Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen steigt jährlich an, wie zahlreiche Studien belegen. So erhöhte sich in den zurückliegenden 20 Jahren die Zahl die krankheitsbedingten Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen, weil die Erkrankten länger ausfielen und die Zahl der Beschäftigten, die beispielsweise aufgrund einer Depression oder eines Burn-out krankgeschrieben wurden, stieg.
Bei diesen Erkrankungen lassen sich die Ursachen meist schwer ermitteln. Als Hauptursache wird oft der steigende Stress am Arbeitsplatz identifiziert. Diese Diagnose trifft gewiss häufig zu, unter anderem, weil heute in vielen Betrieben weniger Arbeitnehmer dieselbe oder gar eine größere Arbeitsmenge als früher bewältigen müssen und weil aufgrund des erhöhten Wettbewerbs und des rasanten technischen Fortschritts die Arbeitsanforderungen an die Mitarbeiter sich immer schneller ändern. Hinzu kommt: Die Beziehungen vieler Unternehmen zu ihren Mitarbeitern wurden fragiler, was sich auch in der erhöhten Zahl von Leiharbeitern sowie Mitarbeitern mit Zeitverträgen niederschlägt. Auch dies erhöht den psychischen Druck, der auf vielen Arbeitnehmern lastet.
Mit dieser Diagnose allein kommen Unternehmen, wenn es um das Wahren oder gar Fördern der Gesundheit ihrer Mitarbeiter geht, aber nicht weit – unter anderem, weil sich in den veränderten Arbeitsanforderungen und in der veränderten Arbeitsorganisation auch Markterfordernisse widerspiegeln. Hinzu kommt: Was eine Person als Stress erlebt, ist sehr subjektiv.
Den Menschen als Ganzes
Solche individuellen Denk- und Verhaltensmuster spielen beim Stressempfinden eine wichtige Rolle. Und diese zeigen die Mitarbeiter außer am Arbeitsplatz auch zu Hause, weil sie ein Teil beziehungsweise ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit sind. Deshalb ist, wer im Beruf schnell gestresst ist, auch privat nur selten ein ruhender Pol. Und wer zu Kollegen nie Nein sagen kann? Dem fällt es in der Regel auch privat schwer, Grenzen zu ziehen. Berufliches und Privates lassen sich folglich nur schwer trennen, wenn es um Stress geht.
Unternehmen versuchen, durch die klassische betriebliche Gesundheitsprävention, die sich primär auf das gesundheitsgerechte Gestalten der Arbeitsplätze konzentriert, eine Überlastung ihrer Mitarbeiter zu vermeiden. Sie kommen damit allein jedoch nicht weit: Sie müssen den Menschen als Ganzen im Blick haben.
Dies ist auch notwendige, weil, wenn Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenzen stoßen und zum Beispiel ein Burn-out droht, zumeist gilt: Die Ursachen hierfür liegen zwar auch im Arbeitsbereich, jedoch nicht ausschließlich. Daneben gibt es weitere Faktoren, die zur Überlastung führen. Da ist zum Beispiel die Controllerin bei einem Telekommunikationsunternehmen, die seit Jahren unter Schlafstörungen leidet – auch weil sie nicht den gewünschten Lebenspartner findet. Oder da ist der Manager und Vater zweier Kinder, der in der Regel nur am Wochenende zuhause ist, weshalb es in seiner Ehe kriselt. Oder da ist die Fachfrau für Marketing, deren Mutter einen Schlaganfall erlitt und einer intensiven Pflege bedarf. Bei all diesen Personen hat die Überforderung nicht nur berufliche Gründe.
Diesen Zusammenhang haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb orientieren sich ihre Präventionskonzepte heute nur noch selten am klassischen Ziel der betrieblichen Gesundheitsförderung. Ihnen liegt vielmehr ein positives Präventionsverständnis zugrunde, das sich an Zielen wie Steigern der Vitalität und Lebensfreude oder mehr Selbstbestimmung über die eigenen Lebensumstände orientiert.
Entsprechend boomten im vergangenen Jahrzehnt jene Maßnahmen, die darauf abzielten, die Work-Life-Balance der Mitarbeiter zu wahren – angefangen bei Seminaren über Stress-Management bis hin zu Entspannungskursen. Zudem offerieren die Betriebe ihren Mitarbeitern heute mehr Möglichkeiten, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten. Auch solche Angebote wie eine Betreuung der Kinder oder Angebote zur Kurzzeitpflege von Angehörigen sind inzwischen zumindest in Großunternehmen nicht ungewöhnlich.
Das alles sind wichtige und zielführende Maßnahmen zum Aufrechterhalten der Lebensbalance und somit auch der Leistungskraft der Mitarbeiter. Doch inzwischen erkennen die Unternehmen: Allein mit ihnen kommen wir nicht zum Ziel, denn die Faktoren, die bei unseren Mitarbeitern vielfach Stress auslösen, können wir nur bedingt beheben.
So ist es zum Beispiel eine Fiktion anzunehmen, der Wettbewerbs- und Veränderungsdruck, der auf den Unternehmen lastet, werde in den kommenden Jahren sinken. Also wird auch die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter steigen – ebenso der auf ihnen lastende Druck, sich neuen Herausforderungen zu stellen und eine große Verhaltensflexibilität zu zeigen. Daraus folgt: Die Mitarbeiter müssen künftig einerseits über die Fähigkeit verfügen, auch in Stresszeiten, wenn es bei ihnen mal beruflich oder privat heiß hergeht, ihre Lebensbalance zu wahren, und andererseits mit neuen Herausforderungen, vor denen sie beruflich oder privat stehen, produktiv umzugehen. Und beim Entwickeln dieser Fähigkeiten müssen die Unternehmen ihre Mitarbeiter unterstützen.
Erkenntnisse aus der Forschung
Zu Hilfe kommt den Unternehmen dabei, dass man nicht nur im Betriebsalltag immer wieder registriert: Menschen reagieren auf dieselbe Belastung unterschiedlich. Während zum Beispiel ein Mitarbeiter wegen der "stressigen Arbeitsbedingungen" nach einiger Zeit einen Burn-out erleidet und für längere Zeit ausfällt, klagt sein Kollege zwar auch, doch dann macht er sich wieder beschwingt ans Werk.
Warum dies so ist, damit beschäftigt sich die sogenannte Resilienzforschung und kommt zum Schluss: Manche Menschen haben offensichtlich eine höhere Widerstandsfähigkeit als andere Menschen. Sie haben, bildhaft gesprochen, eine "dickere Haut", wenn es um den Umgang mit herausfordernden Situationen geht. Deshalb perlen Belastungen an ihnen scheinbar ab, während sie bei anderen zu einem permanenten Gefühl der Überforderung und mittelfristig zu einem Burn-out führen.
Wie können wir unsere Mitarbeiter dabei unterstützen, ihre Resilienz, also Widerstandskraft, zu erhöhen? Diese Frage stellen sich denn auch immer mehr Unternehmen. Und zunehmend werden in den Betrieben erste Konzepte zur Förderung der Resilienz der Mitarbeiter realisiert. Ihnen liegt zumeist die Erkenntnis aus der Resilienzforschung zugrunde, dass Menschen, die eine Widerstandsfähigkeit haben, in der Regel über acht Eigenschaften beziehungsweise Persönlichkeitsmerkmale verfügen.
1. Positives Denken: 2. Selbstwertgefühl: 3. Problemlösefähigkeit: 4. Selbstverantwortung: 5. Selbstwirksamkeit: 6. Soziale Kompetenz: 7. Achtsamkeit: 8. Stressbewältigungsstrategien: |
Die Resilienzforschung zeigt auch: Die genannten Fähigkeiten und Eigenschaften schlummern eigentlich in (fast) allen Menschen. Ohne eine externe Unterstützung fällt es vielen Menschen aber schwer, diese zu aktivieren. Denn dies setzt ein Bewusstsein darüber voraus: Wie reagiere ich regelmäßig in gewissen Situationen? Zum Beispiel bei neuen Herausforderungen? Oder wenn wichtige Entscheidungen anstehen? Des Weiteren: Warum reagiere ich so und nicht anders?
Selbstachtsamkeit erhöhen
Diese Fragen kann sich jeder Mensch zumindest theoretisch auch allein stellen. Doch faktisch tun dies viele Menschen nicht. Und wenn doch? Dann finden sie allein oft nicht die richtigen Antworten. Zum Beispiel, weil sie gar nicht registrieren, dass sie in vergleichbaren Situationen stets ähnlich reagieren. Oder weil ihnen ihr Verhalten als so selbstverständlich erscheint, dass sie sich gar nicht vorstellen können, anders zu reagieren. Deshalb stellen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter beim Steigern ihrer Resilienz unterstützen möchten, diesen oft einen professionellen Sparringspartner zur Seite. Er unterstützt sie dabei, ihre Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und gegebenenfalls zu verändern.
Ein weiteres Ziel dieser Unterstützung ist es, die sogenannte Selbsachtsamkeit der Mitarbeiter zu erhöhen. Das heißt, die Sensibilität der Teilnehmer dafür soll erhöht werden, rechtzeitig zu erkennen, wann sie zum Beispiel aufgrund der Arbeitsmenge oder der vielen Herausforderungen in eine Situation geraten, in der die Gefahr besteht, dass sie nicht nur gefordert, sondern auch überfordert werden. Denn dann können sie meist noch gegensteuern und sich zum Beispiel noch rechtzeitig Hilfe (beispielsweise durch Kollegen oder Vorgesetzte) organisieren, so dass ein Burn-out vermieden wird.