Mit dem Microsoft Certified Systems Engineer, besser bekannt unter der Abkürzung MCSE, ebneten sich Ende der 90er Jahre viele Einsteiger den Weg in die IT. Auch Zertifizierungen anderer Hersteller wie Cisco oder Novell erfreuten sich großer Beliebtheit bei Bewerbern wie Firmen. Schließlich waren sie ein Beleg dafür, dass die Kandidaten fundierte Kenntnisse über das jeweilige Produkt erworben hatten - oder gut auswendig lernen konnten. Damals finanzierte das Arbeitsamt großzügig viele diese Kurse.
Nur Nebenrolle für Quereinsteiger
Doch in den vergangenen zwölf Jahren durchlief der IT-Arbeitsmarkt etliche Höhen und Tiefen. Seit 2004 finanzieren die Arbeitsagenturen weniger IT-Kurse. Mit einem neu gestalteten IT-Ausbildungsprogramm und zahlreichen Weiterbildungsangeboten verloren IT-Zertifizierungen in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung. Heute sind sie eine unter mehreren Möglichkeiten für Bewerber, ihr technisches Fachwissen zu belegen. Freiberufler nutzen sie als Nachweis ihres Wissens gegenüber Kunden, Serviceunternehmen werben mit den Zertifizierungen ihrer Mitarbeiter, und für viele Vertragspartner von großen Herstellern wie Microsoft, Cisco oder Oracle werden Zertifizierungen eingefordert.
Einer der Gründe für die große Popularität eines Zertifikats wie des MCSE waren auch die Quereinsteiger in der IT-Branche. Wer mit einem geisteswissenschaftlichem Studium vor zwölf Jahren den Sprung in die IT schaffen wollte, paukte mehrere Wochen lang das erforderliche Wissen und schloss den Kurs mit mehreren Prüfungen ab. Doch Quereinsteiger spielen in der IT heute nur noch eine Nebenrolle. Wie der Branchenverband Bitkom in einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie herausgearbeitet hat, beschäftigen lediglich 17 Prozent der befragten Firmen Quereinsteiger. Die Unternehmen gehen davon aus, dass die Bedeutung fachfremder Einsteiger weiter abnehmen wird.
"Quereinsteiger spielen in der IT-Branche inzwischen eine Nebenrolle. Durch das vielfältige Ausbildungs- und Studienprogramm gibt es mehr Fachkräfte mit einer IT-spezifischen Erstqualifikation", sagt Stephan Pfisterer vom Branchenverband Bitkom in Berlin. "Wir beobachten eine Professionalisierung am Arbeitsmarkt. Heute haben wir mehr Hochschulabsolventen mit einem Informatikstudium, die kein zusätzliches Zertifikat brauchen, um ihre Qualifikation nachzuweisen", bilanziert der Bitkom-Mann. "Für Freiberufler sind Zertifizierungen oft ein wichtiges Qualitätsmerkmal, um sich für eine Aufgabe zu empfehlen." Außerdem erwirbt nicht jeder, der eine herstellerbezogene Schulung besucht, auch ein Zertifikat.
Mittlerweile gibt es eine große Auswahl an IT-Aus- und Weiterbildungskursen. Immer neue Technologien verlangen von IT-Mitarbeitern, dass sie sich ihr ganzes Berufsleben lang immer neue Fähigkeiten antrainieren. Dieses Wissen können sich Interessierte auf vielfältige Weise aneignen, etwa mit einem elektronisch verfügbaren Selbstlernprogramm am eigenen PC, einer Kombination von E-Learning-Lektionen und Präsenzkursen oder mit einem Intensivtraining mit eigenem Lehrer.
Auch die Arbeitsagentur fördert wieder mehr IT-Weiterbildungen. "In den vergangenen zwölf Monaten gab es einen Zuwachs bei der Teilnehmerzahl in den von der Arbeitsagentur geförderten Weiterbildungen", beobachtet Jürgen Nilgen, Area Sales Lead von Microsoft Learning in Köln.
Microsofts Bestseller MCSE eingestellt
Viele Hersteller haben ihre Zertifizierungsprogramme und Prüfungen überarbeitet. Microsofts ehemaliger Bestseller MCSE wurde eingestellt. "Wir haben unser Qualifizierungsprogramm neu strukturiert", erläutert Nilgen. "Neben dem Einsteigerzertifikat MTA (Microsoft Technology Associate) haben wir für IT-Professionals acht weitere Zertifizierungsprogramme initiiert, aus denen sie auswählen können und die aufeinander aufbauen."
Für Entwickler gibt es vier Zertifizierungsniveaus sowie weitere, auf die Office-Produkte zugeschnittenen Kurse. "Besonders beliebt ist der MCTS (Microsoft Certified Technology Specialist) sowie der MCITP (Microsoft Certified IT Professional, der etwa dem Wissensstand des MCSE entspricht. Auch für die bei Anwendern beliebten Office-Produkte existieren Zertifikate", so der Microsoft-Mann.
Verlässliche Zahlen über Zertifizierungen und Weiterbildungen für Deutschland sind nicht vorhanden. Microsoft spricht von zwei Millionen weltweit "aktiv Zertifizierten", also Personen, die über ein Zertifikat verfügen, das sich auf eine heute aktuelle Technologie des Softwareriesen bezieht.
Kursgebühren von 15.000 Euro
Neben den Kursgebühren, die je nach Anbieter, Kurs und Lernmethode bis zu 15.000 Euro betragen können, schlagen die reinen Zertifizierungsgebühren pro Microsoft-Examen mit rund 140 Euro zu Buche, für die Office-Produkte beträgt die Gebühr zwischen 40 und 50 Euro. Allerdings hat jedes produktbezogene Zertifikat nur eine begrenzte Halbwertszeit. Spätestens wenn nach einigen Jahren eine neue Version oder eine komplette Nachfolgesoftware auf den Markt kommt, verliert das alte Papier seine Bedeutung. "Häufig tragen die Arbeitgeber Kurs- und Zertifizierungskosten, und die Mitarbeiter bringen dafür ihre Freizeit ein", so die Beobachtung von Nilgen. Dass IT-Trainings wichtig für den erfolgreichen Abschluss eines Projekts sind, davon sind 80 Prozent der IT-Manager überzeugt, die für eine IDC-Studie befragt wurden.
Doch auch in der beruflichen Bildung, etwa innerhalb einer IT-Ausbildung an Berufsschulen, gewinnen Zertifizierungen an Bedeutung. "Manchmal finanziert der Arbeitgeber die Zertifizierung, manche Schüler zahlen aber auch selbst, weil sie sich damit bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausrechnen", kommentiert der Microsoft-Bildungexperte Nilgen.
"Zertifizierungen sind selbstverständlich geworden", sagt Holger Dyroff, Vice President Business Development Suse Linux Enterprise in Nürnberg. Für Mitarbeiter in Vertrieb und Technik in Partnerunternehmen sind zum Beispiel Zertifizierungen für Novell-Produkte Pflicht. Das Unternehmen bietet drei Niveaus an, die vom Administrator über den Professional bis zum Engineer reichen.
Auch der Netzwerkausstatter Cisco verfügt über ein mehrstufiges Qualifizierungs- und Zertifizierungssystem. Alleine für das "Networking Academy Program", das sich an Berufseinsteiger richtet, sind in Deutschland 33.000 aktiv Lernende registriert. "Allerdings legen nur rund 15 Prozent der Teilnehmer auch die Prüfung ab und erwerben die Zertifizierung", sagt Carsten Johnson, Academy-Manager von Cisco. Das Lernprogramm verknüpft Online-Inhalte, Unterrichtsmaterialien und Arbeiten im Praxislabor. Vermutlich scheuen manche den Weg in ein unabhängiges Testcenter, wo der Test abgelegt werden muss. Die Gebühren von rund 90 Euro pro Prüfung stellen nach Meinung von Johnson nur eine kleine Hürde dar.
Holger Dyroff von Suse Linux erhält viele Anfragen von Universitäten aus dem Mittleren Osten sowie den Schwellenländern, die ihren Studenten ergänzend zum Studium eine Zertifizierung für die Suse-Linux-Technologien anbieten möchten: "In Deutschland ist das Interesse der Universitäten nicht so groß." Hierzulande scheinen die Studenten einen größeren Nachholbedarf in anderen Fertigkeiten zu haben, wie Bitkom-Mann Pfisterer meint: "Zertifikate bleiben nach wie vor wichtig. Aber momentan bilden sich deutlich mehr IT-Fachkräfte im Projekt-Management weiter oder qualifizieren sich. Diese Themen kommen an vielen Hochschulen zu kurz."
Knüppeltour
Der Chef sollte ein Vorbild sein. Das würden viele Führungskräfte sofort unterschreiben, aber manchmal kann es anstrengend sein, danach zu handeln. Astrid Fey leitet das IT-Referat des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn.
"Wir propagieren lebenslanges Lernen und müssen das auch selbst vorleben", ist sie überzeugt. Für die IT-Leiterin war es zum Beispiel selbstverständlich, das Cisco-Zertifikat CCNA (Cisco Certified Network Associate) selbst zu erwerben, schließlich sollen auch die IT-Auszubildenden des Instituts die anstrengenden Prüfungen ablegen: insgesamt zehn Tage Schulung auf Englisch und eine schwierige Prüfung mit verklausulierten Formulierungen.
Fey musste sich reinknien, damit hatte sie aber schon Erfahrung: Vor drei Jahren schloss die promovierte Politikwissenschaftlerin ihr nebenberufliches Master-Studium in Informatik an der Fernuniversität Hagen ab. Durch ihr geisteswissenschaftliches Erststudium hat sie gelernt, aus einem Skript das Wichtigste herauszuziehen, ohne es ganz lesen zu müssen.
Dennoch bezeichnet sie das nebenberufliche Studium als "Knüppeltour", bei der es nicht ausblieb, dass sie ihre Urlaube mit dem Lösen der Einsendeaufgaben und dem Lernen auf Klausuren verbrachte.
Zwei wichtige Vorteile hat ihr das Master-Studium gebracht: zum einen die akademische, theoretisch fundierte Grundlage ihres IT-Wissens, die ihr wichtig war in einer IT-Welt, in der es schon mehr als genug selbst ernannte Experten gibt. Zum anderen das tiefe Verständnis für Mitarbeiter, die sich selbst weiterqualifizieren wollen. Da sie die Höhen und Tiefen einer nebenberuflichen Weiterbildung aus eigener Erfahrung kennt, kann sie nun fortbildungswillige Mitarbeiter viel besser unterstützen. (Computerwoche)