Hypes können ganz gewaltig nerven. Aus CIO-Sicht aber nicht nur das. Denn zumeist werfen aggressiv vermarktete technologische Neuerungen ganz entscheidende Fragen auf: Handelt es sich tatsächlich um einen bloßen Hype – also eine Luftblase, für die man besser keine Firmengelder verschleudert? Oder ist es dieses Mal eine wirklich essentielle Innovation, ohne die man am Ende blank und doof dasteht? Das Verpassen des technologischen Anschlusses kann einen IT-Chef schließlich seinen Job kosten.
Oft lässt sich selbst im Nachhinein nicht völlig klären, ob man auf eine Technologie nun zu früh, zu spät oder gerade zum optimalen Zeitpunkt aufgesprungen ist. Für unsere amerikanische Schwesterpublikation Computerworld.com hat die Autorin Minda Zetlin vor diesem Hintergrund Beispiele gesammelt, in denen CIOs nachweislich gut daran taten, nicht blind einem Trend zu folgen.
Produkt unausgereift
Ein eindeutiges Beispiel kann Bill Weeks liefern, heute CIO der Vermögensverwaltung SquareTwo Financial. Vor Jahren in anderen Diensten lehnte Weeks es ab, in eine Leasing-Management-Software zu investieren. Zu geringen funktionalen Mehrwert schien sie zu bieten, eine Ansammlung von Powerpoint-Slides nährte den Blendwerk-Verdacht. Der Zufall wollte es, dass Weeks später bei einem Unternehmen anheuerte, das eben jene Software angeschafft hatte. Er fand sich bestätigt: Das Produkt war tatsächlich unausgereift und erfüllte die Erwartungen nicht, stattdessen war sein neuer Arbeitgeber in eine mehrjährige Zwangsehe ohne signifikanten Nutzen gebunden.
Die Gewissheit, richtig gehandelt zu haben, ist sicherlich erfreulich. Hilfreicher sind allerdings Tipps, wie sich vorab feststellen lässt, ob man besser abwartet. Zetlin arbeitet deshalb vier Szenarien heraus, in denen sich Zurückhaltung oftmals lohnt.
1. Die Technologie kommt zu früh: „Das Timing spielt eine wichtige Rolle“, sagt Rob Meilen, CIO bei Hunter Douglas North America, einem Hersteller von Fenstervorhängen. Ein Produkt könne manchmal an sich gut sein, aber nicht sofort. Meilen erinnert sich an seine Zeit in Diensten einer Handelskette, als er sich gegen eine frühe Version von Google Wallet entschied.
Zu früh für Google Wallet
„Die Technologie war in Teilen vielversprechend, aber noch nicht gut genug durchdacht“, so Meilen. „Sie hätte am Kundentelefon hervorragend funktioniert, aber Google hatte die Verbindung zu meinen Enterprise-Systemen noch nicht vorbereitet.“ Zur fraglichen Zeit hätten die meisten Smartphones auch noch nicht über Near Field Communication verfügt, was den Mehrwert von Google Wallet jetzt erhöht.
Insgesamt halten es viele CIOs für klug, nicht als Versuchskaninchen für neue Technologien zu dienen. Ein First Mover zu sein ist oft nicht ratsam. „Bevor es nicht eine Reihe positiver Use-Cases gibt, existiert kein wissenschaftlich fundierter Weg, Hype und Wirklichkeit zu trennen“, sagt Rachel Dines, Analystin bei Forrester Research. Einem möglichen hohen Nutzen stehe dann immer enormes Risiko gegenüber.
Aus eigener Erfahrung kann das Kevin Roberts bestätigen, CIO der Abilene Christian University in Texas. In den später 1990er-Jahren habe es dort eine enorme Begeisterung für die Idee des papierlosen Büros gegeben, weshalb man früh auf den Document-Imaging-Zug aufgesprungen sei. Anders als heute konnten die Dokumente damals aber nicht getaggt werden, um schnell wieder gefunden zu werden. „Wir haben eine Menge Geld dafür ausgegeben, aber wir haben es nicht zum Laufen gebracht“, erinnert sich Roberts.
2. Zweifel am Anbieter: Oft sind es kleine Start-Ups, die die innovativsten Produkte auf den Markt bringen. Für einen CIO ist das nicht unbedingt ideal. Bill Weeks erinnert sich an den Moment, als er feststellte, dass sein Unternehmen der einzige Kunde eines solchen Anbieters war. Das Produkt sei zwar großartig gewesen, aber es habe jederzeit ein Ausfall des Supports und der Weiterentwicklung gedroht – zumal es schwierig sei, eigene Entwickler mit einem fremden Quellcode arbeiten zu lassen. Tatsächlich verschwand der Anbieter nach einem Jahr von der Bildfläche, weil die Finanzbasis zu unsolide war.
Unabhängig davon äußert Weeks weitere Bedenken. Schließlich riskiere man durch die Zusammenarbeit mit einem neuen Nischenanbieter die eingespielte Zusammenarbeit mit etablierten Partnern. Große Anbieter dürften das Ausprobieren einer neuen Partnerschaft misstrauisch beäugen. Möglicherweise sei man aus Sicht der Etablierten dann kein hochprofilierter Kunde mehr. „Man könnte weniger Aufmerksamkeit, weniger Fokus und weniger Expertise erhalten“, so Weeks. „Ich sage nicht, dass man seine Entscheidung alleine darauf abstellen sollte, aber es sollte zumindest bedacht werden.“
Zu facettenreich für Public Cloud
3. Wir sind nicht bereit: Es kommt auch vor, dass das Produkt gut ist und keinerlei Zweifel am Anbieter angebracht sind – und dass dennoch ein Verzicht sinnvoll ist. Nämlich dann, wenn das eigene Unternehmen nicht so aufgestellt ist, einen möglichen Mehrwert auszuschöpfen. Aus diesem Grund verwarf beispielsweise Jason Cohen, CIO der Holding Diversified Agency Services (DAS), den Schritt in die Public Cloud.
Unter dem DAS-Dach firmieren weltweit 190 Werbeagenturen und Kommunikationsfirmen. „Unsere Unternehmen haben alle verschiedene IT-Footprints sowie unterschiedliche Prozesse und Prozeduren“, berichtet Cohen. „Also stellten wir fest, dass die Public Cloud unter diesen Umständen ein echtes Risiko darstellte.“ Man sei weder beim Storage noch beim E-Mailing für diesen Schritt reif gewesen. Deshalb habe man sich dafür entschieden, erst einmal selbst einen integrierten IT-Ansatz zu entwickeln. In die Wolke könne man möglicherweise danach aufbrechen.
Meilen weist darauf hin, dass man vor der Implementierung einer neuen Technologie entscheiden müsse, ob die eigene IT-Abteilung alle damit verbundenen Aufgaben schultern könne. Insbesondere kleine Start-Up-Provider benötigten die aktive Unterstützung durch ihre Partner.
4. Es läuft uns aus dem Ruder: Alleine die immer kürzeren Innovationszyklen können CIOs überfordern. „Es gab einmal Zeiten, als neue Technologien und neue Methoden in akzeptablem Tempo aufkamen“, so CIO Roberts. Damals habe man Zeit gehabt für eine gründliche und wohlüberlegte Investitionsentscheidung. Alleine das mittlerweile erreichte Ausmaß an Beschleunigung zwinge ihn immer häufiger dazu, schlichtweg Nein zu sagen.
Wohin das Gegenteil führen kann, untermalt wiederum Weeks mit einem Beispiel. Ein früherer Arbeitgeber habe für drei Jahre zehn Millionen US-Dollar in ein SAP-System gesteckt. Das Problem: Das Projekt war nicht solide durchfinanziert, sondern wurde aus dem operativen Budget gestemmt. Unglücklicherweise traf die Branche bereits im zweiten Jahr eine Rezession, es fiel deshalb kein Gewinn ab. „Sie feuerten deshalb den CIO“, so Weeks.
Plädoyer für gesundes Risiko
Und das sogar wegen einer bewährten Technologie, die sich auf Dauer fraglos gerechnet hätte. „Wenn sie konservativer vorgegangen wären, möglicherweise durch eine stufenweise Implementierung, wäre das Projekt viel erfolgreicher gewesen“, meint Weeks.
Trotz dieser eindrucksvollen Szenarien bleibt am Ende ein Dilemma. Denn oft genug muss ein CIO schnell Ja zu einer neuen Technologie sagen. Die von Computerworld.com-Autorin Zetlin befragten CIOs nennen gute Beispiele. Wer etwa einen Tick zu lange mit der Storage-Virtualisierung wartete, zahlte am Ende sinnlos bei der Hardware drauf. Wer immer noch auf Mainframes sitzt, bekommt allmählich Probleme beim Support. „Ich glaube nicht, dass viele Hochschulabsolventen sagen: Ich will Mainframes unterstützen“, bemerkt Weeks süffisant.
Meilen erinnert sich an einen Spruch aus seinen Zeiten als Berufsanfänger: Es sei Teil derCIO-Rolle zu wissen, welchen Frosch man küssen soll. Volle Kanne in die neue Technologie oder erst einmal Vorsicht? „Das kann nicht per Zufall entschieden werden“, so Meilen. „Es ist ein wichtiges Element unserer Arbeit, dass wir manche Risiken aufgrund neuer Technologie eingehen.“
Die IT und der CIO als ihr Chef zählten zu den wenigen Funktionen im Unternehmen, die die Verantwortung zur Übernahme von Risiken hätten. „Wenn man immer auf Nummer Sicher geht, dient man dem Unternehmen nicht in dem Umfang, in dem man es könnte oder sollte“, urteilt Meilen in aller Klarheit.