Es waren einmal zwei Zwerge im ERP-Wald, die klagten über ihre Kleinwüchsigkeit. Da schlug der eine dem anderen vor: "Ich schenke dir 1,8 Milliarden Dollar, wenn ich mich auf deine Schultern stellen darf." "Au, prima", freute sich der zweite Zwerg, "dann sind wir doppelt so groß und können den Riesen erschrecken." Seit letzter Woche Freitag trollt jetzt das Zwergenpaar Peoplesoft und J.D. Edwards als zweitgrößter Anbieter von Firmensoftware durch den Wald. Und siehe da: Es sind immer noch Zwerge.
Ein Prozent Marktanteil und noch ein Prozent Marktanteil sind halt nur zwei Prozent Marktanteil - also immer noch wenig. Die Geschichte von den zwei Zwergen hätte in den letzten Wochen auch nur halb so viele Zuhörer gefunden, wenn nicht Rumpelstilzchen hinter den beiden her wäre. Oracle-Chef Larry Ellison jagt mit 7,3 Milliarden Dollar die Peoplesoft- Aktionäre, um ihnen 19,50 Dollar pro Aktie zuzubieten. Bislang laufen die Wertpapier-Besitzer trotzdem davon. Die guten Geschäftszahlen von Peoplesoft machen Ellison das Leben schwer. Die Zwergenjagd eignet sich also prima, um das Sommerloch der Tageszeitungen zu stopfen.
Das ist schön, denn ansonsten tut sich seit geraumer Zeit wenig im ERP-Wald. Hänsel (Navision) und Gretel (Great Plains) hocken seit einem, beziehungsweise drei Jahren bei einer alten Dame im Käfig und werden und werden nicht fetter. Das einst so sehr geliebte Kind Baan schickt die böse Stiefmutter durch den Wald, sich ein neues Zuhause zu suchen. Ansonsten leben im ERP-Wald nur Kriechtiere und Schlingpflanzen - einmalige Kreaturen, die sich selbst ernannte Zauberer zu ihrer Huldigung erschufen.
Und dann wäre da noch der Riese Rübezahl: Mit mehr als 50 Prozent Marktanteil herrscht SAP unumstritten über den Wald. So lobt die Riesen-Postille "Manager Magazin" denn auch Rübezahl als prima positioniert und freudig beklatscht. Minutenlang habe das Publikum dem Vorstandsvorsitzenden auf der Sapphire in Orlando applaudiert, steht in der August-Ausgabe. Henning Kagermann habe erstmals locker, selbstbewusst und gut gekämmt begeistert. Dem muss widersprochen werden. Der Autor dieser Kolumne war auch vor Ort, konnte höchstens 30 Sekunden Klatschen vernehmen und muss dem - tatsächlich nicht mehr ganz so verschüchtert wie früher wirkenden - Kagermann attestieren: An Hasso Plattner kann er im Scheinwerferlicht niemals heranreichen. Wenn Kagermann das englische "th" weiterhin so feucht ausspricht, wird er noch einmal auf der Bühne ausrutschen.
Abgesehen davon steckt im besagten Artikel auch ein echter Fehler: Nicht nur, dass die neuen Quartalszahlen von SAP dem Grundtenor des Artikels widersprechen - 13 Prozent Einbruch bei den Lizenzeinnahmen gegenüber dem Vorjahrsquartal - , auch die Aussage, SAP müsse die Mittelstandsoffensive von Microsoft nicht fürchten, stimmt so nicht. Microsoft strebt mit Hänsel und Gretel genau in den Bereich, den SAP auch als den großen Wachstumsmarkt für sich entdeckt hat.
Mit der SAP-Lösung "Business One" wollen die Walldorfer ebenfalls kleine und mittelständische Unternehmen überzeugen. Als Referenzkunde muss zur Zeit ein vierköpfiges Start-Up-Unternehmen aus Baden-Württemberg herhalten. Es wäre ein vermeldenswerter Aufstand, wenn sich derartige Firmen in Zukunft weder für SAP noch für Microsoft entscheiden würden.
Horst Ellermann