Das Spiel mit den Nachrichten

Newsgames als neue Form des Journalismus

11.02.2014
Nachrichten sind normalerweise eine ernste Sache. Dass Informationsvermittlung auch Spaß machen kann, zeigen Newsgames. Sie lassen Nutzer Steuerflucht und Terrorkrieg nachspielen.

Kann ein blaues Männchen, das rote Laserpfeile schießt, den Journalismus verändern? Wohl nicht das Männchen allein, aber die Idee dahinter - davon ist Journalist und Computerspiel-Experte Marcus Bösch überzeugt. Seine Firma The Good Evil in Köln hat das kostenlose Online-Spiel "Prism - The Game" entwickelt. Der Auftrag an den Spieler: "Helfen Sie der NSA!" Ein Agent - das blaue Männchen - fliegt durchs Web und muss so viele private Fotos wie möglich scannen. Bevor es losgeht, werden Informationen über den US-Geheimdienst und sein Überwachungsprogramm Prism eingeblendet.

"Prism - The Game" gehört zur Kategorie der Newsgames. Das sind Computerspiele, die mit Hilfe journalistischer Mittel versuchen, Informationen aufzubereiten und zu präsentieren. Für Bösch gehören Newsgames zum Werkzeugkasten, aus dem sich der Journalist der Zukunft bedienen kann. "Games haben einige Vorteile gegenüber den klassischen, linearen MedienMedien", erklärt er. Denn dort nehmen Menschen Informationen nur auf. "Ein Spiel ermöglicht eine eigene Erfahrung." Im Idealfall hat der Spieler dabei auch noch Spaß. Top-Firmen der Branche Medien

Spiele könnten Zusammenhänge aufzeigen, erklärt Katharina Tillmanns vom Cologne Game Lab der Fachhochschule Köln. Als Beispiel nennt sie den Newsgame-Klassiker "September 12". Er handelt vom Krieg gegen den Terror nach dem 11. September. Der Spieler kann virtuelle Bomben auf Terroristen abwerfen. Dabei sterben aber auch Zivilisten, deren Angehörige dann zu neuen Terroristen werden.

In "September 12" werden die Folgen des Anti-Terror-Krieges deutlich gemacht, sagt Tillmanns. Der Spieler könne Entscheidungen aus dem wahren Leben besser nachvollziehen, weil er sie im Spiel selbst treffen muss.

Selbsterfahrung steht auch bei "Steuerflucht für Anfänger" an oberster Stelle. In dem Spiel auf der Onlineseite des TV-Senders Arte geht es darum, virtuelle Steuergelder so gut wie möglich vor dem Finanzamt zu verstecken. Aufhänger waren die sogenannten Offshore-Leaks - die Enthüllungen von Steueroasen auf kleinen Inselstaaten.

Im deutschsprachigen Raum gibt es noch recht wenige Beispiele wie "Steuerflucht für Anfänger", in den USA sind Newsgames schon länger ein Thema. Bereits vor zehn Jahren wurde der New Yorker Verein Games for Change gegründet, der sich mit den gesellschaftlichen Aspekten von Computerspielen beschäftigt. 2008 hielt das Medien-Institut J-Lab einen Workshop zu Newsgames ab. Und der Artikel, der 2013 auf der Webseite der "New York Times" am häufigsten angeklickt wurde, war ebenfalls ein Spiel: ein interaktives Quiz über amerikanische Dialekte.

Doch Nachrichtenspiele bewegen sich mitunter auf einem schmalen Grat. Ausgerechnet Computergigant AppleApple weigerte sich, das Spiel "Endgame: Syria" in seine Vertriebsplattform, den AppStore, aufzunehmen. In dem Kartenspiel geht es um den Krieg in Syrien. Es sei abgelehnt worden, weil es sich auf einen wahren Konflikt beziehe, erklärte der Entwickler des Spiels, die britische Firma Auroch Digital. Apple wollte das nicht kommentieren. Der Entwickler entfernte schließlich den Bezug zum echten Konflikt und benannte das Spiel in "Endgame: Eurasia" um. Die modifizierte Fassung steht nun auch im AppStore. Alles zu Apple auf CIO.de

Moralische Bedenken gegen Computerspiele sind nicht neu. Ein extremes Beispiel ist "Super Columbine Massacre RPG!". Das Spiel, das im Jahr 2005 erschien, bezieht sich auf den wahren Amoklauf an der Columbine-High-School in der US-Stadt Littleton. Die beiden 17 und 18 Jahre alten Täter hatten dort 1999 zwölf Mitschüler, einen Lehrer und anschließend sich selbst getötet. Überlebende und Angehörige empfanden das Spiel als pietätlos.

Newsgames-Experte Bösch verwahrt sich davor, das Columbine-Spiel in einen Topf mit seinem Nachrichtenspiel zu werfen. Für Newsgames sollten journalistische Standards gelten, sagt er. "Wenn ein Spiel von Journalisten mit umgesetzt wird - mit der gleichen Sorgfalt, mit der Artikel geschrieben werden -, dann sehe ich kein Problem." (dpa/rs)

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