Europäischer Gerichtshof

Was das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung bringt

07.04.2014
Der Europäische Gerichtshof entscheidet über die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung. Es lässt sich erahnen, wie das Urteil ausfallen könnte. Die Bundesregierung wird besonders aufmerksam hinhören, was die Richter sagen.

Es ist der Tag der Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung. An diesem Dienstag fällt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein wegweisendes Urteil: Ist es zulässig, dass Telekommunikationsfirmen flächendeckend speichern, wann wer mit wem wie lange telefoniert oder SMS und E-Mails schreibt? Für Deutschland hängt viel davon ab, wie die Antwort der Richter ausfällt.

Was bedeutet Vorratsdatenspeicherung genau?

Seit 2006 müssen die EU-Staaten dafür sorgen, dass Telekommunikationsfirmen - ohne Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr - Verbindungsdaten von Privatleuten bei Telefonaten und E-Mails sammeln: Name und Anschrift des Teilnehmers, Rufnummer, Uhrzeit und Datum einer Telefonverbindung, bei Handys auch der Standort zu Gesprächsbeginn. Verbindungsdaten zu SMS, Internet-Nutzung und E-Mails ebenso. Der Inhalt von Gesprächen wird nicht erfasst. Die Speicherdauer: mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre.

Gibt es auch in Deutschland eine Datenspeicherung auf Vorrat?

Nein. Es gab eine deutsche Regelung. Das Bundesverfassungsgericht erklärte sie 2010 aber für verfassungswidrig. Die damalige Bundesregierung konnte sich über Jahre nicht auf eine Neuregelung einigen. Die EU startete deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland - verbunden mit der Androhung von millionenschweren Strafzahlungen. Union und SPD einigten sich darauf, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Sie wollen den Zugriff auf die Daten aber beschränken: etwa nur zur Aufklärung schwerer Verbrechen und nach richterlicher Genehmigung. Die Koalitionäre warten auf das EuGH-Urteil, bevor sie einen Gesetzentwurf vorlegen - damit sie die Vorgaben der Richter einarbeiten können.

Warum befasst sich der Gerichtshof überhaupt damit?

Die Datenspeicherung ist in der EU hoch umstritten. Die Befürworter halten sie für unverzichtbar, um schwere Straftaten wie Terroranschläge zu verhindern und Kriminelle besser zu verfolgen. Die Kritiker halten sie dagegen für völlig unverhältnismäßig und rechtswidrig. Ein irisches Unternehmen, der Kärntner Landesregierung und mehrere Tausend Österreicher haben gegen die EU-Richtlinie geklagt - deshalb nun der EuGH-Entscheid.

Was könnte bei dem Urteil herauskommen?

In zwei Dritteln der Fälle folgen die Luxemburger Richter dem Gerichtsgutachter. Und der hatte empfohlen, dass die Richtlinie nicht so bleiben kann, wie sie ist - sie aber auch nicht komplett verworfen werden muss. Somit ist am wahrscheinlichsten, dass der EuGH Nachbesserungen verlangen wird. Denkbar wäre etwa, dass künftig die Speicherung nicht mehr ganz ohne Anlass, sondern nur noch auf richterliche Anordnung oder Verdacht erfolgen darf. Auch eine kürzere Speicherdauer wäre möglich, denn der Gutachter hatte die bisherige Dauer als zu lang kritisiert. Sollten die Richter das gesamte EU-Gesetz verwerfen, muss ein neues her. Sollten sie die Richtlinie bestätigen - was als unwahrscheinlich gilt - müssten alle EU-Länder die Vorratsdatenspeicherung rasch umsetzen, auch Deutschland.

Wie geht es auf EU-Ebene weiter?

Sollte das Gericht Nachbesserungen fordern, beginnt der normale Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene. Als erstes müsste die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie machen. Wegen der massiven Kritik sitzt die Brüsseler Behörde schon seit Jahren an deren Überarbeitung, wartet aber das EuGH-Urteil ab. Ihre Vorschläge müssten danach vom Europaparlament und den EU-Staaten beschlossen werden. Im Rat der Minister ist eine Zweidrittelmehrheit nötig - somit könnte Deutschland auch bei Enthaltung oder Gegenstimme überstimmt werden. Der gesamte Prozess dürfte ein bis zwei Jahre dauern und durch die Europawahlen im Mai noch verzögert werden.

Was passiert in Deutschland?

Die Bundesregierung hat angekündigt, nach der EuGH-Entscheidung "sehr zügig" einen Gesetzentwurf vorzulegen. Vermutlich werden die Vorgaben des Gerichts ohnehin in die Richtung gehen, die im schwarz-roten Koalitionsvertrag eingeschlagen ist. Union und SPD wollen sich auf EU-Ebene für eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate einsetzen. Sollte in der EU nach dem Urteil die Arbeit an der Richtlinie neu beginnen - wie zu erwarten -, könnte Deutschland mit seinem neuen Entwurf auch Einfluss auf die EU-Debatte nehmen.

Und was wird aus dem Vertragsverletzungsverfahren?

Formal hat das Urteil keine Auswirkung auf dieses Verfahren. Doch ein EU-Diplomat sagt: "Wenn der EuGH die Richtlinie kippt, kann die EU-Kommission das nicht weiter durchziehen." Generell sind solche Verfahren keine Seltenheit - derzeit laufen Dutzende gegen die Bundesrepublik. Deutschland musste bisher aber nie Strafe zahlen. (dpa/rs)

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