Lust auf Job und Arbeitsleben

Gute Argumente gegen den Ruhestand

Melanie Kuppelwieser ist Geschäftsführerin der PR Agentur PR Check.
Mit dem Erreichen des Rentenalters muss man nicht zum alten Eisen zählen. Es gibt gute Gründe, sich auch jenseits der Pensionsgrenze der Arbeit zu stellen.
  • Jeder sollte sich fragen, ob das klassische Modell des Ruhestands für ihn geeignet ist.
  • Die Generation 60 plus ist zu fit für das Nichtstun.
  • Ohne einen strukturierten Arbeitstag neigen Renter leichter zur Depression.
Angestellte nehmen aufgrund des fixen Renteneintrittsalters zu einem bestimmten Zeitpunkt Abschied vom Arbeitsleben, nicht immer freiwillig.
Angestellte nehmen aufgrund des fixen Renteneintrittsalters zu einem bestimmten Zeitpunkt Abschied vom Arbeitsleben, nicht immer freiwillig.
Foto: Robert Kneschke - shutterstock.com

Viele Deutsche träumen vom Ruhestand. Andere dagegen haben bereits früh den Entschluss gefasst, auch über das Rentenalter hinaus weiterzuarbeiten. "Eine weise Entscheidung", meint die Münchner Diplompsychologin Madeleine Leitner, "denn neben finanziellen Aspekten sind viele Menschen heute mit 60 plus noch viel zu fit für das Nichtstun. Aus psychologischer Sicht drohen im Gegensatz zu dem verbreiteten Klischee vom süßen Nichtstun sogar Leere und Depressionen."

In letzter Zeit stellt die Psychologin, die seit über 20 Jahren Menschen in beruflichen Umbruchsituationen berät, einen neuen Trend fest. "Ich habe verstärkt Anfragen von erfolgreichen Menschen jenseits der 50 oder sogar 60, die sich noch einmal bewusst mit ihren beruflichen Zukunftsplänen beschäftigen möchten." Sie träumen nicht vom Ruhestand oder von Ehrenämtern, sondern von einer Arbeit mit Sinn.

Arbeit sei für sie keine Last, sondern im Gegenteil ein wertvoller und sinnstiftender Teil ihres Daseins, den sie auch noch langfristig ausüben möchten. Auch in den Medien häufen sich Berichte über beruflich erfolgreiche "Senioren", die nach ihrem Selbstverständnis - wie zum Beispiel der 78-jährige Unternehmer Harald Scheer - mit steigendem Alter das Thema Ruhestand immer weiter hinter sich lassen.

Ein erfülltes Leben und mehr Geld

Die meisten Ratsuchenden bei Leitner sind in der Altersgruppe 50 plus und möchten ihre bisherige Tätigkeit vor allem noch einmal grundlegend auf den Prüfstand stellen. Manche beschäftigen sich bewusst mit ihren Lebensträumen: so eröffnete ein Beamter nach seiner Pensionierung beispielsweise endlich eine Galerie. Oder Angestellte überlegen, ob sie sich doch besser selbständig machen können, um als Unternehmer endlich nach ihren eigenen Vorstellungen zu arbeiten.

"Manche erfolgreichen Unternehmer oder Selbständige - zum Beispiel Anwälte, Unternehmensberater, Ärzte und Steuerberater - erwogen ernsthaft, beruflich ganz aufzuhören. Bei genauer Analyse stellten sich ihre Probleme wie zum Beispiel zu viel Routine oder bestimmte Widrigkeiten ihres Jobs aber als lösbar heraus", so Leitner. Als Resultat der Zusammenarbeit trennte sich ein unglücklicher Steuerberater in den 60ern bewusst von seinen unzuverlässigen und daher besonders aufwendigen Mandanten.

Madeleine Leitner: "Lassen Sie sich nicht aufgrund Ihres Lebensalters abstempeln. Statt sich 'alt' zu fühlen, sollten Sie Begriffe wie 'Seniorität' und 'Lebenserfahrung' verwenden."
Madeleine Leitner: "Lassen Sie sich nicht aufgrund Ihres Lebensalters abstempeln. Statt sich 'alt' zu fühlen, sollten Sie Begriffe wie 'Seniorität' und 'Lebenserfahrung' verwenden."
Foto: Madeleine Leitner

Eine frustrierte Anwältin, Mittfünfzigerin, fokussiert sich jetzt auf Erstgespräche mit den Mandanten und die Entwicklung einer Strategie für das Verfahren; den ungeliebten "Kleinkram" delegiert sie nun konsequent an ihre Kollegen. Indem diese Klienten ihre Tätigkeit noch einmal besser auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden, macht sie ihnen plötzlich wieder Freude, so dass sie bewusst noch einmal durchstarten können. "Und zwar mit Open End über das klassische Rentenalter hinaus."

Der Ruhestand als psychologisches Risiko

Angestellte nehmen aufgrund des fixen Renteneintrittsalters zu einem bestimmten Zeitpunkt Abschied vom Arbeitsleben, nicht immer freiwillig. Viele fallen anschließend in ein tiefes Loch. Zwar können Familie, Freunde und Hobbys helfen, den neuen Lebensabschnitt zu genießen, doch gibt es dabei aus psychologischer Sicht wesentliche Veränderungen, die für die Entstehung von Depressionen prädestiniert sind.

Das Arbeitsleben bietet eine natürliche Strukturierung des Alltags und ist ein automatischer Beziehungsgenerator. Entfällt beides, und gibt es zudem auch finanzielle Einschränkungen, drohen Depressionen. In keiner Bevölkerungsgruppe sind diese so verbreitet wie unter Rentnern. Zudem haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Berufstätige schneller altern und früher sterben, je eher sie in den Ruhestand gehen.

Fünf Tipps für die Entscheidung: Ruhestand oder nicht?

Es ist für jeden ratsam, sich aktiv mit der Frage zu beschäftigen, ob das klassische Modell des Ruhestands für ihn geeignet ist. Dazu hat Leitner fünf Tipps als kleinen Anti-Ruhestands-Ratgeber zusammengestellt:

1. Vergessen Sie das Klischee vom schicksalhaften Zwangsruhestand. Zwar gibt es aus Sicht der Rentenkasse eine "magische Altersgrenze", doch im Grunde genommen ist diese eine reine Formalie, die historisch entstanden ist. Objektiv hindert Sie nichts daran, weiterzuarbeiten.

2. Wenn Sie bisher angestellt waren, stellen Sie sich die Frage: Könnte Ihre Firma weiter Interesse an Ihrer Expertise haben? Mit der Flexi-Rente kann das Renteneintrittsalter inzwischen freiwillig nach hinten verlagert und können Rentenansprüche sogar noch einmal erhöht werden. Scheuen Sie sich nicht, Ihren Arbeitgeber zu fragen, ob Sie als freier Mitarbeiter oder mit einem Beratervertrag weiter tätig sein können.

3. Unterziehen Sie Ihre bisherige Tätigkeit einer Bestandsaufnahme. Was gefällt Ihnen? Was möchten Sie aufgeben? Wie wäre der Job so zu modifizieren, dass er auch über das Rentenalter hinaus weiter oder wieder mehr Freude macht?

4. Haben Sie besondere Interessen? Dann können Sie diese vielleicht in einer Selbstständigkeit verwirklichen. Ihre monatliche Rente ist ein gutes Polster und hilft Ihnen gegen die Existenzängste, die viele von der Selbständigkeit abhält.

5. Und vor allem: Lassen Sie sich nicht aufgrund Ihres Lebensalters abstempeln. Statt sich "alt" zu fühlen, sollten Sie Begriffe wie "Seniorität" und "Lebenserfahrung" verwenden. Die sogenannten "Senioren" als Generation stehen auch für klassische Tugenden, die einst den Standort Deutschland ausgezeichnet haben und heute nicht mehr selbstverständlich sind.

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