Mitte August 2009 vollzog sich ein Durchbruch im Bereich Green IT – der "Null-Watt-PC" von Fujitsu kam in den Handel. "Null Watt" bedeutet in diesem Fall: wenn der Rechner ausgeschaltet ist. Das klingt zwar ähnlich banal wie das Auto, das ausgeschaltet kein Benzin verbraucht, doch für die Branche der Stromfresser war dies bereits ein kleiner Paradigmenwechsel. Den grünen Hype hat die Meldung nicht reanimiert, und auch bei den Gartners dieser Welt hat das Thema die besten Zeiten vorerst hinter sich: In ihrem aktuellen Hype Cycle für Emerging Technologies ist die Energie-Effizienz in die „Phase der Ernüchterung“ abgestürzt. Bei den Top-Prioritäten der CIOs war sie schon zu Beginn des Jahres nach hinten durchgereicht worden.
Der Weg auf Gartners "Plateau der Produktivität“ ist lang und steinig, besonders in Zeiten wie diesen, da CIOs das Hemd näher ist als die Jacke. IT-Lieferanten reiten daher eine Marketing-Attacke nach der anderen mit blauen Engeln, grünen Schubkarren und jungen Bäumen, um sich zumindest im Unterbewusstsein der Kundschaft mittelfristig als Öko-Label zu positionieren. Das Ganze kulminierte, als IBMs Deutschland-Chef Martin Jetter vor der CeBIT 2008 verkündete, dass sich ein moderner Server innerhalb von zwei Jahren durch die Energieersparnis refinanzieren könnte.
IT-Berater Jochen Michels, selbst vor Jahren bei IBM im Sold und Big Blue immer noch "emotional verbunden", wurde durch die Aussage „aufgeschreckt“. Er tat, was er seit 20 Jahren täglich tut: nachrechnen, was IT kostet. Dazu ordnete er sämtliche Kostenblöcke eines Servers in ein selbst entwickeltes Excel-Schema. Die Bilanz des IT-Finanz-Experten zum Einsparpotenzial: „Das rechnet sich nicht.“
Selbst wenn die Abschreibungen – "der dickste Brocken" – ausgeklammert würden, weil die Server ohnehin gerade ersetzt werden müssten, klafft immer noch eine Finanzierungslücke. Allerdings sei es in diesem Fall möglich, die Mehrkosten für grüne Neugeräte zu refinanzieren. Michels sieht die einzige Chance, ein positives Ergebnis über die Gesamtkosten zu präsentieren, in der Virtualisierung, wobei ein Großteil der Server einfach wegfällt. Geschieht dies nicht, müssen Anwender „für ihr grünes Gewissen tief in die Tasche greifen“.
Verwirrendes Angebot
Der Experte für IT-Betriebswirtschaft weiß, dass Server heute im Schnitt zu etwa zehn Prozent belastet sind. Hintergrund ist, dass IT-Organisationen oft noch mit Wildwuchs kämpfen, weil Standard-Server im Rahmen von Projekten als billige Komponente gelten und großzügig dimensioniert werden. Zudem lässt sich das Preis-Leistungs-Verhältnis neuer Rechner kaum mehr abschätzen, weil der Kunde mit einem verwirrenden Angebot an Familien, Typen, Modellen und Ausbau-Varianten konfrontiert wird. In diesem Chaos ist es selbst für Hersteller schwer, den Überblick zu behalten und belastbare Zahlen zu nennen.
Um Vergleichbarkeit im Server-Bereich zu schaffen und den Umweltschutzorganisationen mit ihren diversen Green-IT-Zertifikaten die Deutungshoheit streitig zu machen, haben sich die einschlägigen Hersteller eines Spielfelds besonnen, auf dem sie schon seit geraumer Zeit ihre Kräfte messen: die Standard Performance Evaluation Corporation, kurz SPEC. Ende 2007 wurde der Benchmark SPECpower_ssj2008 vorgestellt, der zum Ziel hat, die Leistung eines Servers pro Watt zu bestimmen. "Dass man den Kunden einen zusätzlichen Maßstab an die Hand geben wollte, ist sicherlich der damaligen Hype-Welle geschuldet", schätzt Michels.
Keine gebratenen Tauben
Manipulationen sind hier traditionell an der Tagesordnung, aber sie werden als Kavaliersdelikt behandelt: „Eine kleine Schar von eingeweihten Experten spielt ein Spiel unter Geschäftsleuten, und jeder nutzt seine Fähigkeiten sowie Lücken im Reglement aus, bis diese geschlossen werden“, so Michels. Immerhin sind alle wichtigen Server-Hersteller dabei, und sie wachen mit Argusaugen darüber, dass die Konkurrenz die Regeln der SPEC nicht überstrapaziert.
Insofern kann man den SPECpower bei aller Kritik – auch wegen der geringen Zahl gemessener Geräte und der schwierigen Übertragbarkeit auf das Alltagsgeschäft – als ersten Schritt zu einem grünen Zertifikat bezeichnen, das vergleichbare Informationen über die Energieeffizienz im Server-Bereich bereitstellt. Michels hält den Benchmark grundsätzlich für tauglich, allerdings müssten sich die Kunden auch damit beschäftigen und nicht erwarten, dass ihnen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Unbedingt nötig ist diese Metrik aber nicht, wenn professionelle Investitionsrechnungen erfolgen, die auch die Energie wie alle anderen Kosten ehrlich einbeziehen. „Ich würde mir wünschen, dass bei Ersatzbeschaffungen die Energie-effizienz als selbstverständliches Kriterium für die Entscheidung berücksichtigt wird“, sagt er.
Ende Juli plädierte Hans-Joachim Popp, CIO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), an dieser Stelle dafür, den Druck auf die Hersteller zu erhöhen. Auch Michels sieht das als einzig gangbaren Weg: "Das Verhältnis Rechenleistung zu Energiekosten und allen anderen Aufwendungen sollte so stark unter Beobachtung stehen, dass Hersteller gezwungen sind, es ständig zu verbessern." Den Ehrgeiz dazu hätten die Ingenieure. Was derzeit fehlt, ist der Ehrgeiz der Kunden, das Mooresche Gesetz mit dem Faktor Energieeffizienz auf eine neue Ebene zu heben und endlich marktweite Metriken für Rechenleistung zu erzwingen.