Das Pferd ist aus der Scheune. So sagt man im Englischen, und so sagt es auch Don Tapscott, Professor an der University of Toronto, im Gespräch mit McKinsey Quarterly. In diesem Fall heißt der Hengst Social Media, trampelt die E-Mail nieder und öffnet so neue Wege fürs Knowledge Management. Das Problem dabei umreißt Tapscott mit einem weiteren Sinnspruch, der von Mark Twain stammt: Alle reden über das Wetter, aber keiner tut etwas dagegen. Der Rat des kanadischen Wissenschaftlers: Die E-Mail abschaffen und umsatteln – auf neue soziale Plattformen.
McKinsey macht überhaupt mobil mit der Ausrufung von Social Media als Management-Tool. Denn die Thesen Tapscotts werden flankiert von einem Gastbeitrag in McKinsey Quarterly, in dem Roland Deiser von der Peter F. Drucker and Masatoshi Ito Graduate School of Management an der Claremont Graduate University und Sylvain Newton aus der Führungsschmiede von General Electric in Crotonville sechs Social-Media-Skills nennen, die jede Führungskraft beherrschen sollte.
Irrweg im Wissens-Management verlassen
Tapscott liefert dazu den Aufgalopp. Facebook sei für Firmen als Tool nicht zu gebrauchen. Dafür ermöglichten neue an Unternehmen gerichtete Plattformen mit Funktionalitäten wie Wikis, Blogs, Microblogging, Ideation Tools, Jams und Projekt-Management der nächsten Generation jetzt Collaborative Decision Making.
Verlassen werden kann laut Tapscott ein Irrweg beim Knowledge Management: der Versuch, das interne Wissen in einen Container zu packen, indem alles im System gebunkert wird. Das funktioniere nicht, weil die Mitarbeiter es bei einem Jobwechsel dennoch mitnehmen und weil das wichtigste Wissen außerhalb der Unternehmensgrenzen liege. „Da kommt man durch Containerisierung nicht heran, man erreicht es durch Collaboration“, so Tapscott.
Statt ständig Dutzende von E-Mails zu einem Projekt anzusammeln, bräuchten Firmen eine Collaborative Suite. „Dort schaut man einfach nach, was neu ist“, erläutert der Wissenschaftler. Alle relevanten Dokumente seien zugänglich, man könne Subgruppen für einen gezielten Dialog einrichten. Ideenwettbewerbe und digitales Brainstorming seien genauso möglich wie die gemeinsame Gestaltung eines Wikis oder Informationsfluss durch Microblogging.
Diffusionsstrategie entscheidend
Worauf es dabei ankommt und woran die Umsetzung der Vision in der Praxis scheitert, macht Tapscott an zwei konkreten Fallbeispielen deutlich. Die Designfirma IDEO habe eine so wundervolle Plattform mit elegantem User Interface geschaffen, dass 96 Prozent der Mitarbeiter sie gerne nutzen. Die Lehre daraus: Aufbau und Implementierung sind das A und O.
Bei einem großen Finanzdienstleister hingegen sorgt die E-Mail laut Tapscott auf besonders perfide Weise dafür, dass sie nicht ausstirbt. Das Thema Collaboration via Social-Media-Plattformen kam gar nicht erst auf die Agenda, weil die Verantwortlichen zehn Stunden täglich in Meetings verbracht hätten. Das vor allem zum Informationsaustausch – offensichtlich eine schädliche Folgewirkung der E-Mail-Kommunikation.
In der Praxis scheitern Collaboration-Projekte nach der Erfahrung des Professors aus Toronto an schlechten Diffusionsstrategien. Sinnvoll sei es, zuallererst mit einer Gruppe junger Mitarbeiter zu beginnen. Für die sei Social Media schließlich ganz natürlich. Mit Widerständen müsse gerechnet werden, auch weil durch Collaboration Tools das Auftrumpfen in Meetings erschwert wird. Wer darüber seine Machtposition festigt, dürfte die Einführung einer neuen Plattform hintertreiben.
Unterstützung von der Unternehmensführung ist laut Tapscott wichtig – und zwar auch dadurch, dass Manager als eifrige Nutzer ebenfalls Vorbildwirkung entfalten. An dieser Stelle setzen Deiser und Newton ein. „Wir denken, dass die Kapitalisierung der transformativen Kraft von Social Media bei Minimierung seiner Risiken einen neuen Leader-Typ braucht“, schreiben die Autoren.
Effektive Führung erfordere Qualitäten wie strategische Kreativität, authentische Kommunikation und die Fähigkeit, mit Eigendynamiken umzugehen und eine agile und responsive Organisation zu gestalten. Sechs Dimensionen einer in Social Media versierten Führung machen die Autoren aus.
Führen wie ein Filmregisseur
1. Der Manager als Produzent: Ansprechende Inhalte von Videos über authentische Kommentare sind das Lebenselixier von Social Media. Führungskräfte brauchen deshalb wie ein Filmregisseur die kreative Fähigkeit, gute Storys zu liefern. Auch die technischen Fertigkeiten wie das Erstellen und Bearbeiten von Videos seien vorteilhaft, um in Echtzeit auf persönlicher Ebene kommunizieren zu können.
2. Der Manager als Verteiler: Soziale Kommunikation verläuft nicht mehr entlang hierarchischer Linien, Botschaften entwickeln schnell ein unkontrollierbares Eigenleben. „Verteilungskompetenz – die Fähigkeit, den Weg von Botschaften durch komplexe Organisationen zu beeinflussen – wird genauso wichtig wie die Fähigkeit, attraktive Inhalte zu schaffen“, so Deiser und Newton. Ebenso entscheidend sei es, eine Gruppe von Followern zu haben, die beim Verbreiten und Durchsetzen helfen.
3. Der Manager als Rezipient: Laut Deiser und Newton reicht es nicht mehr wie bisher, Informationen für sich alleine zu verarbeiten. Blitzschnell müsse etwa entschieden werden, welche Beiträge beantwortet und welche Informationen geteilt werden.
4. Der Manager als Berater und Dirigent: „Um das Potenzial von Social Media zu nähren, müssen Leader eine proaktive Rolle dabei spielen, die mediale Bildung ihrer unmittelbaren Mitarbeiter und Stakeholder zu schulen“, schreiben Deiser und Newton weiter. Um den Gebrauch von Social Media-Tools zu verbreitern und eine Kultur des Lernens und Reflektierens zu schaffen, benötige es einen Manager als Ratgeber in diesen Prozessen.
5. Der Manager als Architekt: Eine weitere Aufgabe ist die Gestaltung einer organisatorischen Infrastruktur, die die Social-Media-Nutzung ermöglicht. Deiser und Newton betonen, dass neben einem möglichst freien Kommunikationsfluss auch Kontrollen und Risikomanagement zu berücksichtigen seien. „Das ist eine echte Herausforderung für das organisatorische Design“, so die Autoren.
Architekt und Analyst sein
6. Der Manager als Analyst: Unbedingt nötig ist es schließlich, bei neuen Trends und Innovationen vorne dran zu sein. Nach Einschätzung der Autoren gilt das nicht nur für die Auswirkungen auf Markt und Wettbewerb, sondern auch für die Relevanz bezüglich der Kommunikationstechnologien, die ein agiles Unternehmen braucht. „Verantwortliche, die schwache Signale beobachten und mit neuen Technologien und Geräten experimentieren, werden schneller handeln und die Vorteile für Früheinsteiger mitnehmen können“, so Deiser und Newton.
Die Experteneinschätzung sind bei McKinsey Quarterly als Video-Interview und als Artikel abrufbar.