Bangemachen gilt nicht, findet J.P. Gownder. Der Analyst von Forrester Research widerspricht entschieden jenen Unkenrufern, die durch Automatisierung und Roboter alleine in den USA 69 Millionen Jobs auf der Kippe sehen. In seiner Studie "The Future Of Jobs, 2027: Working Side By Side With Robots" proklamiert Gownder, dass Albtraumszenarien nicht eintreten werden. Eine Formulierung dazu lautet: "Roboter werden eine soziale Revolution vorantreiben - aber keine, die wir fürchten."
Keine Furcht vor sozialer Revolution
Netto werden durch Automatisierung in den Vereinigten Staaten bis 2027 rund 9,8 Millionen Jobs verloren gehen, kalkuliert der Analyst auf Basis offizieller Arbeitsmarktdaten. Das entspricht in etwa 7 Prozent der derzeit vorhandenen Stellen und ist nach Forrester-Einordnung ein zwar gewaltiger Verlust. Aber eben doch einer, der sich im Rahmen dessen bewege, was in den USA seit 2007 im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise an Stellen wegautomatisiert wurde.
Gownders Analyse besteht im Kern aus zwei Teilen. Auf einer allgemeinen Ebene setzt er sich mit diversen Prognosen auseinander, die das Horrorszenario eines singulären Jobverlusts malen. Ein zentrales Problem dabei sei, dass die durch Automatisierung in Zukunft geschaffenen neuen Stellen eben noch unbekannt seien. Der Analyst lädt seine Leser dazu ein, sich für die kommenden Jahre eine heute noch vollkommen unbekannte Branche vorzustellen - ein in der Tat schwieriges Unterfangen. Auf einer konkreteren Ebene arbeitet Forrester aus, wie sich Unternehmen auf den bevorstehenden Wandel einstellen können. Geliefert werden sechs Empfehlungen, die sich zumindest in der englischen Sprache prägnant verkürzen lassen: I&O PACT.
John Maynard Keynes warnte schon 1930
Bereits 1930 habe der Ökonom John Maynard Keynes der Begriff der durch Technologie bedingten Massenarbeitslosigkeit geprägt, so Gownder. Roboter seien seither auch Auslöser sozial und kulturell codierter Ängste. Und selbstverständlich finden diese Nahrung in Zeiten, in denen es neben physischen Robotern wie Aloft Hotels' Botlr und Rethink Robotics' Baxter auch Software-Roboter wie Amazons virtuelle Assistentin Alexa, kognitive Rechner-Intelligenz wie IBM Watson und Automatisierungslösungen wie Blue Prism gibt.
Forrester führt die Oxford-Professoren Carl Frey und Michael Osborne als Auguren einer möglicherweise fatalen Entwicklung an. Von ihnen stammt die These, dass die Hälfte der US-amerikanischen Jobs hochgradig und weitere 19 Prozent mittelmäßig gefährdet seien. Der Autor Martin Ford argumentiere, dass IBM's Watson Oncology bald unabhängig Diagnosen und Therapievorschläge liefern werde.
"Und wenn selbst Ärzte automatisiert werden können, ist nach dieser These kein White-Collar-Job sicher", kommentiert Forrester. Paradoxerweise falle es Robotern leichter, Schachweltmeister zu besiegen als Treppen zu steigen. Aber auch das könne gelernt werden - mit entsprechendem Risiko für manuelle Arbeit.
Strategische Entscheidungen auf drei Ebenen
Das mag in gewisser Weise so kommen. Aber laut Forrester sollte sich deshalb niemand ins Bockshorn jagen lassen. Sämtliche Unternehmen müssten allerdings schwierige strategische Entscheidungen treffen und dabei drei Ebenen im Blick haben:
1. Die Umgestaltung des Kundenerlebnisses: Im Dienste der Kunden verändere die Automatisierung etwa die operativen Technologien im Backend. Forrester nennt als Beispiel einen Flugzeugzulieferer, der für fehlerfreie und pünktliche Lieferungen Lastwagenfahrer durch Aethon Roboter ersetzt habe. Außerdem sei direkte Interaktion der Kunden mit Maschinen zu erwarten - dank Machine Learning, Natural Language Processing und andere Formen Künstlicher Intelligenz.
2. Auswirkungen auf die Arbeitnehmer: Damit Mitarbeiter gut und erfolgreich arbeiten, benötigen sie Anerkennung. Ein hauruckartiger Robotereinsatz, der die Mitarbeiter vom Unternehmen entfremde, dürfte sich deshalb kontraproduktiv auswirken.
3. Die gesamte Belegschaft ist betroffen: Die Integration von Automatisierungstechnologien wird laut Forrester Jahre dauern. Deshalb sei es alternativlos, sich in bestehenden Jobrollen um die besten verfügbaren Mitarbeiter zu bemühen. Falls irgendwann Stellen wegfallen, könne man die betroffenen Mitarbeiter hoffentlich anderweitig einsetzen. Man werde aber sowohl im technischen Bereich als auch anderswo - etwa in der Personalabteilung - neue Skill-Kombinationen benötigen, um erfolgreich zu sein. In jedem Fall werde die gesamte Personalstrategie von der Automatisierung betroffen sein.
Chancen zur Optimierung für Roboter, Kunden und Mitarbeiter
Chancen zur Optimierung gibt es laut Studie auf Seiten der Roboter, der Kunden und der Mitarbeiter. Roboter können beispielsweise organisatorische Probleme lösen, veraltete Software-Systeme neu zusammenfügen und wiederbeleben oder die Ausnutzung physischer Räume verbessern. Zu denken ist hier etwa an die automatische Platzierung von Fahrzeugen in Großgaragen. Die Reduzierung von Fehlerquoten und die automatische Ausführung von Routinetätigkeiten sind weitere Anwendungsfelder.
Auf Kundenseite geht es insbesondere um die präzise Vorhersage von Kundenbedürfnissen und um die Ermöglichung von Selbstbedienung. Hinzu kommt die Optimierung des Kundendienstes - wenn beispielsweise die Software Wartungsbedarf feststellt und deshalb einen Techniker losschickt.
Beim menschlichen Personal ist die Zusammenarbeit mit Robotern eine Chance einerseits, die aber andererseits auch ihre Grenzen hat. Für selten auszuführende Tätigkeiten etwa oder bei Beurteilungen mit ästhetischer Komponente sind diese Grenzen offensichtlich. Hinzu kommt der Wunsch der Kunden nach persönlichem Kontakt. Ein Masseur oder Personal Trainer sollte aus Fleisch und Blut sein - und auch im Supermarkt möchten die Kunden gerne menschliche Ansprechpartner haben.
Software schreibt schon Zeitungsmeldungen
Für die Nutzbarmachung komplexer Computerintelligenz liefert Forrester folgendes Beispiel. So gibt es inzwischen Lösungen für das Schreiben standardisierter Artikel - zum Beispiel über die Bilanzzahlen von Unternehmen. Associated Press (AP) könne so pro Quartal 4300 Artikel erstellen, während die beschäftigten Journalisten bisher nur 300 Stück beisteuern konnten. Sind die Autoren aber deshalb überflüssig? Im Gegenteil, so Forrester. Sie produzieren weiterhin die fraglichen 300 Artikel, sind dabei aber befreit von Standardarbeit und können sich umso stärker der Einordnung der Zahlen widmen.
I&O PACT - 6 Empfehlungen von Forrester
Für die Entwicklung eines strategischen Automatisierungsplans rät Forrester zum Vorgehen in sechs Schritten:
I - Identify key work processes: Zu identifizieren sind in diesem ersten Schritt zunächst einzelne Routinetätigkeiten, die Teil eines reifen Geschäftsprozesses sein sollten und sich für einen Automatisierungseinstieg eignen. Als Beispiele nennt Forrester das Formulieren von Marketing-E-Mails, den Gütertransport innerhalb der Lieferkette und das Begrüßen von Kunden im Geschäft.
O - Orchestrate collaboration: Als nächstes gilt es eine Brücke zu betroffenen Führungskräften zu bauen - bei den oben genannten Beispielen also zu Marketingmanagern, Betriebsdirektoren und den Verantwortlichen für den Kundendienst. Ihnen sollten Schulungen zu neuen Technologien angeboten werden. Das gilt aber immer auch für die Personalabteilung, weil diese das Change Management beim Robotereinsatz ausübt.
P - Pilot solutions extensively: Bei der Pilotierung von Lösung kann auf bestehende Prozesse zurückgegriffen werden - insbesondere wichtig bei Projekten mit Kundenkontakt. Diese Prozesse sollten einhergehen mit intensivierter Zusammenarbeit - und den entsprechenden Schulungen. Und vermutlichen müssen die KPIs angepasst werden. Nötig könnten etwa spezielle Leistungsindikatoren sein, die die effektive Nutzung von Robotern durch die Mitarbeiter messen.
A -Automate real-life processes: Auch beim tatsächlichen Einsatz von Automatisierungstechnologie sollte man den intern bewährten Best Practices folgen. Der Rückgriff auf KPIs ist weiterhin nötig, ebenfalls sollten Kunden und interne User eingebunden werden.
C - Connect to broader systems: Eine Verankerung in einem breiteren Kontext einer digitalen Strategie ist laut Forrester ratsam. Gemeint ist damit etwa das Zusammenknüpfen von Elementen der Backend-Systeme wie ERP und CRM mit Systemen für den Kundenkontakt wie Web, Mobile und In-Store.
T - Train workers continously: Die kontinuierliche Schulung der Mitarbeiter ist deshalb unumgänglich, weil diese mit ihren menschlichen Kollegen direkt kommunizieren können, mit den Robotern aber nicht. Forrester empfiehlt, klare kurz- und langfristige Schulungsziele zu definieren und KPIs für die Bewertung der erworbenen Kompetenzen zu nutzen.
Nötig ist alles das, weil - wenngleich nicht mit den übelsten Verlustkonsequenzen - Robotics auch in den Augen von Forrester mit einer sozialen Revolution einhergeht. Gownder malt einige Aspekte davon in seiner Studie aus. So wird es tatsächlich Arbeitskonflikte geben, wie auch schon zu Zeiten der industriellen Revolution. Aber diese werden die Entwicklung nach Forrester-Einschätzung nicht aufhalten. Abgeschnitten werde ein Entwicklungspfad für Entwicklungsländer. Denn das Offshoring von einfachen Dienstleistungs- und Fertigungsjobs sei keine Option mehr, wenn Roboter alles günstiger erledigen können als selbst die billigsten Arbeitskräfte.
Zu IQ und EQ tritt der RQ - Robotic Intelligence Quotient
Gleichzeitig werde eine Nähe zu den Robotern entwickelt. Denn diese kümmerten sich ums Wohlergehen und würden sogar zu Freunden. Ein - sicherlich ausbaufähiges - Beispiel dafür ist Microsoft Cortana. Arbeitnehmer müssen sich im Forrester-Szenario letztlich dahin entwickeln, für die Zusammenarbeit mit Robotern befähigt zu sein. Neben dem IQ und EQ wird demnach auch der RQ wichtig: der Robotic Intelligence Quotient.