Share Passion for IT

10.000 Stunden Leidenschaft für IT-Nachwuchs

30.10.2013 von Bettina Dobe
Schüler und Studenten halten IT nicht gerade für spannend. Auch deshalb werden 2015 in Europa 900.000 IT-Fachkräfte fehlen. Mitglieder des CIOnet missionieren deshalb unter dem Motto "Share Passion for IT" in Schulen und Universitäten. Insgesamt 10.000 Stunden wollen sie dort investieren.
Vorbild Kloppo: Der Trainer von Borussia Dortmund fliegt zwar gelegentlich wegen Ausrastern vom Platz, steht aber nicht in Verdacht langweilig zu sein.
Foto: Patrick Stollarz/AFP/Getty Images

Es sieht düster aus für die Zukunft der IT. Schon seit Längerem ist Deutschland in Sachen IT-Fachkräfte ein Arbeitnehmermarkt. Besserung ist - vorerst - nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Lage wird wohl eher schlimmer: 900.000 Fachkräfte im ITK-Bereich fehlen europaweit bis 2015, hat die EU errechnet. "Es ist schon ein War of Talents da draußen auf dem Markt", sagt CIO Markus Bentele von Rheinmetall. Zwar sei es noch kein Problem, normal qualifizierte IT-Mitarbeiter zu finden. Aber nach Spezialisten in einigen Fachbereichen müsse er bereits im europäischen Ausland suchen. "Die potenzielle Auswahl an Nachwuchskräften ist sehr übersichtlich", bestätigt auch CIO Thomas Henkel von Amer Sports.

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, schon im März 2013 die "Große Koalition für ITK-Jobs" ausgerufen. Verschiedene Aktionen sollen junge Menschen für das Berufsbild Informatik begeistern.

Eckhard Freund, CIO von Dematic: "Ich halte es für sinnvoll, an Schulen zu gehen und den Schülern zu vermitteln, wo im Alltag überall die IT mit drinsteckt. Wer mit Leidenschaft seinen Beruf ausübt, für den gehören solche Vorträge dazu."

Auch der europäische Verein CIOnet mit Hauptsitz in Belgien hat sich des Themas angenommen. Das Versprechen: 10.000 Stunden Leidenschaft für die IT sollen Jüngere begeistern, diesen Karrierepfad einzuschlagen. Daher auch der Name der Aktion: #sharepassion4IT. Diese "Pledge" (engl. für Gelöbnis) gab der Dachverband auf der Veranstaltung "CIO City 2013" im Juni bekannt. CIOs und IT-Leiter sollen sich europaweit insgesamt 10 000 Stunden Zeit nehmen und an Schulen und Universitäten Vorträge halten, aus ihrer persönlicher Sichtweise erzählen, warum es sich lohnt, in die IT zu gehen, und damit, so der Plan, Leidenschaft für die IT wecken.

Die Auftaktveranstaltung Ende Oktober in München, die in das Jahrestreffen von CIOnet integriert ist, soll als Erstes Entscheider und Führungskräfte zusammenbringen. Es wird die Testphase für das Gelingen des Konzepts, denn im Barcamp trifft die Generation Y auf diejenigen, die sie für den Job begeistern sollen. Für die CIOs hat der Auftakt gleich zwei Vorteile: Neben dem Austausch mit und einem Feedback von Jüngeren ist vielleicht potenzieller Nachwuchs für die eigene Firma dabei.

Markus Bentele, CIO von Rheinmetall: "Ich mache das sehr gern, und ich sehe es in meinem persönlichen Verantwortungsbereich. Natürlich ist dies auch eine Werbung für mein Unternehmen."

Coach Jürgen Klopp, Borussia Dortmund, German Champion 2011.
Foto: vario images

Zwei CIOs, die an den Erfolg der Aktion #sharepassion4IT glauben, sind Thomas Henkel und Markus Bentele. "Ich halte es für eine gute Sache", sagen beide übereinstimmend. Doch abgesehen von der Auftaktveranstaltung hat noch keiner der CIOs einen Termin für einen Vortrag, und das, obwohl es im Herbst nun endlich losgehen sollte mit der Leidenschaft. "Wir sind gerade in Kontakt mit mehreren Hochschulen", sagt Tobias Frydman, Geschäftsführer der CIOnet Deutschland GmbH. Dass direkt nach der Verkündung der Pledge im Juni bis jetzt, Oktober, noch immer keine Veranstaltungen geplant worden sind, erklärt Frydman damit, dass die Verkündigung der Pledge in den Ferienstart der Schulen und Universitäten fiel. Man stehe aber in Kontakt mit vielen Hochschulen und Schulen. So einfach sind Vorträge nun mal nicht zu koordinieren.

Thomas Mayr, CIO von Lotto Bayern: "Ich möchte Begeisterung wecken durch Einblicke in die Praxis. Schließlich kann man sich als normaler Mensch den Alltag als ITler gar nicht vorstellen."

Zehntausend Stunden Zeit sollen sich CIOs nehmen. Das klingt nach viel, aber auf die zehn Länder verteilt, in denen CIOnet aktiv ist, fällt für einen CIO oder IT-Leiter nur noch wenig Aufwand an. Zwei bis drei Stunden sollte ein IT-Leiter im Jahr erübrigen, um an einer Schule oder Universität einen Vortrag zu halten. Ein Ende der Kampagne ist nicht in Sicht. "Wir haben uns keine Deadline gesetzt, sondern ganz kontinuierlich sollen in Europa junge Leute motiviert werden, in der IT zu arbeiten", sagt Frydman. CIO Bentele nimmt die Vorträge sehr ernst, ihm liegt das Thema am Herzen. "Ich kann die Leidenschaft nur durch meine Person vermitteln. Nur wenn ich von meinem Lebensweg erzähle, kann das Konzept auch aufgehen."

Thomas Henkel, ehemals CIO, jetzt Leiter Group Operational Integration bei Amer Sports: "Bloß weil andere damit gescheitert sind, heißt das doch nicht, dass wir damit nicht anfangen sollten. Solche Aktionen sind oft gut gemeint - und schlecht gemacht."

Denn Leidenschaft ist nicht das Erste, was viele Menschen mit IT in Unternehmen verbinden. Um aber jemanden von etwas zu überzeugen, muss die Leidenschaft her, denn Menschen packt man mit Emotionen, meint auch EU-Kommissarin Neelie Kroes. Die #sharepassion4IT-Kampagne ist also vor allem eine Aufklärungskampagne.

"Im Selbstmarketing liegt IT zurück"

Die IT hat, das ist nicht abzustreiten, ein Imageproblem: "Im Selbstmarketing hinkt die IT anderen Fachbereichen einfach noch hinterher", sagt Henkel. Als Profession verkaufe sich der Bereich massiv unter Wert, und wer nicht zufällig eine Neigung dazu habe, käme nie auf die Idee, dort zu arbeiten. Das weiß Henkel aus eigener Erfahrung: Er selbst habe große Vorurteile gegenüber dem Bereich gehabt, bevor er in die IT "hineingeschlittert" sei. "Es ist eine Schande, dass einem vorher keiner erzählt, wie kreativ und vielfältig der Job ist", sagt Henkel.

Jürgen Renfer, CIO der KUVB: "Ich möchte jungen Menschen mitgeben, dass es neben der oftmals als zu theoretisch empfundenen Informatik weitere Zugänge gibt, um später in der ITK-Branche zu arbeiten."

Genau darum soll es gehen: Leidenschaft für den Bereich zu vermitteln. "Wir müssen den jungen Menschen zeigen, wie vielfältig die IT ist", sagt CIO Henkel. Dass man sich in der IT-Branche ausleben kann, kreativ ist und nicht nur am Helpdesk arbeitet, wissen offenbar die meisten Menschen nicht. Auch Schüler haben davon wenig Ahnung. "Man muss gerade die ansprechen, die sich sonst nie dafür interessiert hätten", sagt Henkel. "Man muss einen Dialog starten, um die Mythenbildung zu verhindern." Vor allem müsse man mit der Generation Y sprechen. "Jedem, der nicht schnell genug weglaufen kann, erzähle ich, wie großartig der Job ist und wie mein Tagesablauf ist", sagt Henkel und lacht.

IT hat sich von Generation Y entfernt

Es scheint, als hätte sich die IT vom Leben der Generation Y entfernt, so paradox das klingt. Denn die IT ist in jeden einzelnen Lebensbereich eingedrungen. Vielleicht, so vermutet die 27-jährige IT-Beraterin Theresa Grotendorst, sei die IT einfach zu selbstverständlich geworden. Auch das ist eine Hürde, die CIOs nehmen müssen. Viel Zeit lassen dürfen sie sich damit nicht, Jüngere zu erreichen.

Hans Pongratz, CIO der TU München: "Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist so hoch, da müsste man einen Bruchteil davon für die IT begeistern können."

Zwar steigt die Zahl der Informatikstudenten jedes Jahr - aber nur um etwa ein Prozent. Das kann die hohe Nachfrage nicht decken. Zudem liegt die Abbrecherquote im Informatikstudium laut Statistik des Branchenverbandes Bitkom bei etwa 50 Prozent. Vielleicht liegt die hohe Zahl der Abbrecher auch darin begründet, dass selbst IT-Interessierte an den Universitäten das Berufsbild nicht klar genug vermittelt bekommen. "An unserer Uni gab es kaum Vorträge, in denen man auf ein Leben nach der Uni vorbereitet wurde", erzählt die 22-jährige Bio-Informatikerin Iris Langenbahn. Interesse seitens der jungen Generation an den Vorträgen wäre also schon mal vorhanden.

Die Kampagne richtet sich explizit nicht nur an ITler. Gezielt sollen mit #sharepassion4IT auch Studenten aus anderen Fachbereichen angesprochen werden. CIO kann schließlich auch werden, wer keinen IT-Hintergrund hat, wie Thomas Henkel erzählt. Gerade Quereinsteiger, die nicht nur mit einer Technikbrille Probleme angehen, können weiter aufsteigen. "Das Gros der Fachfremden kommt bei uns aus dem BWL-Bereich, dann Ingenieure und Juristen", bestätigt Amer-Sports-CIO Henkel.

Carsten Trapp, CIO von Sick: "In Brüssel war ich bei der Verkündung der Pledge dabei und habe mich spontan entschlossen, mitzumachen. Ich will mir pro Quartal etwa acht Stunden Zeit nehmen, das ist es mir wert."

Kommt die Aktion früh genug? Immerhin fehlen die Fachkräfte schon jetzt - und bis ein Systemarchitekt ausgebildet ist, dauert es. "Besser jetzt als in einem Jahr", sagen die befragten CIOs übereinstimmend. Und: "Wir müssen etwas tun." Sie glauben an die Kampagne, obwohl es durchaus Bedenken gibt. Aktionen wie der "Girls’ Day", der gezielt MINT-Berufe für junge Frauen attraktiv machen soll, weisen kaum Erfolge auf. "Bloß weil andere damit gescheitert sind, heißt das doch nicht, dass wir damit nicht anfangen sollten", meint Henkel zuversichtlich. "Außerdem sind solche Aktionen oft gut gemeint - und schlecht gemacht."

Barcamp - CIOs treffen Generation Y

Foto: Pact Holding AG

Das europäische Netzwerk CIOnet lädt zum ersten Mal deutschsprachige CIOs ein, sich mit Schülern und Studierenden zu treffen. Die Münchener Veranstaltung startet am Mittwoch, 30. Oktober, ab 13 Uhr mit Impulsvorträgen und einem Kickoff-Abend ab 18 Uhr. Am Donnerstag, 31. Oktober, findet dann von 9 bis 16 Uhr das eigentliche Barcamp statt.

Mehr Info: #sharepassion4it