Das zurückliegende Jahr verlief ausgesprochen bescheiden für die deutschen Kunden des Software-Konzerns SAP - vielen machte die Wirtschaftskrise einen Strich durch die Bilanz, und auch ihre IT-Budgets sind unter Druck geraten. Letzteres von ungewohnter Seite, denn im Juli war ihr Hoflieferant mit dem Ansinnen an sie herangetreten, die Wartungsgebühren sukzessive von 17 auf 22 Prozent zu erhöhen. Fünf Prozentpunkte mehr sind immerhin ein Anstieg um knapp 30 Prozent, wenn auch über vier Jahre. "Wir fragen uns allerdings, ob es noch weitere Schritte geben könnte", sagt Erwin Pignitter, CIO der Münchner MTU Aero Engines GmbH und Freund klarer Worte. Den Brief von SAP-Chef Léo Apotheker an die Kunden betrachtet er als "Startschuss dafür, über Alternativen nachdenken zu müssen".
SAP wird zum Luxus
Auch Monate nach der angekündigten Preissteigerung hat sich der Unmut unter den SAP-Kunden nicht gelegt, im Gegenteil. Zwar behauptet der Lieferant gebetsmühlenartig, die Anwender würden den Vorteil des künftig vorgeschriebenen Enterprise Supports zu schätzen wissen und die Änderungskündigungen unterschreiben. Die Realität außerhalb Walldorfs sieht jedoch anders aus. "Können wir uns SAP auf lange Sicht noch leisten?", fragt sich nicht nur Clemens Keil, CIO der Knorr-Bremse AG. Der Manager zieht nach den turbulenten Monaten eine wenig schmeichelhafte Zwischenbilanz seiner jüngsten Erfahrungen mit dem Software-Haus: "Unsere Kunden behandeln uns in der Regel freundlicher als dieser Lieferant."
"Dieser Lieferant" und sein Geschäftsgebaren standen im Mittelpunkt eines "CIO"-Roundtables Ende November in München. Das Fazit fiel differenziert, aber letztlich unmissverständlich aus: "Ich empfinde es als Vertrauensbruch einer guten Partnerschaft, die über Jahrzehnte geherrscht hat", resümiert Thomas Ochs, CIO der Firma Villeroy & Boch. "Wir fühlen uns nicht mehr als Partner behandelt", berichtet Wolfgang Heizmann, CIO der Tognum AG. Und Fred Schmidt von Epcos - bislang durchaus zufrieden mit seinem SAP-Support - fühlt sich "hintergangen", denn "mit der Erhöhung des Grundpreises für die Wartung wird vieles wieder kaputt gemacht, was wir in den vergangenen Jahren an Kostensenkungen erreicht haben."
Akut bedroht ist vor allem das über Jahre gewachsene und beiderseitig gepflegte Verhältnis von SAP zu seinen Kunden auf dem Heimatmarkt: die Partnerschaft, für Villeroy-CIO Ochs schon "fast eine Symbiose" und Grundlage der einstigen Erfolge des Software-Herstellers. Der Manager sieht eine primäre Herausforderung darin, die IT- sowie die SAP-Standardisierung im eigenen Konzern entsprechend positionieren zu können. "Wozu brauche ich dafür einen Partner, auf den ich mich nicht mehr verlassen kann und der mir das Leben noch schwerer macht?" Auch Tognum-CIO Heizmann "vermisst die strategische Rückendeckung durch SAP", etwa in Fragen der Architektur, wie sie vor Jahrzehnten von IBM geleistet worden war. In strategischen Projekten, so Heizmann, "holen wir zunehmend SAP-Partner mit ins Boot, die häufig viel kompetenter sind als die SAP selbst."
Das Dilemma der meisten Anwender: "Wir sind mit weltweit einem ERP-System komplett auf das Funktionieren von SAP angewiesen - da gibt es zurzeit kein Entkommen", konzediert Epcos-CIO Schmidt. Die Governance und das Risiko-Management der Anwender führten dazu, dass SAP hier seine marktbeherrschende Stellung ausnutzen könne, folgert Schmidt. Doch der von SAP angestrebte Enterprise Support ist nicht die Lösung, sondern ein weiteres Problem: "Man sollte annehmen, dass die Leistungen des neuen Angebots auch wirklich belastbar sind", so Villeroy-Manager Ochs. Schließlich kosten sie deutlich mehr Geld.
Das Urteil des langjährigen SAP-Anwenders und die Einschätzung des SAP-Marketings decken sich indes nicht einmal in Ansätzen: "Die Qualität der Support-Abteilungen in Indien oder China ist so schwach, dass man um eine eigene Organisation gar nicht herumkommt, wenn man für den reibungslosen Betrieb der Systeme verantwortlich ist." Mit der Folge für Ochs: "Ich muss etwas kaufen, von dem ich genau weiß, dass es nicht funktioniert."
MTU-CIO Pignitter stößt ins gleiche Horn. Seiner Einschätzung nach entspreche das Support-Produkt von SAP "nicht dem Niveau, das in diesem Angebot besschrieben wird". Pignitter stört sich auch am Solution Manager und der Verpflichtung, die IT-Topologie des Unternehmens offenzulegen - ganz zu schweigen von kaum belastbaren Service Level Agreements, einem zu hoch angesetzten Kostensparpotenzial und nicht einforderbaren Lösungsszeiten sowie der Tatsache, dass das "Angebot" der SAP mittels Änderungskündigung faktisch nicht abgelehnt werden kann. Ochs hält den Solution Manager für die Unterstützung von Tests, Projekten und die SAP-Einführung für "eher dürftig".
CIO Keil von Knorr-Bremse ist im Gegensatz dazu mit dem Solution Manager "gut unterwegs" und begrüßt prinzipiell das neue Angebot von SAP, da es dem Unternehmen Vorteile beim Umstieg von Release 4.7 bringt. Allerdings sei dieser Schritt frühestens 2010 geplant, was für den CIO zu einer "absurden" Anforderung führt. Hätte SAP auf die Einführung des Enterprise Support bestanden - wie bis zur Pressekonferenz am 9. Dezember hartnäckig gefordert - so hätte Keil seinen Zeitplan vergessen können: "Das ist so, als würden wir einen SAP-Berater mit speziellem Know-how im Jahr 2010 brauchen und schon ab 2009 buchen müssen."
Enterprise Support von SAP vorgeschrieben
Epcos-Manager Schmidt wiederum steckt in einer anderen Zwickmühle. Er hat derzeit MaxAttention als Standard-Support gebucht, "eine wirklich gute Hilfe in Notfällen". Nur leider versuche SAP, das Zusatzpaket
vom Markt zu nehmen und den Enterprise Support vorzuschreiben, weshalb Schmidt gezwungen ist, künftig Standardservices ohne den bisherigen Luxus eines direkten Ansprechpartners zu beziehen. "Ich muss also
künftig mehr Geld zahlen, bekomme aber einen schlechteren Service." Die Entwicklung bezeichnet er als "keinesfalls hinnehmbar".
Demgegenüber behauptet der Software-Konzern, allein durch den Solution Manager würden sich erhebliche Betriebskosten einsparen lassen. "Die Argumentation stößt uns sauer auf", sagt Tognum-CIO Heizmann, und er folgert: "Auf Firmen unserer Größe scheint SAP derzeit offensichtlich keinen Wert mehr zu legen." Bislang hat noch keiner der fünf CIOs die Änderungskündigung unterschrieben geschweige denn zur Post gebracht.
Ganz brechen will indes keiner der IT-Verantwortlichen mit seinem langjährigen Lieferanten, dazu sind das Produkt zu wichtig und die Abhängigkeit zu groß. Dennoch suchen die Anwender nach einer Alternative. Knorr-Manager Keil trägt sich bereits mit einem neuen Projekt - Codename SAP: "Suche andere Programme". In der Tat zeichnet sich erstmals seit Jahren eine kleine Trendwende in Richtung Best of Breed ab, wenn auch weniger im ERP-Kern. "Die absolute Abhängigkeit von SAP gilt nicht für alle Bereiche", stellt Heizmann fest.
Oracle oder SAP?
So hat Epcos-Manager Schmidt vor Kurzem festgelegt, vorerst keine weiteren SAP-Produkte hinzuzukaufen.
Stattdessen setze der Konzern verstärkt etwa auf Oracle, um sich breiter aufzustellen und "weniger abhängig" zu sein. "Wir müssen auch anderen Anbietern eine Chance geben, um SAP nicht weiter in seiner dominanten Position zu stärken", fordert der CIO. Bei Epcos in Asien sei SAP ohnehin kein gesetzter Standard mehr. Heizmann von Tognum wählte beim Finanz-Reporting eine Software vom Wettbewerber, "obwohl bei unserer reinrassigen SAP-Landschaft die SAP-Software naheliegender gewesen wäre". Auch Ochs nutzt beim Reporting sowie im PLM-Bereich alternative Programme.
CIO Keil von Knorr-Bremse hat nach der Consulting-Preiserhöhung zu Beginn des Jahres die Sofortmaßnahme "Keine SAP-Berater von SAP" aufgesetzt und zudem neue SAP-Projekte gestoppt. "Bei CRM haben wir uns nicht für SAP entschieden, sondern für ein anderes Produkt", berichtet Keil. Das derzeitige Verhältnis zu den Walldorfern gleiche einer "Eiszeit". Er wolle nicht länger zuschauen, wie die SAP-Kosten zunehmend seinen Budgets "die Luft abdrücken und keinen Raum mehr für Zukunftsprojekte lassen".
SAP-Kunden suchen nach Alternativen
SAP kommt die Entwicklung ungelegen, denn in einem ohnehin wirtschaftlich schwierigen Umfeld steht nun das Abschlussquartal an, in dem ein Großteil der Einnahmen verbucht wird. Realistische Alternativen zur Wartung durch SAP sieht Knorr-CIO Keil heute zwar noch nicht, "aber wir sollten dem Markt ein Signal geben, dass eine Nachfrage nach anderen Anbietern vorhanden ist". Auch Villeroy-CIO Ochs will "diese Offenheit" gegenüber Beratern und Dienstleistern ansprechen und seine Bereitschaft demonstrieren, mehr Risiko bei Wartung und Support einzugehen. Mit der "sinnvollen Strategie einer integrierten Gesamtlösung für einen Konzern haben wir uns in eine Position manövriert, in der wir auch mit einem scheinbar vertrauensvollen Partner erpressbar geworden sind", räumt der Manager ein.
"Da die Kosten-Nutzen Rechnung durch die Steigerung der Wartungskosten bei vielen Projekten mit SAP-Produkten nicht mehr aufgeht, werden wir wie viele andere kurz- und mittelfristig andere Lösungen in Betracht ziehen müssen", sagt Pignitter von MTU.
Denkt man dieses Szenario weiter, kommt Neuland in Sicht: Applikationen und ihre Funktionen auszudünnen wäre für Villeroy-CIO Thomas Ochs eine "denkbare Alternative". Oder abschalten. In diesem
Fall wäre der SAP-Konzernkunde Nummer 19 allerdings kein Referenzanwender mehr, sondern einer der ersten Referenzabwender.