Bei einer Diskussionsrunde im IDG Medienhaus zum Thema "KI und Automation" ist deutlich geworden, in welch unterschiedlichen Feldern Künstliche Intelligenz heute angewendet wird, um Prozesse zu beschleunigen - aber auch, woran es hierzulande noch hapert.
Zu den von den anwesenden Experten genannten Beispielen für die Anwendung künstlicher Intelligenz für die Automation zählen Kundenservice, IT-Security und Fraud Detection. Für Tobias Mirwald, Geschäftsführer bei Adito Software, ist KI zum Beispiel im CRM-Umfeld ein großes Thema. Sie diene sowohl der besseren Unterstützung des Vertriebs als auch dem Kundenservice durch Chatbots und automatisierte E-Mails. Der Security-Anbieter ESET, vertreten durch Head of Communication Thorsten Urbanski, setzt Machine Learning schon sehr lange ein, um Malware zu erkennen.
Kristina Appelt, Manager Systems Engineering bei Cisco, weiß noch zu gut, wie Mitarbeiter früher oft Tage oder Wochen in das Troubleshooting von Netzwerkproblemen investierten. Mittlerweile habe man eine "ganz andere Sichtbarkeit, um solche Probleme schnell zu identifizieren und sogar Probleme zu lösen, bevor diese auftreten". Und Bernhard Mandutz, Manager der Business Unit valuemation bei der USU GmbH, einem Spezialisten für Enterprise Service Management, ergänzt: "Bei Serviceprozessen wird KI in Zukunft die zentrale Rolle spielen, egal ob es um Automatisierung, Predictive Maintenance oder Chatbots geht."
Fraud Detection: "Menge der bekannten Betrugsfälle sehr gering"
Einen spannenden Fall der Betrugserkennung in einem Finanzinstitut schildert Santiago Cabrera-Naranjo, Consulting Director bei Teradata. Das Problem: "Obwohl es historische Daten gab, standen nicht alle in Echtzeit zur Verfügung und die Menge der bekannten Betrugsfälle war sehr gering. Genauer gesagt lag diese Beziehung bei 1 zu 120.000.
Das bedeutete, dass die Anzahl von verdächtigen Transaktionen bei einer Vorhersage viel zu hoch war." Als Resultat ließ die Bank täglich bis zu zweitausend Transaktionen wegen Betrugsverdacht manuell überprüfen. Mittels maschinellem Lernen konnte sein Unternehmen diese Zahl stark reduzieren und mittels neuronaler Ansätze insgesamt um 60 Prozent senken und die Erkennung von tatsächlichen Betrug um 50 Prozent optimieren.
KI ist kein Selbstzweck
Um intern das Vertrauen der Fachbereiche zu gewinnen, sei es wichtig gewesen, dass es sich bei den angewandten Technologien nicht um eine Blackbox handelte. Die Argumentation nach dem Motto "Je genauer ein Algorithmus ist, desto weniger lässt er sich erklären" lässt Cabrera-Naranjo nicht gelten: "Wenn man jemandem die Kreditkarte sperrt, muss man auch hinterher sagen können, warum." Und zwar, ohne einen Data-Scientist zu kontaktieren.
Einigkeit bestand in der Runde darüber, dass KI kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel zur Automation, Prozessoptimierung und Ertragssteigerung. Es gebe einen Hype und es würden Missverständnisse bestehen, die schon jetzt teilweise zu sinnlosen Einsatzszenarien führen. Auf Dauer könnte das enttäuschte Erwartungen nach sich ziehen. Das Ziel sollten immer eine höherer Effizienz und verbesserte Prozesse bleiben und eben nicht der KI-Einsatz aus Prinzip.
Schnelle Entscheidungen statt Excel-Weitwurf
In vielen Fällen sei dann bei genauer Betrachtung nicht "KI pur", sondern eine Mischung von regelbasierten Mechanismen, Robotic Process Automation (RPA) und KI der beste Weg. Stefan Gössel, Managing Partner beim IT-Dienstleister Reply, meint: "Die Prozesse sind aus unserer Sicht oft nicht so kompliziert, wie sie den Unternehmen vorkommen. Sonst könnte das ein Sachbearbeiter ja auch nicht erledigen." Alexander Hartmann, Mitglied des Vorstands bei SYSback, einem Service-Provider für Holistische Automation, nennt eine Zu- oder Absage für ein Leasing als Beispiel: Dies sei eine Entscheidung, die auf klaren Regeln basiere, aber ohne Automatisierung dennoch oft Wochen benötige.
Oft würden heute noch innerhalb eines solchen Entscheidungsprozesses Dateien hin- und hergeschickt. Im Finanzbereich sei es ein Schock für traditionelle Player, dass junge Start-ups durch Automatisierung innerhalb kürzester Zeit verbindliche Zu- oder Absagen auf Anfragen geben können. Während Regeln in manchen Bereichen weiterhin gute Dienste leisten würden, sei KI spätestens bei der Bearbeitung unstrukturierter Daten unverzichtbar.
Datensilos und mangelnde Qualität
Die größte Herausforderung in vielen KI-Projekten ist offenkundig die geringe Qualität der vorgefundenen Daten: In vielen Unternehmen müsse man erst einmal die Datenbasis in den Griff bekommen. Mirwald: "An die Daten kommt man oft schwer ran, weil sie in Silos liegen. Erst muss man vernetzt denken, bevor man mit KI die Daten nutzen kann." Doch damit ist es noch nicht getan: Cabrera-Naranjo gibt zu bedenken: "80 Prozent der Arbeit eines Data Scientists ist Data Cleansing."
Und Sven Munk, Partner Technical Sales Lead bei Informatica, dem Anbieter von Enterprise Cloud Data Management Lösungen, nennt einige wichtige Fragen, die man sich stellen müsse: "Welche Daten gehen überhaupt in den KI-Prozess ein? Sind diese Daten relevant? Liegen diese in aktueller Form vor? Liegen sie in ausreichender Qualität vor? Darf ich sie nutzen?"
Gleichzeitig gelte es, sich als Unternehmen in der Entwicklung auch nicht blockieren zu lassen, um auf perfekte Voraussetzungen zu warten. Vielmehr solle man einen realistischen Mittelweg einschlagen und sinnvolle Projekte für die vorhandene Datenbasis identifizieren. Wenn man sich damit abfinden müsse, dass man die Datenqualität für einen Prozess nicht auf das ersehnte Niveau heben könne, ist das menschliche Erfahrungswissen in den Prozess einzubinden ("Human in the loop").
Fachkräftemangel treibt KI-Projekte an
Wo finden KI-basierte Angebote am meisten Gehör und mit wem im Anwenderunternehmen diskutieren die Dienstleister ihren Nutzen? Laut den Diskussionsteilnehmern finden sich offene Ohren für KI-basierte Automation im Top-Management, vor allem beim CFO. Nicht die IT-Abteilung, sondern das Management sei der interne Treiber. Oft gebe es einen bestimmten "Pain Point", bei dem aus Management-Sicht sofort klar sei, dass man mit herkömmlichen Ansätzen nicht weit komme. Ein Knackpunkt ist oft das fehlende Personal, wie Gössel anhand eines Mergers im Pharmabereich erzählt.
In dem Fall habe das aufgekaufte Unternehmen dem Käufer 30.000 elektronische Dokumente übergeben. Dem Management habe sich die Frage gestellt, wie diese nun zu klassifizieren seien. Gössel: "Mal ganz abgesehen von Kosten und Zeitverlust: Ich bekomme ja keine Fachkräfte mehr für diese manuellen Tätigkeiten." Und Hartmann ergänzt mit Blick auf die DSGVO, dass ohne KI und ein Masterdatamanagement kein größeres Unternehmen innerhalb von sieben Tagen herausfinden könnte, welche Daten einer Person es in welchen Applikationen gespeichert habe.
Ebenfalls eine große Offenheit für KI bestehe grundsätzlich in Marketing-Abteilungen. Die Marketingbranche hat bereits Erfahrungswerte mit Big-Data-Analysen. Zudem akzeptiert die Branche Unschärfe oft besser, denn schon der Marketing-Pionier John Wanamaker habe gesagt: "Die Hälfte meiner Marketingausgaben ist Verschwendung. Das Problem ist, ich weiß nicht, welche Hälfte." Im Marketing gebe es zudem hochkomplexe Prozesse, unstrukturierte Daten und schon immer die Herausforderung, dass Ursache und Wirkung nicht eindeutig einander zuzuordnen seien.
Automation? "Wir haben keine Zeit!"
Trotz des Interesses auf Management-Ebene und im Marketing bleibe das Potenzial von KI in Deutschland im europäischen Vergleich noch weitgehend ungenutzt. Ein Hemmschuh seien Datenschutz und Sicherheitsbedenken. Entsprechend überzeugt zeigt sich Urbanski von ESET, dass IT-Security ein entscheidender Enabler ist, wenn es um den zukünftigen Einsatz von KI-Systemen und die Digitalisierung im Unternehmensumfeld geht: "Intelligente Systeme rücken immer stärker in den Fokus von Cyber-Angreifern. Daher wird deren Einsatz ohne umfassende und ebenfalls intelligente IT-Security kaum möglich sein."
Derzeit sei jedenfalls - gemessen an der exzellenten akademischen Qualität in Deutschland - die "kommerzielle Adoption von KI innerhalb von Europa am geringsten", so Cabrera-Naranjo. Und der Grund sei manchmal auch banal. Hartmann: "Mit Automation kann man unglaublich viel Personal freischaufeln. Aber die Projekte werden oft auf die lange Bank geschoben und das Argument ist: Wir haben keine Zeit." Es brauche noch viel Mut, Vertrauen und Veränderungsbereitschaft.
Lesen Sie hier auch die Ergebnisse des zweiten Roundtables des Tages: "KI ist oft die Ausrede dafür, kein konzept zu haben"
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