Die vielbeschworene Resilienz gehört zu den zentralen Themen, die das Marktforschungs- und Beratungshaus in seinen "strategischen Prognosen" für das Jahr 2022 und darüber hinaus aufgreift. "Die Lehre aus der Pandemie war, das Unerwartete zu erwarten und darauf vorbereitet zu sein, mehrere strategische Richtungen gleichzeitig einzuschlagen", sagt Daryl Plummer, Distinguished Research Vice President und Gartner Fellow.
Um widerstandsfähiger im Umgang mit Veränderungen zu werden, sollten Führungskräfte ihren Mitarbeitern verschiedene Arbeitsmodelle anbieten, die Effizienz verbessern und ihre Transformationsvorhaben schneller vorantreiben. Worauf sich CIOs ab 2022 einstellen sollten, hat Gartner in zehn zum Teil recht gewagten Vorhersagen zusammengefasst.
Prognose 1: Nutzer tricksen Algorithmen aus
40 Prozent der Konsumenten werden im Jahr 2024 bewusst Tracking-Methoden von Unternehmen austricksen, um die über sie gesammelten persönlichen Daten zu entwerten, erwarten die Analysten. Dadurch werde es schwieriger, Daten zu monetarisieren.
Die heftig umworbenen Nutzer würden zunehmend erkennen, welchen Wert ihre persönlichen Daten für kommerzielle Unternehmen haben, argumentiert Gartner. Vor allem, wenn ihnen aufgrund ihres Internet-Nutzungsverhaltens Produktempfehlungen zugespielt würden, reagierten Konsumenten immer häufiger allergisch. Eine Reaktion der Konsumenten darauf sei, solche Tracking-Methoden zu unterminieren. So übermittelten sie beispielsweise falsche Detailinformationen oder klickten auf Online-Werbeanzeigen, die sie gar nicht interessieren. Auf diese Weise würden Algorithmen in die Irre geführt.
Prognose 2: Unternehmens-Teams ohne Chef
Im Jahr 2024 werden 30 Prozent der "Corporate Teams" ohne einen dezidierten Chef arbeiten, lautet eine weitere Prognose. Grund dafür sei die selbstbestimmte und "hybride" Art des künftigen Arbeitens. Im Zuge der Covid-19-Pandemie hätten sich agile Methoden in vielen Unternehmen durchgesetzt; Geschäftsprozesse wurden verschlankt und optimiert. An die Stelle von zentral getroffenen Entscheidungen sei vielerorts ein Netzwerk-basierter Peer-to-Peer-Prozess getreten. Damit ließen sich Engpässe vermeiden und Entscheidungen beschleunigen, argumentieren die Auguren.
"Die klassische Rolle des Managers als Befehlsgeber und Controller ist ein echter Hemmschuh, wenn es darum geht, mehr Business-Agilität mithilfe autonomer Teams zu erreichen", erläutert Plummer. Zwar müsse die Arbeit in Unternehmen auch in Zukunft, geplant, priorisiert und organisiert werden. Nach seiner Einschätzung komme es aber darauf an, das Management von der traditionellen Rolle des Managers zu entkoppeln. Nur so ließen sich die Potenziale agiler Methoden und hybrider Arbeitsmodelle ausschöpfen.
Prognose 3: Synthetische Daten reduzieren das Sammeln von Kundendaten
Bis 2025 werden sich mehr Unternehmen auf synthetische Daten stützen, was dazu führen werde, dass sie weniger persönliche Kundendaten sammeln müssten, prognostizieren die Marktforscher. Damit ließen sich Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen in den meisten Fällen verhindern.
Unter synthetische Daten verstehen die Analysten Datensätze, die nicht durch reale Messungen oder Erhebungen entstehen, sondern mithilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens künstlich erzeugt werden. Mit den Fortschritten im Bereich der künstlichen Intelligenz werden solche Simulationen in der Praxis an Bedeutung gewinnen, erwartet Gartner. In der Folge würden Organisationen tendenziell weniger sensible Daten sammeln, nutzen und teilen. Das sei insbesondere angesichts der regional sehr unterschiedlichen Datenschutzgesetze ein wichtiger Vorteil.
Prognose 4: Cyberattacken werden als kriegerischer Akt verstanden
Eine düstere Prognose trifft Gartner mit Blick auf die immer professioneller ausgeführten Cyberangriffe auf Unternehmen und Behörden: Eine Cyberattacke könnte bis 2024 die kritische Infrastruktur eines G20-Staates derart beschädigen, dass dieser Vergeltung in Form eines physischen Angriffs üben werde.
Bisher, so die Auguren, wurde ein Cyberangriff meist als kriminelle Handlung, nicht aber als kriegerischer Akt verstanden. Doch das Ausmaß der Schäden an der kritischen Infrastruktur durch breit angelegte Attacken habe zu einem Umdenken geführt. Nicht wenige Regierungen bereiteten sich auf den "Cyber War" vor und bauten dafür dedizierte Verteidigungseinheiten auf.
Prognose 5: Modulare Organisationen agieren erfolgreicher
Bis 2024 werden 80 Prozent der CIOs ein "modulares Business Redesign" als einen von fünf Haupttreibern für bessere Geschäftsergebnisse betrachten, erwartet Gartner. Die Analysten beziehen sich dabei auf den schon 2020 eingeführten Begriff des Composable Business. Mit modular aufgebauten Einheiten und Assets soll es gelingen, eine widerstandsfähige, also resiliente Struktur für Unternehmen zu schaffen, die mit den ständigen Veränderungen besser umgehen kann.
"Progressive CIOs verändern ihr Mindset und begreifen Volatilität als Chance", erklären die Auguren. Der Umbau in Richtung "Business Composability" reduziere wechselseitige Abhängigkeiten und erlaube es beispielsweise, Arbeitsschritte schnell und einfach neu zusammenzusetzen. Auf diese Weise ließen sich Risiken, die durch die wachsende Veränderungsgeschwindigkeit entstehen, besser managen. Damit steige auch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Prognose 6: Abschied vom "Poor-fit"-Kunden
Wenn ein Kunde nicht recht zum Unternehmen und dessen Produkten passt, ist das auf den ersten Blick kein Problem. Er kauft einmal ein und verabschiedet sich dann auf Nimmerwiedersehen. Tatsächlich aber können solche Kunden durchaus Schaden anrichten, führt Gartner aus. Sie erforderten eine intensivere Bearbeitung und verursachten damit zusätzliche Kosten. Auf lange Sicht könnten sie zudem der Marke schaden und sogar die Geschäftsergebnisse belasten.
Laut Gartner werden Führungskräfte deshalb damit beginnen, solche Kandidaten aktiv zu identifizieren und gegenzusteuern. Bis 2025 würden drei Viertel der Unternehmen solche "Poor-fit"-Kunden explizit aussortieren. Der wichtigste Grund dafür: Die Kosten, sie zu halten übersteigen die Akquisitionskosten von "Good-fit"-Kunden, die dem Unternehmen auf lange Sicht treu bleiben.
Prognose 7: Afrikanische IT-Talente auf dem Vormarsch
Bis zum Jahr 2026 wird die Zahl der Technikexperten auf dem afrikanischen Kontinent um 30 Prozent steigen, prognostiziert Gartner. Damit entwickle sich ein Startup-Ökosystem, das verstärkt Venture Capital anziehe und mit dem asiatischen Wirtschaftsraum konkurriere.
Mehr Wagniskapital aus dem Ausland sorge dafür, dass in einigen afrikanischen Staaten "Innovation Hubs" entstünden. Diese beförderten vor allem die Zusammenarbeit von großen Unternehmen mit Startups und zögen weitere IT-Talente an. Schon jetzt, so die Auguren, werde die aufstrebende Tech-Szene in Kenia als "Silicon Savannah" bezeichnet, das milliardenschwere Umsätze verspreche. Das locke weitere Entrepreneure, Investoren und Technikspezialisten an. Gartner rechnet mit annähernd 900.000 professionellen Software-Entwicklern in den kommenden drei Jahren, die sich vor allem über informelle Bildungskanäle qualifizierten.
Prognose 8: Non Fungible Tokens (NFTs) als Marketing-Beschleuniger
Mithilfe von Non Fungible Tokens wird es einem Unternehmen bis zum Jahr 2026 gelingen, in die Top 10 der am höchsten bewerteten Firmen aufzusteigen, erwarten die Analysten. Bei NFTs handelt es sich um nicht ersetzbare (englisch: non-fungible) digital geschützte Objekte. Sie basieren auf einer Zeichenkette, die nicht austauschbar oder kopierbar ist. Im Grunde sind NFTs nichts anderes als digitale Echtheits- und Eigentumszertifikate, die auf einer Blockchain eingesetzt werden und mit realen digitalen oder physischen Vermögenswerten verknüpft sind. Genutzt werden NFTs beispielsweise, um digitale Werke wie Memes oder computergenerierte Kunstwerke als Einzelstücke zu kennzeichnen.
Gartner geht davon aus, dass bis 2024 die Hälfte aller börsennotierten Unternehmen die Technologie einsetzt, um ihre Marke oder ihre digitale Präsenz im Markt zu stärken. Im Laufe der Zeit, so die Analysten, würden sich NFTs zu einem mächtigen Marketing-Tool entwickeln, das die Bewertung von Unternehmen verbessere.
Prognose 9: Low-Orbit-Satelliten bringen Internet zu den Ärmsten
Satelliten mit niedriger Umlaufbahn (Low Orbit Satellites) ermöglichen auch in entlegenen und nicht erschlossenen Regionen stabile Internet-Verbindungen. Gartner geht davon aus, dass so bis zum Jahr 2027 eine Milliarde der ärmsten Menschen weltweit zusätzlich das Internet nutzen könnten. Die Hälfte davon würde damit sogar einen Weg aus der Armut finden.
Im Vergleich zu landgestützten Mobilfunk-Basisstationen verursachten Satellitensysteme erheblich niedrigere Installations- und Betriebskosten, argumentieren die Analysten. Auf diese Weise ließe sich die Netzabdeckung mit vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand auch auf Regionen mit niedriger Bevölkerungsdichte ausdehnen. "Konnektivität ermöglicht Partizipation, sowohl in ökonomischer als auch in politischer Hinsicht", beschreibt Gartner-Experte Plummer die Vorteile.
Prognose 10: IT-gestützte Verhaltensforschung wird zum Erfolgsfaktor
Die letzte gewagte Vorhersage lautet: Ein Viertel der Fortune-20-Unternehmen wird bis zum Jahr 2027 durch Firmen verdrängt, die besonders erfolgreich im Erforschen und Beeinflussen unbewussten menschlichen Verhaltens sind.
Plummer verwendet dafür den Kunstbegriff "Neuromining". Es gehe dabei nicht um Gedankenkontrolle, betont er. Vielmehr werde es einigen Unternehmen gelingen, Verhaltenswissenschaften und Technologie so zu verknüpfen, dass sie menschliches Verhalten besser verstehen und in großem Maßstab beeinflussen könnten. "Die Gewinner der nächsten Dekade werden Experten in Sachen Neuromining sein", prophezeit der Gartner-Experte.