auch: Läutet Fog Computing das Ende der Cloud ein?

Die Analysten rechnen damit, dass Edge Devices in den kommenden fünf Jahren immer leistungsfähiger werden. Dazu würden nicht nur neue Storage- und Compute-Komponenten beitragen, sondern auch spezialisierte KI-Chips, die die Einsatzmöglichkeiten erweitern. Die extreme Heterogenität der entstehenden IoT-Welten und die in der Regel langen Lebenszyklen von Industriesystemen machten die Verwaltung andererseits schwieriger. Verbesserungen seien aber mit ausgereiften 5G-Mobilfunksystemem zu erwarten. Insbesondere die Kommunikation der Edge Devices mit zentralen Servern werde dann robuster funktionieren.

Trend 6: Immersive Experience

Sogenannte Conversational Platforms verändern die Art und Weise, wie Menschen mit der digitalen Walt interagieren, beobachtet Gartner. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von Technologien wie Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR), die sich auf unsere Wahrnehmung digitaler Umgebungen auswirkt. Die Kombination aus veränderter Interaktion und Wahrnehmung führe zu einer umfassenden "Immersive User Experience".

"Die Entwicklung geht weg von individuellen Geräten und fragmentierten Benutzerschnittstellen", erklärt Cearley den sperrigen Begriff. Die Zukunft gehöre einer multimodalen Benutzerfahrung, die über unterschiedlichste Kanäle laufe. Menschen seien in diesem Szenario von hunderten Edge Devices umgeben, darunter klassische mobile Rechner, Wearables, Automobile oder auch Sensoren. Multikanalfähig werde die Interaktion zwischen Mensch und Technik, weil künftig alle menschlichen Sinne und Sensorfähigkeiten der Computer etwa für Hitze oder Feuchtigkeit einbezogen würden. Die Räume, die uns umgeben, definieren demnach künftig den Computer. Anders gedrückt: Unsere Umgebung wird selbst zum Computer.

Trend 7: Blockchain

Blockchain-Technologien haben das Potenzial, ganze Branchen zu verändern, urteilen die Gartner-Experten. Das auch unter dem Begriff Distributed Ledger gehandelte Konzept, das digitale Transaktionen in Peer-to-Peer-Netzwerken unter Ausschluss von Intermediären erlaubt, berge eine ganze Reihe von Vorteilen. Beispielsweise könnten Unternehmen damit komplexe Transaktionen effizienter, sicherer und zu geringeren Kosten abwickeln.

Lesen Sie dazu auch:

Blockchain as a Service - das bieten die wichtigsten Player

Pilotprojekte gibt es mittlerweile auch in Deutschland reichlich, im Produktivbetrieb hat sich aber bislang kaum eine Blockchain-Implementierung bewährt. "Aktuelle Blockchain-Technologien und -Konzepte sind unausgereift, schlecht verstanden und in größeren geschäftskritischen Umgebungen noch unerprobt", kommentiert Cearley. Doch trotz vieler ungelöster Probleme sollten IT-Entscheider das disruptive Potenzial im Auge behalten und schon jetzt anfangen, die Technik zu evaluieren, selbst wenn sie in den nächsten Jahren noch keinen praktischen Einsatz planen.

Trend 8: Smart Spaces

Gartner definiert Smart Spaces als physische oder digitale Umgebungen, in denen Menschen und technikgestützte Systeme interagieren. Die so entstehenden Ökosysteme seien zunehmend vernetzt, koordiniert, offen und intelligent. Zugeschnitten auf bestimmte Einsatzszenarien oder Zielgruppen ermöglichten sie ein höheres Niveau an Automatisierung und Interaktion.

Schon seit einiger Zeit entständen derartige Smart Spaces etwa in Verbindung mit Smart-City-Konzepten, Digital Workplaces, Smart Homes und vernetzten Fabriken, erläutern die Analysten. Sie erwarten, dass der Markt für robuste Smart Spaces in den kommenden Jahren an Fahrt aufnimmt und Technologien in unterschiedlichsten Formen Bestandteile unseres täglichen Lebens werden.

Trend 9: Digitale Ethik und Privatsphäre

Die Themen Privatsphäre und digitale Ethik gewinnen 2019 weiter an Bedeutung, prognostiziert Gartner. Das betreffe Einzelpersonen ebenso wie Unternehmen und Behörden. Vor allem die Art und Weise, wie private und öffentliche Organisationen persönliche Daten nutzten, bereite vielen Sorgen.

"Jede Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz sollte im größeren Kontext einer digitalen Ethik geführt werden", rät Cearley. Im Kern gehe es um das Vertrauen von Kunden, Mitarbeitern und Partnern. Dazu reiche es nicht, Datenschutz und Datensicherheit im eigenen Unternehmen zu gewährleisten. Entscheider sollten nicht nur fragen: "Sind wir compliant?" sondern auch: "Tun wir das Richtige?"

Trend 10: Quantencomputer

Im Unterschied zu klassischen digitalen Rechnern arbeiten Quantencomputer auf Basis quantenmechanischer Zustände. Sie können damit zumindest theoretisch rechenintensive Aufgaben besser oder schneller lösen als herkömmliche Computer. Einsatzmöglichkeiten finden sich in vielen Feldern, insbesondere in der Automobil- sowie der Finanz- und Versicherungsbranche. Großes Potenzial sehen die Protagonisten auch in den Bereichen Forschung, Militär und Pharmazie. So lasse sich etwa ein Krebsmedikament mithilfe von Quanten Computing erheblich schneller zur Marktreife entwickeln.

"CIOs und IT-Entscheider sollten sich schon heute mit Quantencomputern und den kommerziellen Einsatzmöglichkeiten beschäftigen", empfiehlt Gartner-Mann Cearley. Sie dürften allerdings nicht davon ausgehen, dass die Technik schon in wenigen Jahren zu revolutionären Veränderungen führen werde. Die meisten Organisationen würden noch bis mindestens 2022 brauchen, bis sie die erste Lernphase abgeschlossen haben. Mit nennenswerten Einsätzen in der Praxis sei frühestens 2023 zu rechnen.