Vier große weiße Roboterarme schweben über dem Operationstisch. Von der Patientin ist nur ein kleines Stückchen Haut zu sehen unter den grünen Tüchern. Große Lampen strahlen helles Licht in den sterilen Raum. Wo ist der Chirurg? Der sitzt an einer Konsole, entspannt und seelenruhig.
Ein Computerspiel? Nein, modernste Medizin. "Da Vinci" nennt sich das roboterassistierte Chirurgie-System, durch das der Operateur die Instrumente des Roboters steuert, millimetergenau und in Echtzeit. An der Konsole verfolgt der Chirurg den Eingriff über ein vergrößertes 3D-Bild, feine Strukturen wie Nerven und Gefäße sieht er bis zu zehnmal größer.
"Wir waren die ersten, die da Vinci auch in der Gynäkologie einsetzten", sagt Michael Forsting, "das geschah zuvor nur in der Urologie." Forsting ist Professor für Radiologie und Neuroradiologie an der Universitätsklinik Essen - und einer von zwei IT-Entscheidern dort. Seit Februar 2016 bildet er mit dem Physiker Armin de Greiff eine Doppelspitze als Medizinische und Technische Direktoren des ZIT (zentrale IT).
De Greiff arbeitet schon seit rund zehn Jahren für die IT des Klinikums. Das Tandem aus Technik und Medizin steckt sein Ziel hoch: "Wir wollen die Erkenntnis umsetzen, dass ein Krankenhaus nur durch intelligente Lösungen besser werden kann", wie Forsting sagt. Dabei denkt er aber nicht nur an spektakuläre OP-Roboter.
Den beiden IT-Direktoren geht es darum, mittels künstlicher Intelligenz Abläufe schneller und sicherer zu machen. Forschung und Arbeitsalltag in Essen kreisen um Krebs, Organtransplantation und Herz-Kreislauf. Hier soll die Informationstechnologie heilen helfen. "Studien zeigen, dass Lungenerkrankungen künftig eine der weltweit am stärksten verbreiteten Krankheiten sein werden", berichtet Forsting.
Die IT-Chefs erwarten nun, dass intelligente diagnostische Systeme Lungenbefunde zumindest vorsortieren können. Das gilt auch für die Interpretation weiterer Labordaten. Forsting und de Greiff wollen schon im April verstärkt auf solche medizinischen Software-Lösungen setzen und fangen bei Lungenerkrankungen damit an, "Mensch gegen Maschine arbeiten zu lassen".
Das heißt konkret: Gemeinsam mit einem Industriepartner untersucht ein sechsköpfiges Projektteam an der Uniklinik Essen die Tauglichkeit von Künstlicher Intelligenz in der Diagnostik. Ärzte treten gegen ein lernfähiges Softwareprogramm an, das selbständig Bilder analysiert und Schlussfolgerungen daraus ableitet (KI-System). Beide Teilnehmer - Arzt wie Maschine - sollen Lungenerkrankungen erkennen. Anhand von Röntgenaufnahmen treffen Arzt und Maschine ihre Diagnose zunächst unabhängig voneinander. Anschließend entscheidet der Arzt in Kenntnis des KI-Befundes.
Dieses Projekt soll herausfinden, ob Ärzte auf Basis des KI-Befundes besser diagnostizieren als ohne solche Unterstützung. Die Klinik stellt die Ergebnisse der Studie auf dem amerikanischen Röntgenkongress im Dezember 2016 vor.
Die Skills für solche Projekte haben de Greiff und Forsting im IT-affinen Haus. Die Ruhrpötter haben nicht nur beim Einsatz von da Vinci die Nase vorn. Sie arbeiten auch schon seit dem Jahr 2000 mit PACS, einem Bilddatenarchivierungs- und Kommunikationssystem für medizinische Zwecke. De Greiff verantwortet außerdem das Radiologie-Informationssystem RIS.
Doch auf Dauer werden die jetzigen Ressourcen für die digitale Transformation nicht reichen, sagt de Greiff. Der IT-erfahrene Physiker versteht sich als der Techniker im Tandem: Während Mediziner Forsting strategische Aufgaben übernimmt, die fachlichen Anforderungen einbringt und den Kontakt zum Vorstand hält, sieht De Greiff die Personalführung bei sich. Etwa 70 Kolleginnen und Kollegen arbeiten in der zentralen IT-Abteilung, meist Fachinformatiker, Anwendungsentwickler, Systemadministratoren. Dezentral beschäftigen einzelne Institute des Klinikums jeweils etwa zwei bis drei Informatiker, die vor Ort individuelle Lösungen entwickeln.
"Unser Team ist bisher nicht sehr akademisch"
"Unser Team ist bisher nicht sehr akademisch", resümiert de Greiff. In den OPs mögen High-Tech-Roboter radikale Prostatektomien durchführen, aber die häufigste Nachricht an die IT-Abteilung lautet noch immer, dass es der Drucker nicht tut. De Greiff will ab jetzt verstärkt Spezialisten für die IT in einer modernen Hochleistungsklinik ausbilden und entwickeln. Er stellt klar: "Wir bilden keine Leute mehr aus, die in erster Linie PCs reparieren werden."
Auch am Universitätsklinikum Essen gestaltet sich die IT bimodal. "Erst einmal muss das Abrechnungssystem funktionieren", erkennen beide IT-Entscheider an. Konkrete Projekte für das laufende Jahr kreisen denn auch um die Erweiterung auf ein drittes Rechenzentrum und die Windows 10-Migration. "Das Tagesgeschäft vollständig im Griff zu behalten, ist in einem Krankenhaus eine Illusion", weiß de Greiff, "da gibt es immer irgendwelche Baustellen."
Ebenso aber geht es um die Elektronische Patientenakte. Die wollen viele Kliniken, eine weltweite Organisation namens HIMSS (Health Information Management System Society) hat zum besseren Vergleich eine siebenstufige Skala vorgelegt, die jedes Krankenhaus auf dem Weg in die Digitalisierung verortet. Das UK Essen befindet sich bereits zwischen den Stufen fünf und sechs, 2018 soll die siebte Stufe erreicht sein. Das kann in Deutschland bisher nur die Universitätsklinik in Hamburg-Eppendorf für sich beanspruchen.
Arztbrief in Minuten erstellen
De Greiff und Forsting wissen, dass Digitalisierungsprojekte wie eben die Elektronische Patientenakte nicht gegen die Beschäftigten durchgesetzt werden können. Hier nützt Forsting sein eigener Berufsweg als Mediziner. "Wenn die Kollegen sehen, dass sie für das Erstellen des Arztbriefes nicht mehr Tage brauchen, sondern nur noch Minuten, merken sie selbst, welchen Vorteil sie haben", sagt er.
Als Radiologe bringt Forsting Technologie-Verständnis mit. Das teilt er mit dem Ärztlichen Direktor der Essener Universitätsmedizin, Professor Jochen A. Werner. Im Herbst 2015 erst kam Werner ins Haus und hob bei seinem Antritt Innovationen wie das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen hervor. Nachdem der langjährige IT-Leiter die Klinik verlassen hatte und interimsmäßig ein Unternehmensberater einsprang, setzte Werner im Februar 2016 die jetzige Doppelspitze aus Mediziner und Techniker ein. Direkt an ihn berichten die beiden Direktoren auch.
Marketing zählt zu Forstings Aufgaben
Forsting und de Greiff sind sich einig: "In der Kommunikations- und Informationstechnologie wurde die Kommunikation zu lange vernachlässigt." Und das gilt nicht nur für IT-Mitarbeiter und medizinische Kollegen, sondern auch für die Welt außerhalb des Krankenhauses. Forsting arbeitet eng mit dem Marketing zusammen. Wie finden Patienten das für sie richtige Krankenhaus? Über Facebook? Wie kommunizieren Ärzte miteinander? Wie Patienten? Wie kann sich die Uniklinik Essen dabei positionieren? Solche Fragen berühren sein Aufgabengebiet.
Dass die IT mit der Medizin und weiteren Gebieten so stark zusammenwächst und ein Arzt dann auch mal als IT-Chef fungiert, ist für Forsting und de Greiff schlicht eine Generationenfrage. IT-Entscheider seien heutzutage eben nicht mehr zwingend Informatiker. Wobei de Greiff anfügt: "Wir werden weiterhin Nerds brauchen."