Das Aachener Familienunternehmen Zentis ist wahrscheinlich jedem von uns aufgrund seiner süßen Frühstücksbrotaufstriche wie Nusspli, Original Aachener Pflümli oder der Frühstückskonfitüre bekannt. Doch dabei produziert das 1893 gegründete Unternehmen, das weltweit mit etwa 2.000 Mitarbeitern aktiv ist, mehr als nur Brotaufstriche. So stellen die Aachener neben ihren bekannten Marken auch Fruchtzubereitungen sowohl für die Milchwirtschaft als auch für den Non-Dairy-Bereich - also etwa für die Back- und Süßwarenindustrie - her. Außerdem werden Süßwaren wie Marzipan, Schokoladen- und Cerealien-Spezialitäten für den Handel und die Industrie gefertigt.
Schwierige Auftragserfassung
Entsprechend vielfältig sieht im Haus Zentis die Auftragserfassung und -abwicklung aus, wobei zwischen zwei Bereichen zu unterscheiden ist: Dem B2C-Segment, bei dem es sich primär um süße Brotaufstriche und Süßwaren handelt, sowie dem B2B-Geschäft, in dem vor allem Fruchtzubereitungen als Großgebinde abgewickelt werden. Angesichts der unterschiedlichen Gebindegrößen, ihrer unterschiedlichen Stückelungen - mal Verpackungseinheiten, mal Kilogramm - und länderspezifischen Produktbezeichnungen gestaltet sich der Bestelleingang bei Zentis entsprechend komplex.
Zwar hatte es Zentis bereits vor längerem geschafft, das Fax aus dem Bereich Bestelleingang zu verbannen, doch dafür haben die Mitarbeiter nun mit einem anderen Phänomen zu kämpfen: Viele Aufträge werden als E-Mail mit angehängtem PDF eingereicht. Deshalb können sie nicht automatisch im SAP-System weiterverarbeitet werden. Erschwerend kommt hinzu, das Zentis unterschiedliche Bestellformulare hat und die Kunden teilweise noch alte Formulare verwenden.
Viele Fehlerquellen
Dies hat zu Folge, dass die Aufträge manuell neu für das System erfasst werden müssen, was eine zusätzliche Fehlerquelle darstellt. Zudem ist zu prüfen, ob die Kunden die richtigen Produktbezeichnungen und Bestellmengen - etwa Kilogramm - angegeben haben. Unter dem Strich mussten bei Zentis letztlich noch 60 Prozent der Aufträge manuell nachbearbeitet werden. Ein Prozess, der zeitaufwändig und ressourcenfressend war.
Phillip König, Abteilungsleiter IT bei Zentis GmbH & Co. KG, stand deshalb vor der Frage, wie er den Automatisierungsgrad erhöhen und den manuellen Aufwand reduzieren kann. Auch bei der Geschäftsleitung stieß die Idee, mit einer stärkeren Automatisierung Zeit zu sparen und Fehlerquellen zu reduzieren auf positive Resonanz. Gut vernetzt in der Lebensmittelbranche, unterstützte die Geschäftsführung die IT bei der Lösungssuche mit Best-Practices-Beispielen aus anderen Unternehmen.
Projektaufwand gescheut
Die Idee, das Produkt eines anderen Anbieters, den man bereits zur automatischen Rechnungsverarbeitung nutzte, zu verwenden, verwarf man bei Zentis schnell wieder. "Denn das wäre eine eigenständige Lösung gewesen und hätte einen entsprechenden Projektaufwand mit den damit verbundenen Kosten bedeutet", erklärt König.
Mit Blick auf den Aufwand fielen auch schnell andere Lösungen aus dem Rennen, die KI als ein Baukastensystem offerieren. Zum einen erschien die Anpassung an den eigenen Use Case als zu komplex, zum anderen hätte die so entstandene Lösung noch in die vorhandenen Prozesse eingebunden werden müssen. "Letztlich ist die Welt zu komplex, um alles selber zu bauen", unterstreicht König.
Cloud statt großem Projekt
Deshalb entschlossen sich die Verantwortlichen bei Zentis, sich einmal die KI-Lösung des Berliner Startups Workist anzuschauen, mit der bereits ein anderes Unternehmen aus der Lebensmittelbranche positive Erfahrungen gesammelt hatte. Zumal das Startup damit warb, PDFs, strukturierte E-Mails oder Excel-Dateien automatisiert zu erfassen und per EDI-Anbindung für Warenwirtschaftssysteme etc. zur Verfügung zu stellen. Damit bot Workist zumindest auf dem Papier genau die Funktionalität, die Zentis suchte.
Und noch ein anderer Aspekt sprach dafür, es einmal mit Workist zu versuchen. Da die PDFs mit den Aufträgen nur einfach in die Workist-Cloud weitergeleitet und dort von der KI bearbeitet werden, bevor sie per EDI zurückgespielt werden, schien der Implementierungsaufwand sehr überschaubar.
Große Investments vermeiden
Unter dem Strich sprachen neben der Funktionalität der faktisch nicht vorhanden Implementierungsaufwand sowie die nicht anfallenden Projektkosten dafür, es einmal mit der KI aus der Cloud zu versuchen. "Zumal das Risiko für uns gegen Null ging, denn wir hatten weder ein großes IT-Projekt zu stemmen, noch ein großes Investment zu tätigen", lässt IT-Manager König den damaligen Entscheidungsprozess Revue passieren. Und im Falle eines Misserfolges hätte man schnell den Vertrag kündigen und eine neue Lösung suchen können.
Die Anbindung von Zentis an die Workist-Cloud dauerte dann einige Tage, wie sich Tim Wegner, Mitbegründer und Geschäftsführer von Workist, erinnert. Zeitaufwändiger war dann das eigentliche Training der KI, denn sie musste erst einmal die Besonderheiten in den Zentis-Aufträgen lernen: Etwa, dass die Artikelnummern eine höhere Priorität haben als die Artikelbezeichnungen, oder den Unterschied zwischen Mengenangaben oder Stückzahlen. Von den Schwierigkeiten, Mengenangaben korrekt zu erkennen, wenn mal kg der Zahl vor- oder nachgestellt sind, mal ganz abgesehen.
Versuch mit KI-Startup
Die erste Trainingsphase dauerte dann etwa zwei Monate. In einem ersten Schritt wurde die Workist-KI "WorKI" anhand von rund 100 Zentis-Auftragsdokumenten trainiert. Dabei ging es darum, das System für die Besonderheiten der Zentis-Aufträge fit zu machen, also dass es in der Lage ist, Bestellnummern etc. zu erkennen. "Bei unserer KI handelt es sich um eine generalistische KI, die grundsätzlich in der Lage ist, alle Arten von Bestellungen automatisiert zu verarbeiten", erklärt Workist-Gründer Wegner, "doch wir haben mit Baustoffherstellern angefangen, so dass das Know-how der KI in diesem Bereich natürlich größer war".
Gemeinsam im Team "lehrten" Zentis- und Workist-Mitarbeiter der KI dann während der zweimonatigen Trainingsphase die Besonderheiten und den Fachjargon der Lebensmittelbranche. Dies sollte sie in Lage versetzen, Aufträge möglichst schnell in standardisierte EDI-Formate umzusetzen. Um ein möglichst stringentes Feedback geben zu können, benannte Zentis zudem zwei Key User, die die Erfahrungen aus dem Team sammelten und gebündelt an Workist weitergaben.
Die Trainingsphase
Nach Abschluss der Trainingsphase konnte die KI rund 60 Prozent der Dokumente automatisch verarbeiten. Ein Wert, der sich im laufenden Betrieb dann noch weiter steigern ließ. Zuletzt, so heißt es bei Zentis, konnten etwa 80 Prozent der Dokumente automatisiert bearbeitet werden. Betrachtet man die Erkennungsrate der einzelnen Felder, die die KI zu erfassen hat, so liegt die Rate hier bei über 90 Prozent, erklärt Wegner.
Zudem heißt eine Erkennungsrate von 80 Prozent nicht automatisch, dass die anderen 20 Prozent von der KI falsch erfasst werden, ergänzt IT-Manager König. Zumal unter den 20 Prozent auch die Dokumente subsummiert sind, bei denen sich die KI schlicht unsicher ist.
Arbeitsteilung
Solche Dokumente werden dann einem Zentis-Mitarbeiter vorgelegt, der schnell erkennt, um was für einen Artikel es sich handelt und ob eventuell die Artikelnummer falsch geschrieben ist. Auch wenn Workist ein eigenes Team an Data Cognition Specialists hat, findet der Prozess bei Zentis statt.
"Diese haben schlicht das spezifische Domänen-Fachwissen im Gegensatz zu uns", begründet Workist-Gründer Wegner die Arbeitsteilung. Die sich daraus ergebenden Änderungen an der KI erfolgen dann wiederum bei Workist direkt.
Agilität ist Trumpf
Gerade diese Agilität in der Zusammenarbeit mit dem jungen Startup schätzt auch König, "denn so können wir schneller agieren und sind schlagkräftiger". Diese Flexibilität ist denn auch der Hauptgrund, warum man bei Zentis geneigt ist, künftig immer mehr Richtung Cloud zu gehen. "Das häufig vorgebrachte Pro-Cloud-Argument der Skalierung ist bei uns nicht so entscheidend, denn schließlich sind wir kein Großkonzern", unterstreicht der IT-Manager.
Grundsätzlich ist König mit den gemachten Erfahrungen zufrieden und lobt rückblickend noch einmal den Onboarding-Prozess, "denn die Implementierung und Anbindung an EDI war eine Arbeit von ein paar Tagen". Zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen ist bereits ein Rollout in den USA geplant, um dort englischsprachige Aufträge automatisiert zu verarbeiten. Als nächste Herausforderung steht dann die KI-Einführung in Polen auf dem Plan.