Exoskelette in der Arbeitswelt

Aufgerüsteter Mensch statt Roboter

19.07.2019
Roboter sind in der Industrie nicht mehr wegzudenken, mancher Arbeitsplatz musste der Technik weichen. Nun werden in vielen Betrieben die Beschäftigten selbst mit sogenannten Exoskletten aufgerüstet. Doch wird die Arbeit so wirklich leichter?

Das Gestell am Rücken von Sönke Rössing ist nicht schwerer als ein Rucksack und auch nicht größer oder auffälliger. Doch der Entwickler vom niedersächsischen Prothesenhersteller Ottobock verspricht, dass die umgeschnallten Streben und die Seilzugtechnik große Vorteile für Handwerker wie Heimwerker haben können. Wände streichen, Hecken schneiden, verschiedenste Überkopfarbeiten: Mit dem Exoskelett soll das alles viel einfacher von der Hand gehen. "Mein Traum ist es, dass nächstes Jahr an Weihnachten ein Exoskelett für den Heimwerker angeboten werden kann."

Exoskelette sollen körperliche Arbeiten zukünftig deutlich erleichtern.
Exoskelette sollen körperliche Arbeiten zukünftig deutlich erleichtern.
Foto: CharacterFamily - shutterstock.com

Bisher sind Exoskelette vor allem als hochtechnisierte Hilfsmittel in der Rehabilitation von Querschnittsgelähmten bekannt geworden. Nun werden sie in der Arbeitswelt immer mehr zum Thema und einige Ausführungen sind bereits kompakter geworden. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Exoskelette können bei Überkopfarbeiten das Gewicht der Arme ableiten oder sie beim Heben von schweren Gegenständen unterstützen. Ob sie das Wundermittel auf dem Weg zum gesünderen Beschäftigten sind, ist aus wissenschaftlicher Sicht aber noch nicht geklärt.

Rössing und sein Arbeitgeber Ottobock haben ihr Modell namens Paexo über sechs Jahre hinweg entwickelt, bis es im Herbst auf den Markt kam. Der Autobauer Volkswagen war 2012 auf das Unternehmen zugekommen und suchte nach einer Lösung für die vielen Überkopfarbeiten in den Werken, die vor allem die Schultern und die Oberarme belasten. Nach Tests mit schweren, hydraulisch betriebenen Modellen habe man Stück für Stück ein kompakteres und leichteres System entwickelt.

Dabei werden zunächst zwei Kugelgelenke an einem Hüftgurt angebracht. Von dort führen zwei Metallstangen nach oben, an deren Ende Gelenke befestigt sind, die die Funktion der Schultergelenke nach außen spiegeln. Von dort führen die nächsten Streben zu den Oberarmen. Mit Hilfe von Seilzügen wird so die Belastung von den Armen ohne Umweg über den Rücken oder die Schulter direkt in die Hüfte abgeleitet.

Ottobock ist nicht das einzige Unternehmen, dass derzeit mit Exoskeletten experimentiert. In Deutschland arbeitet beispielsweise auch das Augsburger Unternehmen German Bionic System (Augsburg) an einem Exoskelett - und zwar an einer Variante mit einer aktiven Unterstützung zur Entlastung des unteren Rücken.

Doch können solche Exoskelette das Rezept gegen Schulterbeschwerden, Bandscheibenvorfälle und kaputte Knie sein? "Im Moment herrscht eine rege Diskussion in der wissenschaftlichen Community", sagt Sascha Wischniewski von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA). Die entscheidende Frage sei, ob die Systeme tatsächlich den Körper unterstützen oder lediglich die Lasten verteilen. "Belastungen werden meistens woanders wieder in den Körper eingeleitet", sagt Benjamin Steinhilber von der Uni-Klinik Tübingen. "Es ist noch schwierig abzuschätzen, ob die Erhöhung der körperlichen Belastung an einer anderen Stelle zu einem Schaden führen kann."

Langzeiteffekte unklar

Das größte Problem bei der Einschätzung: Langzeiteffekte konnten an der neuen Technologie schlicht noch nicht erforscht werden, weil sie dafür zu neu ist. "Für uns ist es zudem wichtig, ob es sich bei den aktuell am Markt verfügbaren passiven Exoskeletten um ein Werkzeug oder eine persönliche Schutzausrüstung für den Beschäftigten handelt", sagt Wischniewski. Grundsätzlich sei es das Ziel, einen guten Arbeitsplatz auch ohne den Bedarf für ein Exoskelett zu gestalten. "Ein Exoskelett sollte nicht das erste Mittel bei der Arbeitsplatzgestaltung sein, sondern da eingesetzt werden, wo es keine ergonomisch sinnvollere Alternativen gibt."

Auch Steinhilber sieht das so und empfiehlt den Unternehmen, nicht jede Tätigkeit künftig mit einem Exoskelett zu verknüpfen. Darüber hinaus gebe es noch viel Verbesserungspotential, etwa beim Gewicht und an den Stellen, an denen das Exoskelett den Menschen berührt. "Kurzfristig glaube ich nicht, dass die Exoskelette so gut werden, dass man sie über acht Stunden bei der Arbeit tragen kann."

Genau das ist laut Ottobock aber bereits der Fall: "An Arbeitsplätzen, an denen ausschließlich über Kopf und über Schulterhöhe gearbeitet wird, sind es bis zu acht Stunden." Der Prothesenhersteller hat sein Modell im Herbst auf den Markt gebracht, bereits mehr als 30 Kunden seien beliefert worden, zudem lägen zahlreiche Kundenanfragen vor.

Für alle Kunden gehe es darum, bei einer steigenden Lebenserwartung und einer alternden Belegschaft dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter mit neuartigen Hilfsmitteln und ergonomischen Arbeitsplätzen gesund bleiben. Ob sich Rössings Traum vom Exoskelett unter den Weihnachtsbäumen im Jahr 2019 erfüllen lässt, ist allerdings noch fraglich. Der Preis von 4900 Euro dürfte den meisten Menschen für den privaten Gebrauch zu hoch sein. (dpa/ad)

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