Kühle Strategin oder Zauderin?
Britische Premierministerin May jetzt ein halbes Jahr im Amt
Als Theresa May wenige Wochen nach dem Brexit-Votum der Briten von ihrer Fraktion zur Premierministerin gewählt wurde, beeindruckte die konservative Politikerin mit ihrer demonstrativen Entschlossenheit. "Brexit heißt Brexit. Und wir machen einen Erfolg daraus", sagte sie damals Mitte Juli. Schon war von einer zweiten Margaret Thatcher die Rede.
Doch ein halbes Jahr nach ihrer Wahl wird die 60-Jährige mehr und mehr als Zauderin wahrgenommen. Kürzlich erschien ein Porträtfoto der Premierministerin auf dem Titelblatt des Magazins "Economist". Überschrieben war es mit "Theresa Maybe" - "Theresa Vielleicht".
Denn trotz markiger Sprüche, die sie unermüdlich wiederholt, ist Mays Botschaft mehrdeutig. Einerseits verspricht sie, die Einwanderung aus der EU zu reduzieren, auf der anderen Seite will sie den bestmöglichen Zugang für Waren und Dienstleistungen in den Binnenmarkt herausholen. Beides wird sie aber nicht bekommen, das haben EU-Politiker immer wieder klar gemacht.
Beobachter fragen sich: Steckt hinter Mays unklarem Kurs eine Strategie? Oder ist es schlicht Ratlosigkeit?
Darüber scheint nicht einmal in den höchsten Rängen der Verwaltung Gewissheit zu herrschen. Als der britische Chefdiplomat bei der EU, Ivan Rogers, kürzlich entnervt hinwarf, schrieb er in einer E-Mail an seine Mitarbeiter: "Wir wissen noch nicht, was die Regierung als Verhandlungsziele für die Beziehung Großbritanniens mit der EU nach dem Austritt festlegt." Eine schallende Ohrfeige für May.
Spätestens Ende März will sie die Austrittserklärung nach Brüssel schicken. Ob das gelingt, hängt nicht zuletzt von einem Urteil des höchsten britischen Gerichts ab, mit dem noch im Januar gerechnet wird. Das soll entscheiden, ob May zunächst das Parlament befragen muss. Wann das Urteil genau kommt, ist ungewiss. Nur mit drei Tagen Vorlauf will das Gericht ankündigen, wann die Entscheidung bekannt gemacht wird.
Ihre scheinbare Unentschlossenheit scheint der Premierministerin zumindest bislang größeren Krach am Kabinettstisch zu ersparen. Denn die Regierung ist in der Brexit-Frage gespalten. Auf der einen Seite steht Schatzkanzler Philip Hammond. Er gilt als vehementer Vertreter eines "weichen Brexits", der den Zugang zum Binnenmarkt über die Begrenzung der EU-Einwanderer stellt. Auf der anderen Seite steht das Brexit-Trio: Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis und Handelsminister Liam Fox. Ihr spezielles Problem: Sie sind sich untereinander alles andere als grün.
Auch die britische Wirtschaft hat bisher eher von Mays Versteckspiel profitiert. Weil noch niemand sagen kann, ob Großbritannien tatsächlich aus dem Binnenmarkt ausscheiden wird, gab es bislang keine größeren Verwerfungen. Je länger dieser Zustand der Starre anhält, desto eher können die Brexit-Befürworter die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass alle Warnungen vor einem wirtschaftlichen Schock Panikmache waren. Dass der Brexit noch gar nicht begonnen hat, verschweigen sie geflissentlich.
Glück hat May auch in einem anderen Punkt: Die oppositionelle Labour-Partei ist seit der letzten Parlamentswahl nur noch mit sich selbst beschäftigt. Labour-Chef Jeremy Corbyn weiß nur einen kleinen Teil der Fraktion hinter sich und hat nur sehr zurückhaltend für den Verbleib in der EU geworben. Von dieser Seite droht May kaum Gefahr. Selbst wenn das höchste britische Gericht entscheiden sollte, dass das Parlament der Austrittserklärung zustimmen muss.
Die für May gefährlichen Gegner sitzen in den eigenen Reihen. Ihre verwundbarste Stelle: Sie selbst hat kein Mandat der Wähler und regiert nur mit einer knappen Mehrheit. Und obwohl die Premierministerin stets dementiert, wollen die Spekulationen über vorgezogene Neuwahlen nicht enden.
Die Frage ist, wie lange sich die Briten die Hängepartie noch anschauen wollen. Noch im Januar will May eine grundsätzliche Rede zum Brexit halten. Doch ob sie dann endlich anfängt, Klartext zu reden, darf bezweifelt werden. (dpa/rs)