Die Corona-Epidemie hat uns in kürzester Zeit dazu gezwungen, unser Arbeits- und Schulleben komplett zu ändern. Unser bisher physischer Arbeitsplatz wurde nach Hause verlagert; unsere täglichen Arbeitsprozesse, Besprechungen, Teamsitzungen, Konferenzbesuche und Weiterbildungsveranstaltungen in den virtuellen Raum. Statt sich zwischen verschiedenen Konferenzräumen physisch zu bewegen, wechselten wir zwischen verschiedenen virtuellen Konferenztools.
Die tagtäglichen Einladungen zum "daily check in" im Team und/oder mit Führungskräften fanden sich in vielen Kalendern. In den virtuellen Raum verlegt wurden auch die wöchentlichen Sport- und Yoga-Stunden, der wöchentliche Apero oder das regelmäßige Work-Out-Treffen mit Kolleginnen und Kollegen. Nicht selten klangen fachliche Meetings mit einem inoffiziellen Teil im heimischen Wohnzimmer-Call bei einem Glas Bier oder Wein aus.
Digitalisierung im Zeitraffer
Die Veränderungen waren extrem. Die Geschwindigkeit, in der sie passierten, war phänomenal. Wer technische oder fachliche Fragen hatte oder sich in puncto Home Office oder virtuelles Arbeiten noch schulen lassen wollte, hatte kein Problem, in dem entstehenden inflationären Angebot an Webinaren und Online-Kursen fündig zu werden. Die Angebote umfassten so gut wie alles: Werkzeuge im Home Office, Gestaltung des Home-Office-Bereiches, virtuelle Zusammenarbeit in Teams, virtuelle Führung - aber auch Meditation und Achtsamkeit, Zeitmanagement, Selbstorganisation, wertschätzende Kommunikation auch im virtuellen Team - um nur eine kleine Auswahl wiederzugeben.
Chance für Experimente
Egal, wie es in einer Zeit nach oder mit Corona weitergeht - zurück zur Präsenzkultur, primär virtuell oder in Mischformen - eines wird deutlich: wir haben die Corona-Wochen genutzt, um zu experimentieren und zu lernen. Als Individuum, im Team und im Unternehmen.
Technisch beim Umgang mit neuen Tools, organisatorisch beim Management der Arbeitsphasen zu Hause und in Bezug auf unternehmensinterne Abstimmungen, persönlich in Hinsicht auf virtuelle Kommunikationsfähigkeiten, virtuelles Auftreten (bewusste Gestaltung des Hintergrundbildes) und virtuelle Führung von Teams. Die Chance, ein zukünftig auch unabhängig von Corona zu erwartendes virtuelles, digital-vernetztes Arbeitsleben auszuprobieren und zu lernen, haben wir genutzt. Es ging auch nicht anders - der Druck war zu groß.
Kontrast Home Schooling
Und was ist mit den Schülerinnen und Schülern? Auch sie mussten innerhalb kürzester Zeit die Schulbank mit dem Wohnzimmer- oder Küchentisch austauschen. Viele erfuhren erst Freitag, dass sie ab dem nächsten Montag nicht mehr in die Schule dürfen. Die meisten ahnten damals noch gar nicht, wie lange das "Home Schooling" tatsächlich dauern sollte.
Auch sie mussten sich in die neue Situation einfinden. Diese sah aber meist ganz anders aus als sie es bei ihren Eltern beobachten konnten: die Aufgabenblätter wurden per Post, Einwurf oder PDF zugestellt; die dazu gehörigen Anweisungen erreichten SchülerInnen in MEBIS, in schulindividuellen Elternportalen, E-Mails und manchmal auch über Whats-App-Gruppen. Die unterschiedlich zugestellten Arbeitsblätter mussten dann dezentral bearbeitet werden.
Zwischen zwei Kommunikationswelten
Kommunikation mit den Lehrkräften? Fand zumindest in den ersten Wochen so gut wie gar nicht statt. Ansprechpartner waren bei Rückfragen die Eltern, die sich ihre Tage zwischen Home Office und Unterstützung des Home Schooling neu strukturieren mussten. Aus Sicht der SchülerInnen muss sich ein fast schon bizarres Bild ergeben haben: Ihre Eltern erlebten und sahen sie fast täglich arbeitend und kommunizierend in virtuellen Meetings und Arbeitsräumen. Sie selbst saßen vor ausgedruckten Arbeitsblättern. Eine Interaktion mit ihren Lehrkräften und auch Mitschülern fehlte weitgehend.
Zum Glück hatten die SchülerInnen ihre Apps, um mit Freundinnen und Freunden im virtuellen Kontakt zu bleiben. So hatten sie zumindest privat die virtuellen interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten, die sie bei ihren Eltern tagtäglich im beruflichen Kontext beobachten konnten.
Doch die Situation hat sich mittlerweile in vielen Schulen verbessert: Online-Tools werden eingesetzt, die SchülerInnen kommunizieren mehr und mehr mit ihren Lehrkräften, digitale Lehr- und Interaktionsmöglichkeiten werden genutzt. Ob und wie gut es gelingt, hängt oft davon ab, ob sich in den Schulen engagierte Lehrkräfte finden, die sich um die digitale Lehre kümmern.
Dass es gelingen kann, zeigen nicht zuletzt auch Beispiele aus anderen Ländern wie England, Italien oder Finnland: Schülerinnen und Schüler haben mehrere Stunden strukturierten Online-Unterricht, in dem zum Beispiel vorher verteilte Arbeitsblätter gemeinsam bearbeitet werden oder - im Sport- oder auch Mathematikunterricht - die Übungen per Video zum Nachmachen und Nachvollziehen gezeigt werden.
Potenziale der Digitalisierung nutzen
Leider wissen wir momentan noch nicht, wie es nach den Sommerferien weitergehen wird: Können wir auf unseren gewohnten physischen Schulalltag hoffen oder müssen wir uns auch weiterhin auf hybrides Schooling einstellen; das heißt auf einen ständigen Wechsel zwischen physischem Präsenz-Unterricht und digitalem Home Schooling?
Vielleicht ist dies aber gar nicht so sehr die entscheidende Frage. Vielleicht sollten wir uns vielmehr überlegen, wie wir "digitales Schooling" zukünftig generell stärker in den Unterricht integrieren können - unabhängig davon, ob dieser zu Hause oder in der Schule stattfindet. Wir können und sollten - wie im Arbeitsleben auch - die Potenziale der Digitalisierung auch unabhängig von der Notwendigkeit eines digitalen Home Schooling nutzen.
Aus unseren mehr als zehnwöchigen Home-Office-Zeit können wir dabei vor allem drei Punkte lernen:
(1) Home Office hat funktioniert, da alle mussten und der übergreifende Konsens vorhanden war, dass alle von zu Hause arbeiten dürfen und sollen. Denselben Konsens brauchen wir für Schulen: digitale Bildung ist Bestandteil zukünftiger Schulbildung - egal ob im Home Schooling oder im physischen Präsenzunterricht.
(2) In der Umstellung auf Home Office wurde experimentiert, wurden Fehler gemacht. Wir haben uns darüber amüsiert und daraus gelernt. Und wir haben mitunter auch eines der vielen angebotenen Webinare besucht, um zu lernen und mit der neuen Situation noch besser zurecht zu kommen. Diese Lern- und Experimentierkultur brauchen wir auch für digitale Schule: gemeinsam mit Schülern können wir Konzepte, Formate, Medien und Tools ausprobieren und damit die digitale Lehre schrittweise verbessern und weiterentwickeln. Das Angebot kurzer, themenbezogener Webinare wie auch digitaler Räume, in denen sich Lehrkräfte vernetzen und schulübergreifend wie auch standortübergreifend austauschen, ist zu unterstützen.
(3) Die Zeit im Home Office lässt sich auch als Test zukünftig digital-vernetzter Arbeitswelten verstehen. Diskutiert wurden diese virtuelle Formen der Arbeit schon lange; tatsächlich umgesetzt aber nur zum Teil. Für eine neue Normalzeit nach oder mit Corona sind sich viele Umfragen jetzt schon einig: Home Office und virtuelle Arbeitsformen bleiben neben klassischen Büroarbeitsplätzen etablierte Arbeitsmodelle. In Konsequenz werden Kompetenzen für virtuelles Arbeiten wie digitale Medienkompetenzen, virtuelle Kommunikationskompetenzen aber auch Meta-Kompetenzen wie Selbstorganisation und Selbstmanagement immer wichtiger.
Genau diese Kompetenzen vermittelt digitales Schooling quasi automatisch. Dann sehen Schüler nicht nur, wie ihre Eltern im Home Office arbeiten, sie erleben es selbst und lernen es. Gleichzeitig merken sie: virtuelle Medien lassen sich auch in ihrem Alltag sinnvoll integrieren - nicht nur abends im virtuellen Chat mit ihren Freunden. (rs)