Michael Jackson hätte dazu wohl nur ein Wort geträllert: "bad". Man erinnere sich: "Superstars", also die wenigen ganz wirklichen Übersterne, kamen früher schon oft aus den USA und selten aus Europa. In der Popwelt der 1980er-Jahre war das sicher so, man denke an Madonna, Prince und eben den "King of Pop". In der Internetwelt von heute, der digitalen Ökonomie, wiederholt sich das. Nur dass aus europäischer Sicht niemand in dieser Sphäre mitmischt. Gar niemand!
7 Giganten dominieren die Internetwelt
Früher im Pop gab es immerhin ein paar Engländer wie Elton John, George Michael oder Phil Collins, die weithin als sehr helle und prominente Sterne akzeptiert wurden. Aktuell gibt es präzise sieben digitale "Superstars", wie eine gemeinsame Studie der Internet Economy Foundation (IE.F) und der Unternehmensberatung Roland Berger zählt: Google/Alphabet, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft als dominantes Quintett aus den USA; dazu Tencent und Alibaba als inzwischen sehr wuchtig gewordene Sterne aus dem wohlabgeschirmten chinesischen Markt.
Diese digitalen Superstars muss man immer im Hinterkopf behalten bei der Lektüre der angesprochenen Studie mit dem Titel "Fair Play in der digitalen Welt. Wie Europa für Plattformen den richtigen Rahmen setzt". Als Quintessenz der Studie lassen sich zwei Dinge sagen:
Es gibt erstens in Europa sehr viele Baustellen, vor allem auch im zentralen Bereich des Wettbewerbsrechts. Diese Baustellen müssen angegangen werden, um auch diesseits des Atlantiks aus den unbestritten enormen Versprechen der Internetwirtschaft mehr süßen Honig saugen zu können. Auf europäischer und deutscher Ebene hat man immerhin begonnen, an diesen Baustellen zu arbeiten - und die Autoren der Studie zeigen sehr konkret, was rechtlich und in der Umsetzung bestehenden Rechts verbessert werden sollte.
Zweitens: Auch wenn ab jetzt vieles schneller und besser laufen sollte bei der Schaffung des "digitalen Binnenmarktes" in der Europäischen Union, ist ein europäischer Superstar schlicht nicht in Sicht. Das darf man als "bad" bedauern, folgenlos bleibt es auf keinen Fall. Zumal es auch drastisch an normalen Stars fehlt in der alten Welt.
Marktkapitalisierung digitaler Plattformen
In der Studie findet sich dazu eine Grafik zur Marktkapitalisierung digitaler Plattformen im Jahr 2015. Im Buchtgebiet um das Silicon Valley geht sie in den Billionenbereich, wenn man alle 44 Plattformen zusammenzählt: 2229 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 52 Prozent globaler Marktanteil; sogar 73 Prozent Marktanteil, wenn man insgesamt auf nordamerikanische Plattformen schaut. Asien hat dem immerhin 930 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung oder 21 Prozent Marktanteil entgegenzusetzen. 181 Milliarden Dollar in ganz Europa mögen für den Laien wie eine ordentliche Summe klingen. Sie entsprechen 4 Prozent Anteil am globalen Markt und sind aus dieser Perspektive eine vernachlässigbare Größe.
Acht Tortendiagramme in der Studie erhellen die Lage weiter. Sie zeigen unter der Überschrift "Herrschaft der Wenigen" die dominante Position einzelner Firmen in globalen und US-amerikanischen Märkten: Suchmaschinen (89,4 Prozent für Google weltweit), Smartphone-Betriebssysteme (84,1 Prozent Google Android, 14,8 Prozent Apple iOS), Apps, Social Media, Messenger-Dienste, Desktop-Betriebssysteme, E-Commerce (89,8 Prozent für Amazon), Online-Werbung.
Dominierende Plattform-Unternehmen greifen auf neue Märkte zu
Diese in der jüngeren Vergangenheit entstandene und längst alltäglich gewordene monopolistische oder duopolistische Dominanz in einzelnen Märkten oder Marktsegmenten ist für sich nachdenkenswert. Denn ein erklärtes Ziel der hiesigen Wettbewerbspolitik liegt an sich in der Verhinderung marktbeherrschender Stellungen - in Abwägung mit anderen Gütern selbstverständlich. Fraglich letzten Endes, wie erfolgreich die Wettbewerbskontrolle bisher gemessen an den eigenen Ansprüchen war.
Mittlerweile liegt das eigentliche Problem aber schon auf einer anderen Ebene: dem Ausgreifen der in Teilbereichen der digitalen Ökonomie dominierenden Firmen auf andere Märkte und im Bündeln datenintensiver Dienstleistungen. Kurz: im Aufwachsen zu echten digitalen Superstars.
Größte Gefahr geht von Öksystemen aus
In der Studie heißt es dazu: "Die höchste Gefährdung für das Fair Play in der Internetökonomie und damit für die Realisierung des mit ihr verbundenen Innovationspotenzials geht von Ökosystemen aus - also Kombinationen aus Hardware, Software, Services, Content und Interaktionen von Nutzergruppen, die wie eine Spinne im Zentrum eines Wertschöpfungsnetzes sitzen und Anwendungen und Technologien verschiedener Ebenen nahtlos integrieren." Sieben Spinnen also werfen ein Schlaglicht auf die veränderten wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen, die neuer Antworten bedürfen.
Google, Facebook und Co. kontrollieren irgendwann grundlegende Infrastrukturen
Einige prominente Stimmen, die IE.F und Roland Berger zitieren, spitzen die Situation zu: "Es erscheint ziemlich wahrscheinlich, dass Google, Facebook und Co. irgendwann die grundlegenden Infrastrukturen kontrollieren werden, auf denen unsere Welt basiert", meint Evgeny Morozov, Internetforscher an der Harvard University. Aus Sicht der Wettbewerbshüter konzediert Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: "Wir begegnen in der Internetwirtschaft einer Reihe neuer ökonomischer und rechtlicher Fragen." Daniel Zimmer, der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission, ergänzt: "Angesichts der Entwicklungen auf digitalen Märkten sind Anpassungen des Rechtsrahmens und Behördenpraxis nötig."
Wichtig wären Partizipationsmöglichkeiten an Datenpools
Wie diese aussehen könnten, untersuchen die Autoren der Studie. Eine zentrale Überlegung ist dabei, stärker als bislang auf "bestreitbare" Märkte zu achten. Dieser Ansatz aus der Wettbewerbspolitik setzt darauf, die Wachstumsperspektiven innovativer Unternehmen in den Fokus zu rücken und Marktbarrieren abzubauen. Relevant in der aktuellen Internetökonomie ist das bei aggregierten Daten über Einkaufs- und Surfverhalten von Usern, die naturgemäß derzeit von den Superstars monopolisiert werden. Entgegengewirkt könnte und sollte dem dadurch, dass rechtlich klar definierte Wege für andere Firmen geschaffen werden, an diesen Datenpools zu partizipieren.
Ebenso zentral ist der Vorschlag der Experten neben die bislang hierzulande alleine auschlaggebende Kategorie Marktmacht in wettbewerbsrechtlichen Fragen auch die "Systemrelevanz" in den Blick zu nehmen. Man kennt diesen Begriff ja aus dem Themenfeld Finanzkrise und Bankenrettung. Nun darf man sich gerne einmal ausmalen, dass für einige Tage Google samt sämtlicher Apps kollabiert oder auch nur Apples App-Store nicht geht, um einen wirtschaftlichen Schaden riesigen Ausmaßes vor Augen zu haben. Und festzustellen: Jawohl, auch die digitalen Superstars sind systemrelevant.
Ein neuer Ordnungsrahmen
Daraus ergibt sich laut Studie ein neuer Ordnungsrahmen, der sich hübsch in einer Pyramidengrafik darstellen lässt. An der Spitze stehen so genannte Bottlenecks sowohl mit hoher Marktmacht als auch mit hoher Systemrelevanz. Handlungsbedarf sehen die Autoren hier sowohl bei Rechtsanwendung als auch bei Rechtssetzung. Die "Superstars" fallen zumeist in diese Kategorie, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen.
Dann gibt es sogenannte Gatekeepers entweder mit hoher Marktmacht oder hoher Systemrelevanz und entsprechendem Handlungsbedarf entweder bei der Rechtsanwendung oder bei der Rechtssetzung. Open Aggregators nun haben weder zu viel Macht auf ihrem Markt noch Relevanz fürs System und können deshalb entspannt in Ruhe gelassen werden.
Missbrauchsanfällige Plattformen
In die Kategorie der missbrauchsanfälligen Bottlenecks fallen integrierte Plattformen, die mit einem Betriebssystem, Browser oder anderen alltäglich relevanten Diensten verbunden sind. "Dank großer und vielfältiger Datenpools in Verbindung mit weitreichenden Analysemöglichkeiten (Kreuzreferenzierung) und ausgeprägten Lerneffekten verfügen sie über einen stetig wachsenden Informations- und Innovationsvorsprung gegenüber Wettbewerbern ohne diese Bestände", heißt es in der Studie. "Integrierte Plattformen haben zudem die Möglichkeit, die Zustimmung zur Auswertung personenbezogener Daten durch Globaleinwilligungen zu erwirken, die für alle angeschlossenen Dienste gelten."
Ferner zählen zu den Bottlenecks Universalplattformen insbesondere der chinesischen Superstars, Social Logins und App Stores. Apple und Google können hier für den Vertrieb digitaler Produkte auf ihren Plattformen jeweils rund 30 Prozent Provision und weitere Gebühren berechnen - dank ihrer Marktmacht. "Denn wer als Entwickler nicht auf einer der beiden führenden Plattformen gelistet ist, bleibt für den Verbraucher praktisch unauffindbar", so die Autoren.
Zugangsverweigerung, Datenerhebung und Spielregeln
Zusammenfassend urteilen IE.F und Roland Berger über die Bottlenecks: "Wettbewerbsschädliches Verhalten wird auf Stufe infrastrukturähnlicher Plattformen vor allem über Zugangsverweigerung, unverhältnismäßige Datenerhebung und -nutzung sowie kontinuierliche Adjustierung der Spielregeln z.B. für App Stores oder Lizenzierungen betrieben. Ein Beispiel: Die unter dem Deckmantel der Antifragmentierung praktizierte obligatorische Vorinstallation von unverzichtbaren Programmen insbesondere auf mobilen Endgeräten ist innovationsfeindlich und sollte unterbunden werden, damit der Nutzer eine echte Wahlfreiheit hat." Die zentrale Anforderung an die Bottlenecks müsse lauten, uneingeschränkte Plattformneutralität zu gewährleisten, konstatieren die Autoren.
Uber könnte in Superliga aufsteigen
Vielschichtig ist die zweite Gruppe der Gatekeepers. Systemrelevanz zeichnet sich nach Einschätzung der Experten hier bereits in zwei Feldern ab, die momentan an sich noch gar nicht im Visier der Wettbewerbshüter sein können: erstens Betreiber von Plattformen für das Internet der Dinge, die womöglich "die Standards von morgen setzen"; zweitens Spieler wie Uber, die in Einzelbereichen wie in diesem Fall Transport und Logistik das Potenzial für Systemrelevanz haben. Die Empfehlung der Autoren an die Regulatoren: hier auf möglichst große Offenheit via Schnittstellen achten.
Weitere Gatekeepers sind Suchmaschinen, Werbeallokatoren und hybride Marktplätze. Googles faktisches Suchmaschinenmonopol macht aus Sicht der Autoren nicht unbedingt neue Regeln nötig, weil etwa ein Bekanntwerden möglicher Manipulationen für die Reputation gefährlich wäre - ein Faktor, der Missbrauchsneigung dämpfe. Sorgfältige Beobachtung und konsequente Rechtsanwendung seien dennoch nötig. Das Problem bei hybriden Marktplätzen ist, dass die Anbieter oft zugleich als Vermittler und Makler und auch als Verkäufer agieren. Die Forderung von IE.F und Roland Berger lautet hier: "Wettbewerber dürfen nicht willkürlich schlechter gestellt und damit diskriminiert werden."
10 Punkte für die Digitale Agenda Europas
Am Ende der Studie weiten die Autoren den Blick nochmals über das enge wettbewerbsrechtliche Feld hinaus und formulieren eine "europäische Agenda für Wachstum, Wettbewerb und Innovation". Sie besteht aus zehn Punkten, die hier wörtlich wiedergegeben werden:
1. Förderung des Digital Single Market: Europa muss den Flickenteppich an rechtlichen Bestimmungen überwinden, um das ökonomische Potenzial des digitalen Binnenmarktes von 415 Milliarden Euro an zusätzlichem Wachstum pro Jahr zu heben.
2. Aufhebung der Regulierungsasymmetrie: Die Wettbewerbsregeln der Internetökonomie müssen marktübergreifend und branchenneutral gelten. Gleiches Recht für alle Anbieter, die in einem Markt tätig sind!
3. Anpassung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht: Die Kartellbehörden sind mit klaren Richtlinien und mehr Ressourcen auszustatten, um schneller auf Missbräuche in digitalen Märkten reagieren zu können.
4. Neufassung der Kriterien für Unternehmenszusammenschlüsse: Neben dem Umsatz sollte auch der Transaktionswert (Kaufpreis) als Aufgreifkriterium der Fusionskontrolle in digitalen Märkten zur Anwendung kommen.
[Anmerkung dazu: Zu denken ist hier an das Aufkaufen digitaler Startups durch große Spieler; die Startups machen womöglich nur minimalen Umsatz, so dass sich gängiges Wettbewerbsrecht um sie schlichtweg nicht kümmert; die großen Spieler zahlen aber Milliarden an Kaufpreis - wegen des Potenzials, das ihre Marktmacht auch künftig weiter abzusichern verspricht.]
5. Verbesserung der Datenportabilität: Verbraucher sollten alle Daten von persönlichem Wert auf andere Plattformen mitnehmen können; Unternehmen sollten infrastrukturrelevante Daten zu angemessenen Konditionen nutzen dürfen.
6. Umsetzung einer konsequenten Entbündelung vertikaler Dienste: Die Bildung geschlossener Systeme durch Vorinstallation ist zu erschweren, indem für zentrale Anwendungen eine Auswahlmöglichkeit verpflichtend wird.
7. Sicherstellung der Plattformneutralität: Inhaber von wichtigen Zugängen z. B. zu Infrastrukturen sollten diese diskriminierungsfrei gewähren. Dies ist gegebenenfalls europaweit durch Kontrahierungszwang sicherzustellen.
8. Gründung einer Europäischen Digitalagentur: Die Zuständigkeiten für digitale Märkte sollten bestenfalls auf EU-Ebene unter einem Dach gebündelt werden, um mit der Dynamik der Internetökonomie Schritt halten zu können.
9. Bildung von Allianzen: Das wertschöpfende Plattformgeschäft muss groß und grenzübergreifend gedacht werden. Zur Entwicklung von Standards oder Förderung von Investitionen sind breite transnationale Allianzen zu bilden.
10. Finanzierung und Förderung innovativer Start-ups: Wenn Europa stärker von Wertschöpfung und Innovationskraft der digitalen (Plattform-)Wirtschaft profitieren will, brauchen Gründerunternehmen mehr Wachstumskapital.
Problemfeld Glasfasernetz
Digitale Plattformen sind in jedem Fall wirtschaftliche Schlüsselakteure. "Wenn Europa an ihrem Wertschöpfungspotenzial partizipieren will, braucht es eine eigenständige Plattformökonomie", schreiben die Studienautoren. Datenschutzbedenken sollten das nach Einschätzung von IE.F und Roland Berger nicht aufhalten, zumal ab 2018 die Datenschutz-Grundverordnung für eine EU-weite Harmonisierung sorgen wird. Schnell ausgebaut werden müsse aber eine leistungsfähige Glasfaser-Infrastruktur. "Auf dieser Grundlage kann und wird es auch Europa gelingen, eine vitale Plattformökonomie aufzubauen", so die Autoren. Ob sich dabei irgendwann ein europäischer "Superstar" findet?