Es ist wie verhext. Am 17. November gab es dieses schöne Bild mit dem damaligen Innenminister Thomas de Maizière in Lüneburg. Verkündet wurde: „Seit gestern sind über 9.000 Quadratkilometer der Region Lüneburg mit dem Digitalfunk BOS versorgt: der Teilnetzabschnitt wurde am 17. November 2010 in den erweiterten Probebetrieb übernommen.“ Auf dem dazugehörigen Foto sah man den Bundesinnenminister am digitalen Funkgerät.
Doch jetzt ist die bundesweite Ausbreitung des Digitalfunks für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), das für Großveranstaltungen und für tägliche Routineeinsätze dringend gebraucht wird, mal wieder ins Stocken geraten. Seit über 20 Jahren wird am Kommunikationssystem schon diskutiert und gewerkelt, zuletzt sollte es zur Fußball-WM 2006 in Deutschland so weit sein.
Geklappt hat es bis heute nicht flächendeckend. Zuständig für die Einführung ist die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). Jetzt gibt es laut Presseberichten einen neuen Rückschlag in Bayern und Hamburg. Das „Hamburger Abendblatt“ meldet, dass Mitte April die drei Polizeireviere im Süden Hamburgs Harburg, Neugraben und Wilhelmsburg digital funken sollten. Das hatte zumindest die Innenbehörde stolz gemeldet.
Doch nachdem diese Wachen sowie die drei Kommissariate der Wasserschutzpolizei auf die neue Technik umgeschaltet worden waren, war es auch schon wieder vorbei. Überschrift des Artikels: „Neuer Digitalfunk der Polizei ist wegen Panne wieder abgeschaltet.“
Der Donaukurier schreibt Ähnliches: „Nicht einsatztauglich“. Zitiert wird dort eine Sprecherin von Diginet, der zuständigen Projektgruppe im bayerischen Innenministerium: „Wir haben auf Herz und Nieren geprüft“, sagt diese dort.
Aussetzer der Priorität 1 legten das System lahm
Bis Mitte Februar sei das System bei sämtlichen Einsätzen unter Volllast genutzt worden. Doch inzwischen funkt man in Bayern lieber wieder analog. Der Grund: Aussetzer der „Priorität 1“. Die Endgeräte seien ständig zwischen einzelnen Funkzellen hin- und hergesprungen, immer wieder seien Gespräche unterbrochen worden. Fazit der Zeitung: Eine Generalüberholung sei nötig. Vermutung: Schuld sein könnte die unausgereifte Systemtechnik des Unternehmens Cassidian, eine Tochter des EADS-Konzerns aus Unterschleißheim.
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet wiederum in dem Artikel „Im Funkloch“ über einen Streit zwischen Bayern, der Berliner Bundesanstalt und den beauftragten Firmen darüber, wer für die aufgetretenen Fehler haften soll. Geredet werde über Nachzahlungen und das mangelhafte Projektmanagement der Bundesanstalt.
So heißt in dem Artikel weiter: „Die Sprachqualität war im Digitalnetz so schlecht, dass sich die Beamten nicht verstanden. Auch hätten sich die Geräte in falsche Funkzellen eingewählt.“ Versäumt worden sei offenbar, vorab zu prüfen, ob die vielen Einzelkomponenten auch tatsächlich zusammen spielten. „Der Freistaat Bayern ist Kunde. Wir bestehen auf einwandfreie Qualität“, sagte Innenstaatssekretär Gerhard Eck aus Bayern laut SZ. „Wir erwarten, dass die Fehler so schnell wie möglich behoben werden“, verlangte er. Weder Bundesanstalt noch Cassidian wollten aber eine Stellungnahme abgeben, hieß es.
Nun müssen die Beamten wohl weiter mit ihren privaten Handys telefonieren, wenn sie vermeiden wollen, dass sie von Scanner-Empfängern problemlos abgehört werden. Polizeireporter machen davon regen Gebrauch - und sind manchmal noch vor den Beamten am Einsatzort.
Große Probleme gibt es auch bei einem anderen Public IT-Projekt, diese Mal für deutsche Studenten. Beim alten Verfahren, wo die Unis ihre Plätze dezentral vergeben, gab es immer ein großes Gedränge auf attraktive Studienfächer, aber am Ende blieben trotzdem viele freie Plätze über.
Chaos und Anarchie herrschen bei der Studienplatzvergabe
Viele Studenten bewarben sich wegen der besseren Chancen mehrfach. Einige sagten auch nicht ab. Die Hochschulen mussten immer ihre Frist abwarten, bis sie definitiv wussten, wer zugesagt hatte. Es begannen aufwendige Nachrückverfahren. Dann war es oft zu spät für die Bewerber. Resultat: In diesem Jahr blieben laut KMK fast 17.000 Studienplätze in Numerus-Clausus-Fächern unbesetzt. Eigentlich herrschen Chaos und Anarchie bei der der Verteilung des knappen und wichtigen Gutes Bildung.
Am 15. Mai sollte nun eigentlich alles besser werden und das von T-Systems zusammen mit dem Tochterunternehmen T-Systems Multimedia Solutions und der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) entwickelte Zulassungssystem für Studenten in Deutschland fertig sein: hochschulstart.de. Betreut wurde es von der „Stiftung für Hochschulzulassung“ (SfH), dem Nachfolger der altbekannten Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS).
Laut dem Hochschulmagazin "duz" arbeiteten bei T-Systems rund 70 Leute an dem Projekt, dazu kamen Experten der HIS. Auf Auftraggeberseite leiteten das Projekt Experten der Stiftung für Hochschulzulassung, das Projektcontrolling sollte das das Bundesministerium für Bildung und Forschung durchführen.
Das neue IT-System sollte zum Wintersemester 2011/12 erstmals ein „onlinebasiertes dialogorientiertes Verfahren“ zur Vermittlung von örtlich zulassungsbeschränkten Fächern werden. Das Pflichtenheft schrieb das Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik FIRST, für Projektentwicklung und Implementierung spendierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Anschubfinanzierung von 15 Millionen Euro.
Das Abbilden der vielen unterschiedlichen Zulassungsbedingungen der einzelnen Hochschulen habe sich als „erheblich komplexer herausgestellt, als zunächst angenommen“, wird SfH-Pressesprecher Bernhard Scheer zitiert. Dazu kamen offenbar Probleme mit den Schnittstellen zu den Systemen der beteiligten 170 Universitäten, die nicht mehr rechtzeitig fertiggestellt beziehungsweise nicht mehr ausreichend getestet werden konnten. „Die Verantwortlichen haben die Komplexität des Projektes einfach unterschätzt“, sagt ein Insider der „Welt“.
"Qualität geht vor Schnelligkeit", heißt es nun
Am 12. April wird es schließlich zugegeben: „Qualität geht vor Schnelligkeit“, heißt es da kleinlaut in einer Pressemitteilung der Stiftung. Der Start des dialogorientierten Serviceverfahrens werde verschoben. Der Satz mit den Gründen ist ein sehr langer. Hier ist er:
„Der anspruchsvolle Zeitplan des Projekts mit lediglich zwölf Monaten für Konzeption, Entwicklung, Test und Inbetriebnahme hätte nur unter der Bedingung gehalten werden können, wenn im Projektverlauf keine größeren Probleme aufgetreten wären. Es sind jedoch Probleme und Verzögerungen in Teilprojekten aufgetreten, die dazu geführt haben, dass – obwohl die technischen Voraussetzungen zum April 2011 im Wesentlichen geschaffen werden konnten – eine rechtzeitige und stabile Anbindung der Hochschulen für das Wintersemester 2011/12 nicht mehr als realisierbar angesehen wird.“
Jetzt warten die Öffentlichkeit - und vor allem die Studenten - mit Spannung auf den angekündigten neuen „Aktionsplan“ des Stiftungsrates. Hier soll dann stehen, wie es denn nun weiter gehen soll. Bis zum (Neu-)Start der Zulassungsplattform wird weiter gewurschtelt werden müssen.
Für das Wintersemester 2011/2012 werden jetzt wieder die vorhandenen Zulassungsverfahren der Hochschulen angewandt. Und das heißt: Die Studienplatzbörse der Hochschulrektorenkonferenz wird erneut zum Einsatz kommen. Sie gibt den Studieninteressierten - immerhin - tagesaktuelle Hinweise auf noch freie Studienplätze.
Quelle: CIO.de