Seien wir ehrlich. Die meisten von uns kennen diese Herausforderung als eine, die wir täglich aufs Neue meistern müssen: Der Job verlangt von uns, dass wir eine klare Führungsrolle einnehmen, Entscheidungen treffen und ein Projekt über personelle Befindlichkeiten hinweg voranbringen. Nach Feierabend sind wir als Teamplayer gefragt, als jemand, der auch schon mal geführt wird – von Frau, Mann oder den Kindern. Sie haben den ganzen Tag auf Ihren Vater oder Ehepartner gewartet. Immer wieder ist genau das ein Thema beim Führungskräfte Coaching.
Der Weg aus dem Büro nach Hause reicht aber häufig nicht aus, um den Rollentausch vom Leader im Job hin zum Familienmensch im Privatleben zu schaffen? Nicht, weil wir nicht alle gewillt sind, diesen Rollentausch zu vollziehen. Wohl aber, weil es uns viel zu oft nicht gelingt, abzuschalten, den Fokus zu ändern oder unsere beiden Rollen klar voneinander abzugrenzen. Lassen Sie es mich in aller Klarheit formulieren: Wer Führungskraft sein will, muss sich auch wie eine Führungskraft verhalten. Aber bitte nur im Job.
Zwei Welten, zwei Rollen – wie geht das?
Wie kann er gelingen, unser täglicher Rollentausch? Wie können wir von morgens bis in den späten Nachmittag unsere Mitarbeiter führen, um dann den Rest des Tages Familienmensch zu sein? Wie gelingt der Wechsel vom lösungsorientierte Businessalltag ins positiv wie negativ von Emotionen dominierten Privatleben?
Wenn man so will, ist es der tägliche Schritt von der einen in die andere Welt, der nicht gelingen will. Gerade jetzt, nach der Urlaubszeit, in der viele hoffentlich ein paar Stunden mehr mit Freunden und Familie verbracht haben. In der der Job nicht 24 Stunden am Tag die Nummer eins war. Alles vergessen, wenn der Fokus jetzt wieder klar auf dem "normalen" Business-Alltag liegt? Ich hoffe nicht.
Aus meiner täglichen Praxis beim Führungskräfte Coaching in Konzernen, international tätigen Unternehmen und mittelständischen Betrieben kenne ich viele Rollen. Zwei typische und ein immer noch eher untypisches Beispiel möchte ich kurz skizzieren.
Fall1: Er Chef, sie Familie
Herr A. ist Geschäftsführer eines mittelständischen IT-Unternehmens. In seiner Rolle als Entscheider ist er weltweit unterwegs und oftmals nur am Wochenende zu Hause. Seine Frau hat ihren Job als Personalberaterin zunächst einmal hintenangestellt. Seit nunmehr fünf Jahren ist sie zu Hause und kümmert sich um die beiden Kinder. Herr A. ist sich im Führungskräfte-Coaching seiner Doppelrolle und den damit einhergehenden Herausforderungen des Rollenwechsels zwischen Leader und Familienmensch sehr wohl bewusst.
Seine Frau habe sich zuletzt immer häufiger beschwert, dass er gefälligst den Befehlston ablegen solle. Sie sei schließlich nicht seine Angestellte. Zu Hause ist er nicht der Chef, sondern Ehemann und Vater. Seine Erkenntnis: "Gut, dass sie das so offen sagt, sonst würde ich das am Ende gar nicht immer realisieren."
Fall 2: Sie Chef, er Chef, beide Familie
Frau Dr. L. ist Geschäftsführerin in einem großen Krankenhaus. Ihr Mann ist etwa zehn Jahre älter als sie. Gemeinsam haben sie fünf Kinder großgezogen. Die beiden haben ihre Karrieren aufeinander abgestimmt. Als die Kinder klein waren, hat er seinen Job gelebt, heute unterstützt er seine Frau bei ihrer Karriere.
Beide haben in unterschiedlichen Phasen des Lebens beide Rollen gespielt. Das führt dazu, dass beide echtes Verständnis für die Belastungen und Schwierigkeiten haben, die mit dem Rollentausch zusammenhängen. Sie tauschen sich oft darüber aus, unterstützen sich gegenseitig. Durch die eindeutige Karriere-Teilung hat immer auch ein Elternteil die Rolle "Erziehung" in der Familie gespielt. Einzig wünscht sie sich etwas mehr emotionale Unterstützung in Phasen eigener Schwäche.
Fall 3: Sie Chef, er Familie
Noch ein Beispiel aus meinem Führungskräfte Coaching: Frau T. ist Geschäftsführerin in einer international tätigen Agentur. Vor acht Monaten ist sie Mutter einer Tochter geworden. Ihr Mann hat die Rolle des Hausmanns übernommen. Frau T. ist gerne Führungskraft und wenn sie nach Hause kommt auch ebenso gerne Mutter. Ihr Business hat sie im Griff. Im Privatleben kommt es öfter zu Streit. Weil ihr Mann sie als seine Frau vermisst und er seine Rolle als Hausmann nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfüllt. Manchmal glaubt sie, dass sie ihn besser genauso führen sollte, wie ihre Mitarbeiter.
Führungsrolle mit nach Hause nehmen? Bitte nicht!
Zu Hause ebenso führen zu wollen, ist sicherlich nicht die beste aller Lösungen. Vielmehr geht es doch darum, seine Rollen anzunehmen, sich in beiden zu finden und sie gerne zu spielen. Meine Erfahrung aus dem Führungskräfte-Coaching zeigt, dass eine wichtige Grundlage das Bewusstsein für die mit der jeweiligen Rolle verbundenen Erwartungen ist.
Die Erwartungen des Jobs an uns als Leader sind in den meisten Fällen klar. Aber wissen wir auch, welche Erwartungen unseres privaten Umfeldes an uns hat? Kennen wir die Spielregeln und wissen wir sie so zu spielen, dass wir unseren eigenen Anspruch an den täglichen Rollenwechsel erfüllen können? Die folgenden fünf Tipps zeigen Wege auf, wie Vereinbarkeit von Job und Familie gelingen kann - auch oder gerade als Führungskraft.
Tipp 1: Reden Sie mit Ihrem Partner
Definieren Sie ihre gegenseitigen Erwartungen. Sprechen Sie offen und ehrlich mit ihrem Partner und den Kindern. Fragen Sie, wie es ihnen geht und was sie verbessern können. Verlassen sie Ihre Komfortzone und noch wichtiger, Ihre Rolle als Leader. Nur so erfahren Sie, was man von Ihnen als Mitglied der Familie erwartet. Im Job wissen Sie es ja schließlich auch und können damit arbeiten. Das funktioniert auch in der Familie.
Tipp 2: Finden Sie gemeinsam Rituale und Lösungen
Schaffen Sie ein Miteinander und besprechen Sie bei Schwierigkeiten gemeinsame Lösungsmöglichkeiten. Reden Sie darüber, wie beide Seiten in Zukunft mit der Situation umgehen wollen. Legen Sie gegebenenfalls ein paar Handlungsweisen fest, wie Sie in Zukunft mit wiederkehrenden Konflikten umgehen wollen.
Wichtig: Unterziehen Sie diese auch einer regelmäßigen Prüfung. Dort können Sie übrigens jederzeit Ihre Erfahrung als Führungskraft nutzen. Denken Sie sich, es wären viele kleine Projekte, deren Status quo stetig überprüft werden muss, um am Ende erfolgreich zu sein. Im Rahmen meiner Führungskräfte-Coachings haben wir es ausprobiert. Es funktioniert! - ebenso übrigens, wie die weiteren Tipps.
Tipp 3: Nehmen Sie sich Zeit für sich
Nehmen Sie Tempo raus! Schaffen Sie Grenzen, indem Sie sich zum Beispiel auf der Fahrt nach Hause bewusst machen, dass Sie jetzt die Rolle des Leaders verlassen. Es hilft auch, wenn Sie für sich und Ihrer Familie oder Ihren Partner Begrüßungsrituale entwickeln: Die gemeinsame Tasse Kaffee, die Sie in der neuen Rolle willkommen heißt und bei der sie zusammen den Tag Revue passieren lassen - wohlgemerkt den Tag zu Hause, nicht den im Büro.
Oder machen Sie es wie ein Kunde von mir, der freitags immer etwas früher Feierabend macht und als Übergang in seine Familienrolle eine Stunde mit seinem Freund Tennis spielt. Jeden Freitag als festes Ritual, um runterzukommen und bereit zu sein für seine andere Rolle. Ich nenne das "Ich-Zeit". Die ist ganz wichtig, um den bewussten Rollenwechsel zu vollziehen.
Tipp 4: Ändern Sie den Fokus
Setzen Sie sich nicht unnötig durch Versprechungen unter Druck, die sich vielleicht nicht halten können. Was bringt es zum Beispiel Ihnen und Ihrer Familie, wenn Sie sich vornehmen, um 19 Uhr zu Hause zu sein und Sie dann das schlechte Gewissen plagt? Zum einen, weil Sie das Gefühl nicht loswerden, im Job nicht genügend abgeschlossen zu haben. Zum anderen, weil Sie zu wenig Zeit für die Familie haben. Sprechen Sie das Thema offen und ehrlich an. Ändern Sie gemeinsam mit ihrem Partner den Fokus. Ist das Glas wirklich halb leer, wenn es nicht gelingt, "pünktlich" Feierabend zu machen? Oder ist es vielmehr umso voller, wenn es sogar mal halb sieben wird?
Tipp 5: Übernehmen Sie Verantwortung für ihre Rolle
Entwickeln Sie eine klare Haltung zu ihren beiden Rollen. Fragen Sie sich, was Sie ganz persönlich in der jeweiligen Rolle wollen? Machen Sie sich bewusst, dass es immer eine Wahl gibt. Nichts muss immer und sofort - auch nicht im Job. Sie werden sehen, Ihre Kunden werden Verständnis dafür haben. Stehen Sie zu sich und Ihrer Entscheidung pro Rollenwechsel und kommunizieren Sie diese ganz offensiv.