Friedhof für Avatare
Wenn Computerhelden gehen müssen
Irgendwann musste Avyen sterben. Es dauerte nur wenige Minuten, ein paar Klicks, ein paar Zeilen über die Heldentaten der Kriegerin. Dann stieg der Avatar in den Olymp der Computerspielfiguren auf. Avyen ist eine von inzwischen 384 Charakteren, die auf der jetzt neu gestalteten Online-Seite "herolymp.de" in den vergangenen drei Jahren die letzte Ruhe gefunden haben.
Mit der Seite möchte das Frankfurter Drogenreferat den Fans von Computerspielen den Abschied von ihren virtuellen Geschöpfen ermöglichen. Es soll ein erster Schritt sein weg vom möglicherweise problematischen Spielverhalten. Denn ein Spieler und seine Figur sind auf eine besondere Art miteinander verbunden. Einfach nur Löschen und einen Schlussstrich ziehen, das fällt manchen schwer. "Auf der Seite kann man seiner Figur ein schönes, wertschätzendes Ende bereiten. Man verteufelt sie nicht", sagt Regina Ernst, die Leiterin des Drogenreferats.
Bisher haben dort knapp 400 Menschen ihren sogenannten Avataren anonym ein Denkmal gesetzt. 88 Prozent der Nutzer sind männlich, im Durchschnitt sind sie 26 Jahre alt und kommen aus allen Teilen der Bundesrepublik. Die meisten ihrer virtuellen Charaktere wiederum entstammen Online-Rollenspielen wie "World of Warcraft". Auf der neu gestalteten Seite räume man den Nutzern nun mehr Platz ein, die persönliche Geschichte ihrer Figur zu erzählen, sagt Tomaso Carnetto, der den Auftritt konzipiert hat. Das Erzählen sei wichtig, es sei eine Art Therapie. "Es ist kein brutaler Schnitt."
Die letzten Worte, die die Unbekannten ihren digitalen Gefährten auf virtuelle Grabsteine geschrieben haben, zeugen von schwierigen Abschieden: "Rest in Peace", steht unter den pixeligen Bildern der meisten Figuren. "Begraben aber nie vergessen", hat jemand geschrieben. "Lange waren wir unterwegs, bekämpften Drachen, Dämonen und andere Monster. Doch nun ist diese Reise zu Ende", erinnert sich ein anderer wehmütig.
"Man baut sich eine Figur auf und identifiziert sich damit", sagt einer, der regelmäßig spielt, seinen Namen aber nicht nennen möchte. "Eine Figur, die vielleicht ein bisschen so ist, wie man selbst gerne wäre. Da ist es schwer, loszulassen", erzählt der Mann am Telefon. Er spricht ruhig und bedacht, zögert manchmal kurz beim Antworten. Das Thema ist heikel und mit Vorurteilen behaftet. Man denkt schnell an Menschen, die ihre Nachmittage hinter heruntergelassenen Rollläden verbringen.
"Ich habe kein Problem damit, den PC auszuschalten und etwas anderes zu tun", sagt der Spieler, der über 30 Jahre alt ist und aus Frankfurt stammt. Immer wieder unterziehe er sich einem Selbsttest. Wie viel Zeit verbringe ich damit, mein digitales Alter Ego durch die verschlungenen Wege einer fiktiven Welt zu steuern? Ordne ich meinen Alltag dem Spiel unter oder ist es noch umgekehrt? "Ich weiß, dass es ein Gefahrenpotenzial birgt. Es gibt die Mechanismen, dass man den Erfolg in der virtuellen Welt sucht, weil er in der realen ausbleibt." Um die 20 Stunden in der Woche widme er verschiedenen Computerspielen, erzählt er. "Ist das nun viel oder wenig?", fragt er sich. Aufhören möchte er vorerst nicht.
Hat man einmal auf "herolymp.de" Abschied von einer Figur genommen, kann man sie jederzeit besuchen, aber nicht wieder zurückholen. Wie viele Nutzer das Spielen tatsächlich aufgegeben haben, wissen die Mitarbeiter des Drogenreferats nicht. Auf der Seite finden sich neben der Helden-Galerie Adressen von Beratungsangeboten und ein Selbsttest, mit dem sich das eigene Spielverhalten überprüfen lässt. "Die Zahl der passiven Nutzer ist wesentlich größer als die der aktiven", sagt Carnetto. Manch einer brauche einfach länger, bis er seinen Helden gehen lassen kann. (dpa/rs)